Denn es geht um die zunächst deutsche, danach britische Kolonialherrschaft in Ostafrika zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Nachschlagewerke beschreiben Kolonialismus als „Inbesitznahme auswärtiger Territorien und die Unterwerfung, Vertreibung oder Ermordung der ansässigen Bevölkerung durch eine Kolonialherrschaft“.
Abdulrazak Gurnah, der Nobelpreisträger des Jahres 2021, würde dieser Definition vermutlich nicht widersprechen, als Literat hat er jedoch in „Nachleben“ einen eigenen Weg gefunden, um die Rolle deutscher Siedler und Soldaten in Ostafrika zu beleuchten – mit einer fast zarten Sprache, der es dennoch gelingt, die Brutalität der Kolonialisten spürbar zu machen. Die aber auch das Bestreben der herrschenden Klasse nicht verschweigt, die Bevölkerung mit Kultur, Bildung und Gesundheit zu versorgen.
Fabelhaft erzählt
Meisterhaft erzählt er die Geschichte des Jungen Ilyas, der für die deutschen Schutztruppen zwangsrekrutiert wird und das Zuhause und die kleine Schwester Afiya zurücklassen muss. Auch der muslimische Hamza, aus dessen Perspektive die unmenschlichen Verhältnisse im deutschen Kolonialheer beschrieben werden, hat sich den Schutztruppen angeschlossen.
Während sich Ilyas Spur nach dem Krieg verliert, trifft Hamza auf der Suche nach Arbeit und Sicherheit zufällig auf Afiya, die bei Pflegeeltern lebt. Zwischen den beiden klugen und wissbegierigen jungen Menschen entwickelt sich eine tiefe Liebe.
Über Generationen
Was Kriege mit Menschen machen, wie neben physischen Verletzungen tiefe psychische Versehrtheiten auch über Generationen nicht heilen, zeigt Gurnah in diesem epischen Werk. Der Autor aus Tansania lebt und lehrt seit vielen Jahren in Großbritannien.
Als er 2021 mit dem Nobelpreis geehrt wurde, waren seine ins Deutsche übersetzten Titel nicht mehr im Buchhandel verfügbar. „Nachleben“, sein jüngstes Werk, ist jetzt auf Deutsch erschienen.
Abdulrazak Gurnah: Nachleben, 384 S., Penguin, 26 Euro, ISBN 978-3-3286-0259-0.
Buchtippp: Annie Ernaux schreibt ihrer toten Schwester einen Brief