Ehe für alle: Konfetti und Regenbogentorte
Aus dem Reichstag
Abgeordnete weinen vor Freude, Jubelrufe im Plenum, auf der voll besetzten Besuchertribüne fallen sich schwule Paare in die Arme, küssen sich glücklich unter der Reichstagskuppel. Später gibt es in den Fraktionen von SPD und Linkspartei Hochzeitstorten in den Regenbogenfarben. Bei der Abstimmung über die Ehe für alle herrschte Respekt - bis auf zwei Ausnahmen.

Mit Konfetti bejubeln die Fraktionsmitglieder von Bündnis 90/Die Grüne die Entscheidung.
Der Bundestag hat gerade eine denkwürdige Entscheidung gefällt, mit breiter Mehrheit die Ehe für alle beschlossen. Kanzlerin Angela Merkel stimmt mit Nein, aber 75 Unions-Abgeordnete sagen Ja zur Homo-Ehe, ein Viertel der Fraktion! Kopfschütteln und lange Gesichter bei denen, die dem Gesetz in Drucksache 18/6665 nicht zugestimmt haben.
Als die Grünen Konfetti-Kanonen knallen lassen, Glitzerregen im Hohen Haus niederrieselt, sieht sich Parlamentspräsident Norbert Lammert zu einer Ermahnung genötigt, bittet die ausgelassenen Parlamentarier, „nicht in Albernheit zu verfallen“. Doch zügeln lassen sie sich nicht, schließlich ist es für die Vorkämpfer der Homo-Ehe wie den Grünen-Abgeordneten Volker Beck ein „historischer Tag“, der nach jahrzehntelangem Ringen endlich volle Gleichberechtigung für Homosexuelle schafft. „Denn alles andere als Anerkennung ist Diskriminierung“, ruft er in seiner Rede, die Stimme vor Ergriffenheit zitternd. „Für die Würde, für Gleichheit und für die Liebe“, bringt Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch die Botschaft auf den Punkt. Was für ein Finale für die dramatische letzte Sitzungswoche der Legislaturperiode. Das spektakuläre Ja zur Homo-Ehe - zu Wochenbeginn hätte damit niemand gerechnet.
SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann feiert einen Triumph für die eigene Partei und Martin Schulz, der die Kanzlerin überrumpelt und die Abstimmung über das sensible Thema im Eiltempo erzwungen hatte: „Er ist der erste Kanzlerkandidat Deutschlands, der ein Wahlversprechen schon erfüllt hat, bevor er Bundeskanzler geworden ist“, jubelt Oppermann, bevor er Schulz ein Messer reicht, um im Fraktionssaal eine symbolische dreistöckige Hochzeitstorte anzuschneiden.
"Eine intensive Diskussion"
Und Angela Merkel? Die Kanzlerin, die im Brigitte-Talk die Ehe für alle zur Gewissensfrage erklärt und damit der SPD die Steilvorlage geliefert hatte, ist nicht in Feierlaune. Sie greift bei der namentlichen Abstimmung gestern zur roten Karte für das Nein. Im Plenum ergreift sie nicht das Wort, spricht aber wenige Momente nach dem Votum im Abgeordnetenrestaurant in die Kameras: „Für mich ist die Ehe im Grundgesetz die Ehe von Mann und Frau“, begründet sie ihre Entscheidung. Sie selbst sei zu der Überzeugung gelangt, dass die Volladoption für gleichgeschlechtliche Paare möglich sein sollte. Doch der grundgesetzliche Schutz nach Artikel 6 beinhalte für sie die Ehe für Mann und Frau. Durch das gestern beschlossene Gesetzt werden gleichgeschlechtliche Paare nun automatisch das Adoptionsrecht erhalten, wenn sie heiraten.
Hier sehen Sie die gesamte Debatte:
„Es war eine lange, intensive, für viele auch emotional sehr berührende Diskussion - das gilt auch für mich ganz persönlich“, erklärt die Regierungschefin, und bringt ihre Hoffnung zum Ausdruck, „dass mit der Abstimmung heute nicht nur der gegenseitige Respekt zwischen den unterschiedlichen Positionen da ist, sondern dass damit auch ein Stück gesellschaftlicher Friede und Zusammenhalt geschaffen werden konnte.“ Es ist der Versuch, die Abstimmung, die die Union während der ganzen Legislaturperiode verhindert hatte, aus den Niederungen des Wahlkampfes herauszuheben, den Kurswechsel als eine notwendige Anpassung an die gesellschaftliche Realität zu rechtfertigen - 73 Prozent der Bürgerinnen und Bürger stehen hinter der Ehe für alle.
Bitterer Tag für viele Konservative
Für viele Konservative in der Union ist der Freitag ein bitterer Tag, an dem ihre Partei nach einem Kursschwenk von Angela Merkel in einer Talkrunde und der Aufhebung des Fraktionszwangs die nächste traditionelle Wertüberzeugung über Bord geworfen hat. Wolfgang Bosbach sitzt nach der Debatte im Ledersofa auf der Plenarebene und tippt wütend in sein Smartphone. Es stehe im Grundsatzprogramm der CDU, dass die Partei die Ehe nicht für alle öffne, sagt er. „Jetzt hat die Parteiführung im Alleingang durchgesetzt, dass der Bundestag das Gegenteil beschlossen hat.“ Für Bosbach ist der Freitag der letzte Tag im Parlament. „Der Beschluss macht mir den Abschied etwas leichter. Es war die richtige Entscheidung, nicht noch einmal zu kandidieren“, sagt er verbittert.
