Diesel verpesten Städte - und das sind die Folgen

Mit Schadstoff-Karte für NRW

Stundenlang haben Autobranche und Politik beim Dieselgipfel am Mittwoch gerungen. Um die Zukunft der Diesel-Technologie? Auch. Am Ende geht es aber wohl um etwas anderes: die Luftqualität in unseren Städten. Wo die Luftverschmutzung in NRW am größten ist, zeigen wir auf einer Karte- und gehen der Frage nach, wie gefährlich diese Verschmutzung ist.

NRW

von Henning Brinkmann, Tobias Schmidt, Silas Schefers

, 04.08.2017, 05:00 Uhr / Lesedauer: 3 min

Software-Updates für mehr als fünf Millionen Diesel-Autos sollen Abhilfe schaffen – sie sind das Hauptergebnis des Dieselgipfels am vergangenen Mittwoch. Die Folge der Software-Neuauflage, wenn es nach dem Verband der Automobilindustrie (VDA) geht: eine drastische Senkung der NOx-Emissionen. Um 25 bis 30 Prozent, heißt es.

Hinter der kryptischen Abkürzung NOx verstecken sich Stickoxide. Sie sind ein Grund für die Luftverschmutzung in unsere Städten – und zwar auch in Nordrhein-Westfalen. Dass die Luft in zehn NRW-Städten zu stark mit schädlichem Stickstoffdioxid – das zur Gruppe der Stickoxide gehört – belastet ist, geht aus Messwerten des Umweltbundesamts (UBA) für 2016 hervor.

Schuld sind vor allem: alte Diesel-Autos

Spitzenreiter in Sachen dicke Luft ist demnach Köln, gefolgt von Düsseldorf, Dortmund und Hagen. Überschritten wurde der zulässige Jahresmittelwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft auch in Wuppertal, Aachen, Gelsenkirchen, Oberhausen, Essen und Leverkusen. Schuld sind nach Worten von UBA-Präsidentin Maria Krautzberger vor allem: alte Diesel-Autos.

 

Mit einem Klick in die Karte können Sie sich die Werte vieler weiterer Messstellen in Städten in NRW ansehen.

 

Die Symptome sind also messbar. Die Hauptursache – der schmutzige Diesel – soll nun vor allem mit dem Software-Update bekämpft werden. Doch seine Wirksamkeit ist schon jetzt umstritten. Neue Diesel werden nach Einschätzung von Verkehrsexperte Peter Mock auf der Straße auch mit Software-Update die Grenzwerte für gesundheitsschädliche Stickoxide um ein Vielfaches überschreiten.

Der Experte macht eine einfache Rechnung auf: Laut Umweltbundesamt stoßen Euro-6-Diesel mit 507 Milligramm auf der Straße mehr als sechsmal so viel NOx pro Kilometer aus, wie auf dem Prüfstand im Labor erlaubt ist – nämlich 80 Milligramm. "Wenn man nun annimmt, dass das Software-Update tatsächlich bei allen Fahrzeugen 30 Prozent bringen würde, dann wären wir bei 355 Milligramm pro Kilometer", sagte Mock der Deutschen Presse-Agentur nach dem Dieselgipfel. "Das ist immer noch mehr als viermal so hoch wie das gesetzliche Euro-6-Limit."

Software-Update – was heißt das genau?
Vorgesehen sind die Software-Updates für 5,3 Millionen Dieselfahrzeuge der Abgasnormen Euro 5 und Euro 6, die die Grenzwerte überschreiten, darunter alleine 2,5 Millionen Volkswagen. Dadurch soll erreicht werden, dass mehr des Harnstoffes Ad Blue in den Motor gespritzt wird, um Stickoxid zu neutralisieren. Die Kosten von rund 100 Euro pro Wagen übernehmen die Hersteller. Beteiligt sind neben VW Wagen von Daimler, Opel und BMW. Bis Ende 2018 soll die Umrüstung abgeschlossen sein. In der Werkstatt dauert das Update dann etwa eine Stunde, wie Daimler-Chef Dieter Zetsche sagt. Motorleistung und Verbrauch sollen sich dadurch nicht verschlechtern, versichern die Konzerne.

Dass die Nachbesserungen an den Autos noch über die Software-Updates hinausgehen, kann allerdings bezweifelt werden. Direkte Nachrüstungen an den Diesel-Fahrzeugen? Die Autoindustrie winkt ab. "Wir halten es für ausgeschlossen, Hardware-Nachrüstungen vorzunehmen", formuliert VW-Boss Matthias Müller nur kühl. Seine Ingenieure wolle er gern zukunftsorientiert arbeiten lassen – und nicht an Motoren, die 10 und 15 Jahre alt sind. Hendricks sowie Niedersachsens Ministerpräsident und VW-Aufsichtsrat Stephan Weil (SPD) sagen allerdings, das Thema sei nicht vom Tisch. Nun sollen auch Expertenrunden darüber beraten.

Diesel sorgt für 60 Prozent Mehrausstoß von Stickoxiden pro Jahr in der EU

Doch wie gefährlich sind die Stickoxide wirklich – und damit unsere Diesel? Darüber gibt es unterschiedliche Meinungen. Rund 38.000 Menschen sind einer Hochrechnung der Organisation Environmental Health Analytics zufolge wegen nicht eingehaltener Abgasgrenzwerte bei Dieselfahrzeugen weltweit allein im Jahr 2015 vorzeitig gestorben. 11.400 dieser Todesfälle entfallen auf die EU, wie ein wissenschaftliches Team um Susan Anenberg von der Organisation Environmental Health Analytics (LLC) in Washington berichtet. Die Gesamtzahl vorzeitiger Todesfälle durch Stickoxide aus Dieselabgasen lag demnach für die weltgrößten Automärkte bei 107.600.

Die Wissenschaftler errechneten, dass Dieselfahrzeuge jährlich rund 4,6 Millionen Tonnen Stickoxide mehr ausstoßen als sie nach geltenden Abgasgrenzwerten dürften. Im Jahr 2015 habe der Gesamtausstoß in der Folge bei 13,1 Millionen Tonnen gelegen, schreiben die Forscher im Fachmagazin "Nature". 

Dieselautos verursachen in den EU-Ländern etwa 60 Prozent des Mehrausstoßes an Stickoxiden pro Jahr. "Bisher stand oft der Betrug an den Autobesitzern im Mittelpunkt. Jetzt wird klar, welche Größenordnung der Skandal hat und welche Auswirkungen dies auf die Umwelt und die Gesundheit der Menschen hat", sagte Benjamin Stephan von Greenpeace zur Studie und ihren Folgen für den Diesel-Abgasskandal.

Der Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestags zum Abgasskandal spricht allerdings eine andere Sprache. Darin heißt es: "Epidemiologisch ist ein Zusammenhang zwischen Todesfällen und bestimmten NO2-Expositionen im Sinne einer adäquaten Kausalität nicht erwiesen". Dem widersprechen eine Reihe wissenschaftlicher Experten. So sagt Nino Künzli vom Schweizer Tropen- und Public-Health-Institut (TPH) in Basel: "Die Kombinationswirkungen von NO2 mit anderen immer präsenten Schadstoffen sind auch toxikologisch kaum erforscht, weshalb es auch nicht angemessen ist, NO2 per se als unbedenklich zu bezeichnen".

Mit Material von dpa