„Die Perfektion wird zu kurz kommen“ – Autorin Robles Salgado über gleichberechtigte Elternschaft
Arbeitsteilung bei Eltern
Kindererziehung in gleichberechtigter Aufteilung – das bleibt für viele Elternpaare eine Utopie. Denn allzu häufig verfallen Paare in die traditionelle Rollenaufteilung. Wie sich daraus ein Ausweg finden lässt, erklärt Autorin Isabel Robles Salgado im RND-Interview.

Isabel Robles Salgado ist Bloggerin aus Berlin. © picture alliance/dpa
Viele Paare möchten Elternschaft gleichberechtigt leben, scheitern aber oft an der Realität. Selbst im Jahr 2021 leben die allermeisten Elternpaare eine traditionellere Rollenaufteilung – und damit konträr zu ihren eigenen Wünschen. Die Gründe dafür liegen laut der beiden Autorinnen Marie Zeisler und Isabel Robles Salgado an den politischen Rahmenbedingungen und daran, dass sich Frauen vorrangig für alle Familienbelange verantwortlich fühlen. Die beiden Mütter haben 2012 das Onlinemagazin Little Years gegründet und aktuell ihr Buch „Fifty-fifty-Eltern: Raus aus der ‚Mama ist für alles da‘-Falle“ (176 Seiten, 19,99 Euro) auf den Markt gebracht. Im Interview mit dem RND gibt Robles Salgado Tipps, wie Paare ihren Weg zur Gleichberechtigung schaffen können.
Väter gehen in Elternzeit, Mütter arbeiten. Warum müssen wir uns heute eigentlich noch über gleichberechtigte Elternschaft unterhalten?
Weil man bei genauerer Betrachtung sieht, dass es überhaupt nicht gleichberechtigt zugeht. In der Regel verdient der männliche Part immer noch mehr als der weibliche. Der weibliche Part übernimmt meist den größten Teil der Elternzeit und arbeitet danach oft nur in Teilzeit weiter. Die ganze unbezahlte Arbeit in der Familie wie Betreuungsarbeit, Haushalt und die ganze Organisation wird immer noch zu 90 Prozent von den Frauen übernommen. Und das neben ihrer eigenen Berufstätigkeit. Viele Mütter stehen deshalb an der Grenze zum Burnout. Und solange die Politik da noch nicht gegensteuert, muss man die Gerechtigkeit zu Hause selbst regeln. Darum haben wir das Buch geschrieben.
Wenn sich Paare mehr Gerechtigkeit wünschen: Wo fangen sie dann an?
Letzten Endes kommt es immer auf die Rahmenbedingungen an. Jede Familie ist anders und nicht immer muss 50:50 das Richtige sein. Manchmal ist es auch schlicht nicht möglich. Aber es geht darum, dass man auf Augenhöhe ist, sich immer wieder austauscht und dass man schon zumindest versucht, gerade die unbezahlte Arbeit möglichst gerecht zu verteilen.
Und wann ist der beste Zeitpunkt, damit anzufangen?
Am besten liest man das Buch schon in der Schwangerschaft, damit man schon die Elternzeit aufteilt. Dann hat man den ersten Schritt getan. Oft fahren Paare in der Elternzeit des Mannes in den Urlaub – wenn er überhaupt Elternzeit nimmt! Das heißt, der Vater erlebt nie, was es eigentlich bedeutet, mit dem Kind oder den Kindern alleine zu sein, Alltag zu haben. Dann ist man schon in so einem Strudel, denn die Frau hat einen Wissensvorsprung, sie kennt das Kind, die Abläufe. Das sind keine guten Rahmenbedingungen für Gleichberechtigung. Aber es ist nie zu spät, um in eine gleichberechtigte Beziehung einzusteigen! Auch wenn man Jahre lang im klassischen Modell gelebt hat, kann man die Dinge ändern.
Sie schreiben, dass man selbst Schwangerschaft gerechter aufteilen kann. Das müssen Sie erklären.
Viele Frauen denken: Ich habe das Baby im Bauch, das ist gerade mein Business. Aber man könnte auch als Vater nicht nur die Frau zu den Untersuchungen begleiten, sondern sagen: Du trägst das Kind ja schon aus, ich kümmere mich um den Rest. Zum Beispiel Vorbereitungskurse raussuchen, für die Geburt anmelden, recherchieren, welcher Kinderwagen der richtige wäre und welches Kinderbett wir kaufen. Wenn man das in der Schwangerschaft schon so im Kopf hat, wird es auch so bleiben, wenn das Baby kommt. Es geht ja ganz viel darum, dass sich Väter auch verantwortlich fühlen.
Wie ungerecht sich Elternpaare die Aufgaben teilen, wird den meisten Frauen aber erst bewusst, wenn sie wieder in den Job einsteigen, oder nicht?
