"Faber ist für mich überhaupt kein Vollarschloch"

"Tatort"-Kommissar Jörg Hartmann

Immer etwas verrückt, immer nah am Abgrund: Das ist Jörg Hartmann als Kommissar Peter Faber im Dortmund-Tatort. In der neuesten Folge „Kollaps“ (18. Oktober, 20.15 Uhr, ARD) geht es um Drogen, Flüchtlinge und Selbstjustiz. Wir sprachen mit Hartmann über seine Rolle zwischen Samariter und Vollarschloch.

DORTMUND

von Thorsten Langenbahn

, 09.10.2015, 03:06 Uhr / Lesedauer: 6 min
Jörg Hartmann spielt im Dortmunder Tatort den Kriminalhauptkommissar Peter Faber.

Jörg Hartmann spielt im Dortmunder Tatort den Kriminalhauptkommissar Peter Faber.

Herr Hartmann, heute schon herumgefabert?

Jörg Hartmann: Herumgefabert? Was ist das?

In einer Szene in „Kollaps“ unterhalten sich die Kollegen über Faber, der wie irre mit bloßen Händen im Sand wühlt.

Ach, am Anfang, wo er auf dem Spielplatz rumwuselt?

Genau, da fragt Kommissarin Dalay: „Was tut er da?“, darauf die Rechtsmedizinerin: „Er fabert herum, frag mich nicht.“ Sind Sie mit Ihrer Rolle auf dem besten Weg in den Duden?

(lacht) Keine Ahnung. Das steht nicht in meiner Macht, das zu entscheiden. Gegen einen Eintrag im Duden hätte ich nix. Das hilft natürlich, am Mythos zu bauen.

Was ist in den bisherigen sieben Teilen des Dortmund-Tatorts Ihre Lieblingsszene, in der besonders schön herumgefabert wird?

Besonders herumgefabert wird schon im ersten Teil, in „Alter Ego“, wo Faber bei dem Verdächtigen – und wie sich dann rausstellt auch Mörder – ist. Da spielt er sein Spiel des Abtauchens in den Täter so weit, dass er sozusagen selbst schwul wird und den Täter ein bisschen herausfordert. Das ist eine Form von Ermitteln, die ich sehr fabermäßig finde und die damals eine Marke gesetzt hat, in dem Sinne: wie weit geht der.

Was anderes: Fluchen Sie eigentlich gerne?

Ich glaube, wie jeder normale Mensch auch schon mal flucht, aber nicht übermäßig. Ich bin ja jetzt nicht Faber.

In der neuesten Folge wird gefühlt mehr geflucht als bei Schimanski in seinen besten Zeiten…

Ist das so? Ich werde höchstens von meinem Kollegen Kossik beschimpft und habe dann immer ein paar witzige Antworten parat. Gut: Ich habe natürlich mit Herrn Abakay ein Hühnchen zu rupfen. Da fällt schon mal das ein oder andere Wort.

Der Gangsterboss sagt in einer Szene: „Faber, der Samariter, ja?“ – „Oder das Vollarschloch, ganz wie Sie wollen“, kontert Faber. Was trifft eher zu?

Ein Vollarschloch ist Faber für mich überhaupt nicht. Das ist eine Bezeichnung, die Herr Kossik für ihn hat, sonst im Team eigentlich gar keiner mehr. Ich habe immer das Gefühl, das ist übrig geblieben von unseren Anfängen, als man sich an Faber erstmal gewöhnen musste, sowohl die Kollegen als auch das Publikum. Natürlich kann er sich arschig gegenüber Abakay als Drogenboss von Dortmund benehmen. Das ist für Faber kein Problem.

Und der Samariter?

In dem Fall kümmert sich Faber auch um einen jungen Afrikaner und baut eine gewisse Beziehung zu ihm auf.

Der Samariter kommt außerdem bei seiner Kollegin Martina Bönisch zum Vorschein, die sich privat im Ausnahmezustand befindet. Erkennt sich Faber in ihr wieder?

Ja, absolut. Er ist der Erste, der sowas nachvollziehen kann. Wenn er sie betrachtet, hat er die Befürchtung, dass sie in ein ähnliches Loch rutschen könnte, in dem er einmal steckte. Er ist ein bisschen um Normalität bemüht – das ist vielleicht ein wenig übertrieben bei Faber, normal wird der nie –, aber wenn Frau Bönisch jetzt auch noch aufhört zu funktionieren, haben die Beiden ein echtes Problem. Er ist schon immer dieser Gratwanderer und Seiltänzer, immer nah am Abgrund – und wenn Frau Bönisch, die immer die Mutter des Ganzen war, jetzt auch noch eine einzige Baustelle wird, dann wird’s schwierig.

Wo steht das vierköpfige Team um die Kommissare Bönisch, Faber, Dalay und Kossik im neuen Fall, auch im Vergleich zu ihren Anfängen?

