Die Banalität des Monströsen Neige Sinno wurde jahrelang von ihrem Stiefvater missbraucht

Die Banalität des Monströsen
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Jahrelang hat der Stiefvater Autorin Neige Sinno in ihrer Kindheit missbraucht, sie vergewaltigt. Erschütternd beschreibt sie in ihrem Roman „Trauriger Tiger“ nicht nur die Taten und den Täter, sondern vor allem das lebenslange Trauma des Opfers.

Neige Sinno musste erwachsen werden, um den Täter anzuzeigen. Er wurde verurteilt, saß im Knast – und konnte danach ein neues Leben beginnen. Neige musste ihr Leben weiterleben. Den Opfern wird kein Neubeginn geschenkt.

Pflichtlektür für Täter

Wem sollte man dieses Buch empfehlen? Allen Opfern natürlich, vor allem den sprachlosen, weil Neige Sinno ihnen eine Stimme schenkt. Allen Menschen, die immer wieder Entschuldigungen für die Täter finden.

Für Täter sollte „Trauriger Tiger“ Pflichtlektüre werden, damit sie Schwarz auf Weiß nachlesen können, wie sie ein Leben für immer bis hin zur Zerstörung gezeichnet haben. Und wenn sie das Buch zuklappen, sollte man sie zwingen, es noch einmal zu lesen. Und noch einmal. Und zwar genau deshalb: „Die Scham muss die Seite wechseln“, hat die 72-jährige Gisèle Pelicot jüngst im aufsehenerregenden Gerichtsprozess gegen ihren Ehemann gesagt, der seine bewusstlose Frau an zig Vergewaltiger verkauft hat.

Zum Thema

Roman

Neige Sinno: Trauriger Tiger, 304 S., dtv, 24 Euro. ISBN 978-3-4232-8422-6.

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