Genau. Ich kenne auch Paare, bei denen die Frau nach vielen, vielen Jahren sagt: Das ist nicht fair, wie wir uns das aufteilen. Genauso wie ich Paare kenne, bei denen die Frau einen ordentlichen finanziellen Ausgleich dafür bekommt, dass sie die Arbeit zu Hause macht. Wenn alle damit zufrieden sind, ist das auch total okay. Aber viele merken eben doch irgendwann, dass es ungerecht ist. Wenn sie an ihre Rente denken oder merken, dass sie nie wieder Erfolg im Beruf haben werden. Und denen kann ich nur empfehlen: Redet, redet, redet!
Das könnte mühsam werden …
Ja, das ist das Gute, aber klar, auch ein bisschen das Nervige an einer gleichberechtigten Partnerschaft: Man muss wirklich wahnsinnig viel reden. Aber es ist wichtig, dass die Frau deutlich macht, was sie belastet, und sich mit ihrem Partner zusammensetzt und das bespricht. Oft sieht er einfach gar nicht, was sie jeden Tag leistet. Darüber müssen Paare ins Gespräch kommen, um dann die Aufgaben besser zu verteilen.
Was ist ein guter Einstieg ins Gespräch?
Es ist immer eine gute Sache, keine Vorwürfe zu machen und das Gespräch in aller Freundschaft zu suchen. Dann kann man zum Beispiel auflisten, um was man sich alles kümmert, und wie belastend das im Kopf ist, Stichwort Mental Load. Vielleicht geht es aber auch eher um Existenzängste, weil die Frau merkt, wie abhängig sie ist und dass sie sich beruflich gerne anders aufstellen würde. Dann würde ich vorrechnen, wie sich die Gehälter seit der Geburt des Kindes verändert haben und versuchen, eine Lösung zu finden, wie man sich gerechter aufteilt. Entweder, indem man die Care-Arbeit aufteilt, sodass sie mehr Zeit für ihren Job hat, oder, indem man einen finanziellen Ausgleich schafft.
Und wie schafft man es, sich am Ende nicht in Erbsenzählerei zu verstricken und darüber zu streiten, wer jetzt genau 50 Prozent der Einkäufe wegräumt?
Na ja, es gibt auch Paare, die stehen auf Erbsenzählerei. Die machen wirklich alles genau fifty-fifty und stoppen sogar die Zeit. Ich finde aber, das muss nicht sein. Im Idealfall sagt jeder, was er gern macht und was ihm leicht fällt im Haushalt, und dann teilt man einfach ganze Bereiche auf. Wichtig ist, die Denk- und Organisationsarbeit nicht zu vergessen, also: Schuhe, Kleidung für die Kinder kaufen, Geburtstage organisieren, Verabredungen koordinieren, Arzttermine machen – all diese Dinge. Und To-dos abgeben heißt natürlich auch, dass man lernen muss, den anderen machen zu lassen, auch wenn er es vielleicht anders macht als man selbst. Das ist ein Prozess, der vermutlich nie aufhören wird. Mein Mann und ich versuchen das mit der gerechten Aufgabenteilung seit acht Jahren und trotzdem denke ich oft, wenn er meine Tochter anzieht: Oh Gott! Aber ich weiß halt auch mittlerweile, dass es keine Katastrophe ist, wenn das Kind ein bisschen zu bunt angezogen ist.
Wenn das Reden so wichtig ist: Worauf sollten Paare dabei achten?
Im Grunde sind das die Dinge, auf die man nicht nur in Paarbeziehungen achten sollte, also zum Beispiel nicht mit Vorwürfen arbeiten. Am besten spricht man miteinander, wenn man nicht schon total angefressen ist. Statt sich eine Woche darüber zu ärgern, dass der Partner dieses oder jenes nicht sieht, lieber direkt ansprechen. Worte wie „immer“ oder „nie“ sollte man lieber nicht benutzen, stattdessen konstruktiv an die Sache herangehen und auch die Position des anderen versuchen zu verstehen. Das ist übrigens auch etwas Schönes, was eine gleichberechtigte Partnerschaft mit sich bringt: Dass man die Position des anderen besser versteht.
Die Dinge direkt anzusprechen birgt aber auch die Gefahr der Nörgelfalle. Ständig zu ermahnen, das mögen Mütter oft an sich selbst nicht leiden.
Statt die Mutter als Hausdrachen zu sehen, der immer nur rummeckert, sollte man aber vielleicht einfach sehen, dass die Mutter wirklich überlastet ist. Ständig nörgelnde Frauen sind das in der Regel. Sie meckern ja nicht, weil sie Lust darauf haben. Und den Frauen würde ich raten, einfach mal ein paar Tage wegzufahren und die Familie mit dem Krempel allein zu lassen. Vielleicht sieht der Partner dann auch eher, warum sie so überlastet ist. Weil es nämlich wirklich viel ist, was in so einer Familie an Arbeit anfällt. In einer Beziehung auf Augenhöhe sollten die Partner einander ernst nehmen.