Bönisch und Faber sind schon eine ziemliche Einheit geworden, auf ihre merkwürdig verquere Art ein Paar. Bei den beiden jungen Ermittlern ist es so, dass Faber eine andere Beziehung zu Nora als zu Daniel hat. Für Daniel ist es immer am schwierigsten, Fabers Art zu ermitteln nachzuvollziehen. Es kommt ja nicht von ungefähr, ohne jetzt zu viel zu verraten, dass er eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen Faber anzettelt.

Und die junge Oberkommissarin Dalay? 

Nora hat in den letzten Folgen ja fast auf Fabers Spuren ermittelt, indem sie inkognito irgendwelche Sachen durchzog, das ist eigentlich die Art des Faberschen Ermittelns. Da hat er sie eigentlich immer laufen lassen. Das wiederum stört auch Daniel, weil sie ihrem Chef nacheifert. Es ist also ein Auf und Ab. Ich weiß nicht, ob die Vier jemals ein harmonisches Team werden. Da sind noch diverse Entwicklungsbögen zu erwarten.

Der Fall „Kollaps“ ist über weite Strecken brutal, das sechsjährige tote Mädchen für manche Zuschauer sicherlich schwer verdaulich. Wo stufen Sie den Fall ein?

Bei uns geht es ja relativ häufig um junge Opfer, da erstarren die Zuschauer natürlich. Das ist das Brutalste. Das kann jeder nachvollziehen, erst Recht jeder Vater und jede Mutter. So ein ähnlicher Vorfall ist auch tatsächlich passiert: In Berlin hat ein Kind auf einem Spielplatz Kokain gefunden und hat es soweit ich weiß auch geschluckt. Die Drogensituation ist auch in Dortmund Thema. Verbunden mit der Flüchtlingsthematik – wobei wir gar nicht hochaktuell sein wollten, das ist Zufall – passt das wie Arsch auf Eimer. Mit der Frage nach Selbstjustiz wird in dem Fall ganz schön viel verhandelt, was teilweise auch brutal ist.

Sie sind selbst Vater zweier Kinder. Blendet man das aus beim Spielen oder nutzt man das beim Dreh als Antrieb?

Beim Lesen eines Buches ist man oft erstmal geschockter, als es einem die Zu- und Umstände am Drehort selbst ermöglichen. Wenn man das liest, trifft einen das auch emotional. Am Drehort ist es oft sehr technisch, da sind 1000 Leute drumherum, dann liegt da kein kleines Kind, sondern eine Puppe, weil es einfach zu kalt ist, und man bespielt einen sogenannten Dummy. Es sind also ganz viele Widrigkeiten, die einen eher davon abhalten, in so eine Situation zu fallen. Da ist vielmehr die Kunst gefragt, etwas auszublenden, um wieder an Emotionen ranzukommen.

Falls dem Zuschauer mal der Kloß im Hals stecken bleibt, lockert Faber die Situation mit seinen Sprüchen schnell wieder auf. Wie wichtig ist das unterhaltende Element im Dortmund-Tatort?

Diese Form des speziellen Humors, den wir da suchen, finde ich schon sehr wichtig. „Kollaps“ finde ich vom Humor her besser gelungen als „Schwerelos“, unserem Tatort davor, der mir ehrlich gesagt zu ernst war. Es war klar, dass es nie in Richtung Münster gehen darf, weil es ein ganz anderes Genre ist und wir uns abgrenzen wollen. Unsere Dortmunder Tatorte sind in erster Linie finsterer, dunklerer, manchmal ein bisschen thrillerhafter, dreckiger, abgründiger. Aber natürlich braucht der Zuschauer zwischendurch immer mal Erholung. Und auch ein Faber hat seinen Humor ja nicht komplett verloren, der ist so langsam wieder hochgekommen.

Wie würden Sie seinen Humor beschreiben?

Er hat diese spezielle Art. Das ist ein Humor, den ich vom Ruhrpott selbst her kenne. Und bei Faber ist es oft noch ein bisschen sarkastischer. Das ist schon eine Sprache, die ich ganz speziell suche und wo ich auch selbst an den Sätzen ein bisschen fummele, um diesen Ton zu treffen. Auf den Mund gefallen ist er ja ohnehin nicht.  Aber dieses Team repräsentiert ja nicht den Dortmunder oder den Ruhrpottler. Gott sei Dank sind die Leute da etwas heiterer gestimmt. Durch die humoristische Note kann man sich als Zuschauer bei dieser Figur einklinken und nimmt diese ganzen dreckigen Seiten von ihm gerne in Kauf.

Wenn Faber in „Kollaps“ sagt: „Mir geht's doch nicht beschissen, mir geht's scheiße!“ – ist das typisch Faber?

Ganz genau. Das ist ein Spruch, der sogar von mir kommt. Das ist ja das Tolle, das man sich selbst einbringen kann. Da nimmt er sich auch selbst aufs Korn. Das schafft Faber mittlerweile, dass er sein Leid mit einer gewissen Ironie anpacken kann.

