
© Martina Niehaus
Hausaufgaben „aus der Hölle“: Feuer legen und tote Tiere sammeln
Homeschooling
Sie meinen es ja gut: Mit kreativen Hausaufgaben wollten Lehrer unsere Kinder im Lockdown bei Laune halten. Das freute uns Eltern. Und brachte uns um den Verstand. Die Beispiele unserer Autorin haben viele unserer Leser interessiert.
Anmerkung der Redaktion: Dieser Text erschien zuerst im Februar 2021. Er ist unser Lesetipp des Tages.
Einer der Sprüche, die mir im Homeoffice immer wieder einfallen, lautet: „Das Leben ist kein Ponyschlecken.“ Jetzt habe ich mit älteren Kindern, die schon ganz selbstständig arbeiten können, eigentlich das große Los gezogen. Und ich kann auch von zu Hause aus arbeiten und ihnen helfen, wenn mal etwas nicht klappt.
Also gebe ich zu: Ich jammere auf hohem Niveau. Aber manchmal wünsche ich mich weit weg. Dann nämlich, wenn die Lehrer auf die glorreiche Idee kommen, mit ausgefallenen Hausaufgaben die Laune und Kreativität der Kinder zu steigern.
Warum einfach, wenn’s auch kompliziert geht?
Das ist ja durchaus nett gemeint und sicher pädagogisch wertvoll. Anfangs beschwerten sich die Eltern, wenn die Hausaufgaben langweilig waren. „Bearbeite im Englischbuch die Aufgaben 1 bis 3 auf Seite 45.“ Was für ein Aufschrei da durch die WhatsApp-Gruppen ging!
Dann kam der zweite Lockdown. Und mit ihm die Hausaufgaben aus der Hölle. Ich beginne mit einem leichten Einstieg.
1. „Heut ist ein Tag, an dem ich singen kann“
„Finde das Lied ,Heut ist ein Tag’ im Internet und höre dir alle Strophen an. Du darfst dabei auch klatschen, stampfen, flöten und laut mitsingen. Anschließend schreibst du die Noten auf Notenpapier ab. Erkläre, was das Vorzeichen Fis bedeutet und was ein Viervierteltakt ist. Du darfst auch googeln. Frag deine Eltern, ob sie dir helfen.“ (6. Schuljahr, Musik)
Beim Lesen dieser Aufgabe begann mein Elfjähriger sofort durchs Haus zu tanzen. Aber nicht fröhlich klatschend. Eher stampfend und fluchend. Elfjährige hören Rap, keine Lieder aus der Krabbelgruppe.

Ist das nicht ein Tag, an dem ich froh sein kann? Findet der Elfjährige gar nicht. © Martina Niehaus
Und da die Kinder vorher nie im Unterricht besprochen hatten, was Vorzeichen oder Takte sind, durfte ich das herausfinden. „Frag deine Eltern“: Das macht richtig Laune zwischen Arbeit und Essenkochen. Doch es kommt noch besser.
2. Erfinde einen Walzer
„Erfinde deine eigene Walzer-Choreografie. Tanze zu einem Lied deiner Wahl, das dir gefällt. Vorschläge findest du im Internet. Bitte deine Eltern, dich dabei zu filmen, und lade das Video hoch. Die Klasse entscheidet, wer den schönsten Tanz getanzt hat.“ (8. Schuljahr, Musik)