Ein Problem ist aber auch, dass Partner unterschiedliche Vorstellungen haben. Auch wenn es klischeehaft klingt, aber ist es nicht tatsächlich immer noch oft so: Die Mutter sorgt für gesundes Essen, passt der Vater auf, gibt es Aufbackpizza?
Es ist ja schon Quatsch, beim Vater vom „Aufpassen“ zu sprechen. Er ist ja kein Babysitter, sondern kümmert sich um seine eigenen Kinder. Und wenn er das mehr als einmal im Monat macht, wird er merken, dass es nicht so cool ist, wenn es jeden Abend Aufbackpizza gibt. Aber ja, man muss sich über Standards unterhalten und auch da einander ernst nehmen. Der andere erfüllt die Sauberkeitsstandards vielleicht nicht zu 100 Prozent, aber vielleicht kann man sich auf 85 Prozent einigen. Klar ist auch: Die Perfektion kommt ganz oft zu kurz, wenn sich zwei Leute darum kümmern. Aber dafür gewinnt man an ganz vielen anderen Stellen!
Viele Paare haben hehre Ziele in Sachen Gleichberechtigung – dann holt sie die Realität aber ein. Spätestens beim zweiten Kind.
Ja, da muss man wirklich aufpassen. Uns ist das auch fast passiert. Ich wollte beim zweiten Kind die Elternzeit genießen und länger zu Hause bleiben. Dann sind wir in der Elternzeit meines Mannes auch noch in den Urlaub gefahren. Bis zur Kita-Eingewöhnung hatte mein Mann also noch keinen ganzen Tag mit beiden Kindern allein verbracht, und gehaltsmäßig hatte er mich auch noch total überholt. So waren wir plötzlich drin in der klassischen Falle und das kann ich sagen: Es ist ein hartes Stück Arbeit, da wieder rauszukommen! Aber es funktioniert. Wir haben viel geredet und die Dinge wie Haushalt, Mental Load und Kinderbetreuung wieder besser aufgeteilt. Ich habe damals übrigens bewusst ganze Bereiche abgegeben. Also nicht nur einzelne Aufträge, sondern die Arzttermine waren von da an nur noch sein Bier. Genau wie die Essensplanung und der dazugehörige Einkauf. Das kann er eh besser!
Sie haben es gerade selbst gesagt: Sie wollten die Elternzeit genießen. Ist das denn so falsch – selbst wenn es vielleicht nach tradierten Rollenmustern klingt?
Nein, das überhaupt nicht falsch! Die Zeit mit Kindern ist schön. Aber genau deshalb ist nur gerecht, auch diese Zeit aufzuteilen. Es geht eben nicht nur darum, die unangenehme Care-Arbeit gerechter zu verteilen. Der Vater soll ja auch die Kinder aufwachsen sehen und an dem Leben der Kinder teilhaben. Und wie gesagt: Wenn ein Paar das nicht will und sich dafür entscheidet, dass sie diese Zeit alleine macht, dann sollte man zumindest schauen, dass man das finanziell ausgleicht. Es ist einfach wahnsinnig ungerecht, wenn einer die ganze Zeit unbezahlt arbeitet und nie aus der „Teilzeitfalle“ rauskommt. Übrigens haben Väter es auch viel einfacher, nach der Elternzeit ohne Karriereknick weiterzuarbeiten. Es wird zwar gerne das Gegenteil behauptet, aber das stimmt nicht. Väter werden sogar eher befördert! Es ist also nur fair, wenn sie nicht die ganze Bürde, die Familie im Jobkontext ja immer noch bedeutet, auf sich nimmt. Das gilt dann auch für danach: Er soll bitte genauso zu Hause bleiben, wenn das Kind krank ist. Auf lange Frist hat das alles sowieso nur Vorteile: Im Falle einer Trennung, eines Unfalls oder einer Krankheit steht die Familie zum Beispiel nicht „ohne alles“ da.
Und wenn es keinen Vater oder keine Mutter gibt? Alleinerziehende haben keine Chance auf Fifty-Fifty. Können sie trotzdem die Lasten besser verteilen?
Dem Thema „Nach der Trennung“ haben wir ein Extrakapitel gewidmet. Interessanterweise klappt es nämlich bei vielen Paaren mit der hälftigen Aufteilung plötzlich nach der Trennung. Das ist oft ein unangenehmer Prozess, aber es kann klappen. Dann gibt es aber natürlich auch Alleinerziehende, die keinen Partner haben. Hier ist es sehr sinnvoll, egal in welcher Konstellation man lebt, Netzwerke aufzubauen. Aus Freunden, Nachbarn, Erzieherinnen und Erziehern oder Lehrkräften. Es ist wichtig, dass man nicht alleine mit allem ist. Das ist die schlimmste Entwicklung der Neuzeit, dass Familie so oft auf einer Person lastet und das ist eben meistens die Mutter. Es ist nicht so gedacht, dass wir Kinder allein großziehen. Das ist zu viel für eine Person. Es braucht ein ganzes Dorf.