Eine Krebs-Infusion kostet 10.000 Euro
Betrugsverdacht in Bottrop
Patienten, Ärzte, Apotheker - die Verunsicherung ist riesig im Ruhrgebiet und Münsterland, nachdem ein Bottroper Apotheker wegen des Verdachts der Streckung von Medikamenten verhaftet wurde. Jetzt wurde bekannt, dass der Skandal wohl noch größere Ausmaße hat. Wir fassen die Hintergründe zu den Krebsmitteln zusammen.

In einem Reinraum werden Medikamente hergestellt.
Bei den Arzneien handelt es sich um Medikamente für Krebsimmuntherapien – sie sind einer der ganz großen Hoffnungsträger der Krebstherapie. „Arzneien nach Maß“ seien das normalerweise, heißt es bei der Apothekerkammer Westfalen-Lippe. Aus Dutzenden von Wirkstoffen werden die Infusionen individuell auf jeden Patienten zugeschnitten. Auf Patienten, bei denen es um Leben und Tod geht. Im Idealfall mobilisiert die Therapie die körpereigenen Abwehrkräfte gegen den Krebs. Und das kann das Leben der Schwerstkranken deutlich verlängern. Doch die Hoffnung hat ihren Preis. Bis zu 100000 Euro kostet ein Jahr Immuntherapie. Für eine Infusion schlagen etwa 10000 Euro zu Buche.
Infusionen sind ein einträgliches Geschäft
Ein einträgliches Geschäft, für das nur ganz wenige Apotheker in NRW spezialisiert sind und für das nur ganz wenige Apotheken über die notwendigen Voraussetzungen in Form eines Reinraums zur Herstellung der Medikamente verfügen. Entsprechend weit ist der Lieferradius der Apotheken.
Im Bottroper Fall wurden Ärzte in bis 100 Kilometern Entfernung von bis zu 20 Botenfahrern mit Präparaten versorgt. Patienten in der ganzen Region fragen sich nun, ob auch sie möglicherweise unterdosierte Medikamente erhalten haben. Und wenn ja, wie oft. Nur einmal, mehrfach? Die Ungewissheit ist gewaltig. Der beschuldigte Apotheker sitzt seit Ende November 2016 in Untersuchungshaft und schweigt.
Rund 200 Onkologie-Schwerpunktapotheken in Deutschland
Wie groß die Ungewissheit ist, zeigt auch eine Mitteilung der Uniklinik Essen. Als eines der großen Krebszentren in Deutschland sah sich die Klinik dazu genötigt, von sich aus eine Mitteilung zu machen, nicht von der Bottroper Apotheke beliefert worden zu sein. „Die Patienten der Universitätsmedizin Essen sind hiervon nicht betroffen“, versicherte Pressesprecher Burkhard Büscher.
Nach Angaben der Deutschen Stiftung Patientenschutz gibt es in Deutschland rund 200 Onkologie-Schwerpunktapotheken. Sie versorgen Hunderttausende schwerstkranker Krebspatienten, die schon eine Standardtherapie erfolglos erhalten haben. Dort werden Medikamente passgenau hergestellt. „Ohne Zweifel funktioniert die Endkontrolle am Produkt nicht ausreichend“, sagte Vorstand Eugen Brysch.
Arbeit im Reinraum unter strengen Auflagen
Die Fertigung von Infusionslösungen durch den Apotheker findet in einem sogenannten Reinraum statt. Durch eine Materialschleuse gelangen die verschiedenen für das Medikament benötigten Ausgangsstoffe hinein. Im Reinraum arbeiten mindestens zwei Personen in sterilem Overall mit sowie mit Mundschutz, Handschuhen und Haube an der Arznei: Ein pharmazeutisch-technischer Assistent und zwingend ein Apotheker. Nach Fertigung des Medikaments findet eine Endkontrolle durch den Apotheker und einen Mitarbeiter statt. Die Apothekerkammer Westfalen-Lippe spricht vom "Vier-Augen-Prinzip". Gegen viele dieser Regeln soll der Bottroper Apotheker nach den Recherchen von Correctiv und Panorama verstoßen haben.