Links zwo drei, und eine Drehung bitteschön: Lukas hat eine gute Haltung beim Walzertanz. © privat
Diese Aufgabe hat meine Freundin zur Verzweiflung gebracht. Und ihren Sohn Lukas erst recht. Der 14-Jährige schlug sich tapfer und tanzte zu Leo Sayers „When I need you“ im schönsten Walzertakt im Wohnzimmer herum. Seltsamerweise möchte er sein Gesicht auf dem Foto nicht zeigen. In der Zwischenzeit ging sein kleiner Bruder auf Essenssuche:
3. Gestalte aus Obst und Gemüse ein Streetart-Kunstwerk
„Suche in der Küche nach Obst und Gemüse. Gestalte daraus ein Kunstwerk im Streetart-Stil. Fotografiere dein Kunstwerk und lade es hoch.“ (7. Schuljahr, Kunst)
Was noch fehlt bei der Aufgabenstellung? „Bitte deine Mutter, nicht sauer zu sein. Denn du hast das gesamte frische Obst, das sie eingekauft hat, für dein Kunstwerk benutzt. Du hast die Äpfel mit Edding bemalt und sämtliche Apfelsinen geschält, ohne sie zu essen. Die Avocado, die für die Guacamole bestimmt war, hast du entkernt und ausgehöhlt. Den Inhalt hast du in den Müll geworfen, weil du ja nur die Schale brauchtest.“ Immerhin hatte der Junior Spaß bei der Aufgabe. Auch die nächsten Kunstwerke machten den Kindern Spaß. Den Eltern weniger.
4. Bau eine Corona-Maske aus Müllresten
„Gestalte dir deine ganz eigene Corona-Maske aus Dingen, die du im Abfall findest. Schick ein Bild mit deiner Maske an deine Lehrerin. Viel Spaß!“ (6. Schuljahr, Kunst)
Bei der Aufgabenstellung hätten meine Jungs mit ihrem Hang zum Minimalismus vermutlich eine Einwegmaske aus dem Müll gefischt. Der Sohn meiner Freundin Astrid war da kreativer und bastelte eine richtig tolle Maske.

Nicht ganz FFP2, aber ungewöhnlich: Die Maske aus Müll. © privat
Sie müffelt ein wenig, und meine Freundin durfte das Homeoffice unterbrechen, weil Jo den Mülleimer in der Küche ausgeleert hatte. Aber ein bisschen Schwund ist immer. Die nächste Hausaufgabe ist nichts für schwache Nerven.
5. Finde tote Tiere im Garten und zeichne sie.
„Such in deinem Garten, am Straßenrand oder im Wald nach toten Tieren. Dann wählst du ein Exemplar aus und fertigst eine Zeichnung davon an.“
(6. Schuljahr, Biologie)
Bekommt mein Sohn eine solche Aufgabe, begnügt sich der Junge nicht mit einer Spinne oder zwei Fliegen. Mehrere Tage lang schleppte er emsig Leichen an. Wie die Katze, die mir Mäuse auf die Matte legt. Und wie die Katze erwartete er auch Lob dafür. Die Amsel und das plattgefahrene Eichhörnchen bekamen trotzdem ein dickes Veto. Am Ende haben wir uns auf einen Rehschädel geeinigt, der zum Glück schon ein paar Jahre alt ist. Den zeichnet er gerade. Sieht super aus.

Ist doch hübsch geworden. Heute frage ich mich, warum ich bei Bambi die schlimmen Stellen immer vorgespult habe. © Martina Niehaus
6. Feuer und Flamme: Finde heraus, was schneller brennt
„Verschiedene Stoffe geraten bei unterschiedlichen Temperaturen in Brand. Legt man Holzspäne, Wolle, Zeitungspapier und ein Stück Holz mit Abstand auf eine Platte und erhitzt diese – was fängt zuerst an zu brennen und warum?“
(8. Schuljahr, Chemie)
Die Chemielehrerin bekam Mails von aufgebrachten Eltern, deren Kinder diese Aufforderung zu wörtlich genommen hatten. Und die den Tag damit verbrachten, ihr Ceranfeld zu reinigen. Unser Vierzehnjähriger fragte zumindest vorsichtig, ob wir denn eine mobile Heizplatte für den Garten hätten. Beim nächsten Mal, liebe Chemielehrerin: Schreiben Sie bitte dazu, dass die Kinder das Versuchsergebnis nur RATEN sollen. Danke!
Eine gute Alternative: Vokabeln lernen
Meine Liste mit außergewöhnlichen Hausaufgaben ist noch lang – dies waren nur die TOP 6. Was langweilige Hausaufgaben betrifft, möchte ich betonen: Ich habe da nie gemeckert. Was gibt es Schöneres für viel beschäftigte Eltern?
Wenn die Kinder zu früh fertig waren, habe ich übrigens immer behauptet, sie müssten alle Vokabeln bis zum nächsten Tag auswendig lernen. Kleiner Tipp: Das klappt immer noch. Und das Haus brennt nicht ab dabei.
Begegnungen mit interessanten Menschen und ganz nah dran sein an spannenden Geschichten: Das macht für mich Lokaljournalismus aus.