Die Debatte war intensiv, teils hoch emotional. Grünen-Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt zeichnet die Stationen der Schwulen- und Lesben-Bewegung nach: Bis 1969 wurden Homosexuelle in Deutschland strafrechtlich verfolgt, zehntausende Urteile verhängt. Erst 1994 wird der Paragraf 175 abgeschafft. Vor 25 Jahren bestellten dutzende homosexuelle Paare, darunter viele Prominente, in der „Aktion Standesamt“ das Aufgebot, wurden aber von den Standesämtern zurückgewiesen. 2001 dann führte die rot-grüne Regierung das Lebenspartnerschaftsgesetz ein, es folgten weitere Gleichstellungen, doch die Ehe und das Adoptionsrecht blieb schwulen und lesbischen Paaren verwehrt. „Hier wird gerade Geschichte gemacht“, schließt Göring-Eckardt. „Es ist genug Ehe für alle da.“
"Kein Kind wird weniger geboren"
Eindringlich wendet sich der CDU-Abgeordnete Jan-Marco Luczak an seine eigene Fraktion, wirbt für das Ja zur Homo-Ehe: „Kein Kind wird weniger geboren, nur weil es Schwulen und Lesben auch möglich ist zu heiraten. Wenn wir die Ehe für alle beschließen, setzen wir ein Stück bürgerliche Politik um“, so seine Worte. „Gebt Euch einen Ruck, damit wir neue und traditionelle Werte zusammenbringen.“ Dutzende Fraktionsmitglieder klatschen laut Beifall. Unter den 75 Abgeordneten aus der Union, die schließlich mit Ja stimmen, sind Kanzleramtschef Peter Altmaier, Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen und Präsidiumsmitglied Jens Spahn (alle CDU). Spahn twittert anschließend stolz, aus der Union seien mehr Ja-Stimmen gekommen als jeweils von Grünen und Linkspartei. Zum Testlauf für Rot-Rot-Grün im Bund ist die Homo-Ehe somit nicht geworden.
Unionsfraktionschef Volker Kauder hatte in seiner Rede für ein Nein geworben: Für ihn sei die Ehe „eine Verbindung von Mann und Frau“. Auch wenn Christen zu anderen Überzeugungen kommen könnten: „Ich würde das aus Gewissensgründen nie unterschreiben.“ CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt nannte die Ehe eine „Gemeinschaft von Mann und Frau, aus der Kinder geboren werden“. Die Ehe müsse „die Keimzelle der Gesellschaft und der Grundordnung unseres Staates“ bleiben und dürfe nicht geöffnet werden. Denn „Ungleiches ist nun mal nicht gleich“.
Respekt - bis auf zwei Ausnahmen
Die Debatte ist von großem Respekt geprägt, bis auf zwei Ausnahmen: Eine Wut-Rede von Johannes Kahrs, der für die SPD seit Jahren für die Ehe für alle kämpft und mächtig aus der Haut fährt. „Ihr Schwurbeln steht mir bis hier“, attackierte er die Kanzlerin mit überschlagender Stimme, schlägt dabei immer wieder aufs Rednerpult. Dass Merkel die Ehe für alle zur Gewissensfrage erklärt habe, aber erst das nächste Parlament habe abstimmen lassen wollen, sei „erbärmlich“. „Vielen Dank für nichts!“, schließt er voller Empörung, erntete dafür auch befremdete Blicke aus der eigenen Fraktion.
SPD-Fraktionschef Oppermann entschuldigt sich später vor laufenden Kameras für den Auftritt. Für eine Breitseite gegen die Kanzlerin nutzt auch Erika Steinbach, seit ihrem Austritt aus der CDU fraktionslose Hinterbänklerin, ihre kurze Redezeit im Plenum, macht Merkel für die „unwürdige Sturzgeburt“ verantwortlich. Die Abstimmung sei „an Peinlichkeit nicht zu überbieten“, ereifert sich Steinbach. Der Bundestag ähnle einer „Kanzlerdemokratie“, in der sich Merkel auch zur Führerin ihrer Fraktion aufschwinge.
Ulli Köppe, der junge Mann, der die Kanzlerin am Montagabend mit seiner Frage beim „Brigitte“-Talk aus der Reserve gelockt und die Kettenreaktion damit in Gang gesetzt hatte, sitzt mit seinem Freund auf der Besuchertribüne. „Das ist für uns ein sehr bewegender Moment“, sagt er. „Mein Leben ist dabei zu explodieren.“ Köppe hatte versucht, vor der Abstimmung ein Selfie mit der Kanzlerin zu schießen, doch die lehnte ab. „Ich glaube, sie hat mich auch nicht erkannt“, sagt er und lacht laut. Wann sein Freund und er heiraten wollen, steht noch nicht ganz fest. „Aber lange werden wir jetzt nicht mehr warten.“
- Adoptionsrecht ,
- Gleichgeschlechtliche Ehe ,
- Hochzeiten ,
- Deutscher Bundestag ,
- SPD ,
- Bundeskanzlerin Angela Merkel ,
- Dietmar Bartsch ,
- Erika Steinbach ,
- Gerda Hasselfeldt ,
- Jens Spahn ,
- Johannes Kahrs ,
- Katrin Göring-Eckardt ,
- Martin Schulz ,
- Norbert Lammert ,
- Peter Altmaier ,
- Thomas Oppermann ,
- Ursula von der Leyen ,
- Volker Beck ,
- Volker Kauder ,
- Wolfgang Bosbach