Nach jetzt gut drei Jahren: Wie geht's Ihnen mit diesem verrückten Faber?

Mir geht es wirklich sehr gut mit ihm. Ich bin froh über diesen neuen Fall, aber auch über den darauffolgenden, den wir im Sommer gedreht haben. Da saßen wir mit mehreren zusammen und haben rumgesponnen, wie es weitergehen kann, was die sogenannten horizontalen Bögen und Linien betrifft. Wenn sich das so realisieren lässt, wie wir es ersponnen haben, dann bin ich sehr happy. Das könnte sehr spannend werden. Da hört auch die Lust an diesem Charakter nicht auf.

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Wie sind die unmittelbaren Reaktionen der Zuschauer oder von Leuten, die Sie auf der Straße oder wo auch immer auf Faber ansprechen?

Das Schöne ist ja immer, dass die Leute, die einen ansprechen, das eigentlich tun, weil sie das positiv aufgenommen haben. Ich muss mal überlegen, ob mich überhaupt mal jemand angesprochen hat, um mir zu sagen, wie scheiße er das fand. Ich höre manchmal von Dortmundern oder in meiner Heimat Herdecke von Leuten, die mich von früher kennen: „Ach Jörg, mach' doch mal wat Lustiges“ oder „Muss das denn immer so dreckig sein und alles so schlimm?“. Dann sage ich: „Leute, wir machen hier Tatort, was erwartet ihr?“ Immerhin liegt unsere Aufklärungsquote bei 100 Prozent. Das finde ich sehr positiv.

Bei den Leuten, die so auf einen zukommen, bilde ich mir ein, dass es schon eine richtige Fan-Truppe vom Dortmunder Tatort gibt. Jeder hat beim Tatort so seine Nische und es gibt etliche, für die der Dortmunder die Nummer eins ist. Und die Stimmen werden immer mehr. Das freut mich natürlich.

Und welche Sprache spricht die Quote?

Die Quote versuche ich völlig auszublenden, weil ich die Diskussion um die Quote nervig und absolut schädigend für jede Art von Kreativität finde. Was sagt eine Quote aus? Das sagt nichts über die Qualität aus. Wenn ich mich davon abhängig mache, kann ich auch gleich aufhören. Selbst bei in Anführungszeichen schlechten Tatort-Quoten liegt man dann bei acht Millionen. Hallo? Da träumt man doch von.

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Die neueste Folge zeichnet erneut ein düsteres Bild von Dortmund. Muss die Stadt das abkönnen?

Die Stadt muss das nicht nur abkönnen, die Stadt kann das auch ab. Sie profitiert ja trotzdem davon. Wenn wir zum Beispiel in „Hydra“ das Nazi-Thema wie ich finde sehr realistisch abgebildet haben, ist das eine Chance, das zu thematisieren. Um es mit Faber zu sagen: Wat sein muss, muss sein, woll?

Wie bewerten Sie die gesellschaftliche Relevanz von „Kollaps“ rund um die Probleme von Flüchtlingen?

Dieses Flüchtlingsthema kommt ja nicht wie Karl aus der Kiste, da ist auch wieder die Nordstadt thematisiert. Wenn man sich bemüht, diese Form der Integrationspolitik, die lange Zeit nicht funktioniert hat, anders zu machen, ist es einfach notwendig, dass die Flüchtlinge Deutsch lernen und dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt nicht fernbleiben. Lange durften Flüchtlinge gar nichts machen und früher oder später landen viele zwangsläufig im kriminellen Milieu. Das entschuldigt nichts, aber mit Integrationspolitik hat das nichts zu tun.

Wie ist es in „Kollaps“?

Der Kollege, der den jungen Afrikaner spielt, hat von einem Freund erzählt, der auf der Flucht in Libyen ein Jahr in Sklaverei war. Da gibt es so viele Horrorgeschichten, das kann man sich alles gar nicht vorstellen. Letztendlich kommen diese Menschen vom Regen in die Traufe. Das ist, was wir mit unserem Dortmunder Tatort auch erzählen wollen. Es gibt keine klassisch Schuldigen. Natürlich gibt es Täter. Aber es gibt nie die weißen Figuren und nie die schwarzen, es sind bei uns immer unterschiedliche Nuancierungen von grau. Und das, finde ich, ist enorm spannend.

Jörg Hartman (46) ermittelt seit September 2012 als Hauptkommissar Peter Faber im Dortmund-Tatort. Für seine schauspielerische Leistung in der Tatort-Folge „Hydra“ erhielt er den Deutschen Fernsehkrimi-Preis 2015. Alle bisherigen Tatort-Fälle aus Dortmund wiederholt der WDR zwischen dem 8. und 17. Oktober jeweils um 20.15 Uhr.