Der Tag, der alles verändert

Ukraine-Konflikt

EU, Nato, G7-Staaten, die Bundesregierung und der Bundestag kommen zu Sondersitzungen zusammen. Wie der Westen Putin stoppen wird, ist aber noch nicht beantwortet.

Berlin

24.02.2022, 21:17 Uhr / Lesedauer: 3 min
Eine Frau hält ihr Baby in einem Bus, während sie Kiew verlässt. Russische Truppen haben am Donnerstag ihren erwarteten Angriff auf die Ukraine gestartet.

Eine Frau hält ihr Baby in einem Bus, während sie Kiew verlässt. Russische Truppen haben am Donnerstag ihren erwarteten Angriff auf die Ukraine gestartet. © picture alliance/dpa/AP

Es ist ein Satz des Bundeskanzlers, der unter den vielen harten Reaktionen geschockter Politiker von Berlin bis Washington hervorsticht. Und es ist nicht die Ankündigung im Einvernehmen mit EU, Nato und USA, dass Wladimir Putin wegen seines nächtlichen Angriffs auf die Ukraine einen „bitteren Preis“ zahlen werde. Das ist nach den ersten Toten in dem nach Demokratie strebenden Land an diesem Donnerstagmorgen eher eine Selbstverständlichkeit.

Es ist diese Bemerkung von Olaf Scholz über den Kremlchef: „Letztlich stellt er damit auch die Friedensordnung unseres Kontinents infrage.“ Der Kanzler sichert den Nato-Verbündeten in Osteuropa ausdrücklich zu, dass Deutschland zur Beistandspflicht der Nato stehe. Das bedeutet: Wird ein Nato-Partner angegriffen, schlägt das ganze Militärbündnis zurück.

77 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg ist der Frieden in Europa durch den russischen Krieg gegen die Ukraine bedroht. „Putins Krieg“ wie Scholz sagt. Er steht in dunklem Anzug und mit dunkler Krawatte im Kanzleramt. Die Krisendiplomatie überschlägt sich. Die EU-Staats- und Regierungschefs treffen sich am Abend zu einem Sondergipfel in Brüssel, um das drastischste Sanktionspaket in ihrer Geschichte zu schnüren. Die Nato-Staaten schalten sich an diesem Freitag zusammen, der Bundestag kommt zu einer Sondersitzung am Sonntag zusammen. Dort wird Scholz eine Regierungserklärung halten.

Die Dimension des russischen Bombardements auf das Nachbarland wird an diesem Donnerstag, den 24. Februar 2022, den Scholz „furchtbar für die Ukraine“ und „düster für Europa“ nennt, schnell klar: Putin führt nicht ausschließlich einen militärischen Krieg gegen die Ukraine. Er hat sich politisch mit dem Westen angelegt.

Am Abend hält Scholz nur zweieinhalb Monate nach seiner Amtsübernahme die erste Fernseh-Ansprache. Schon die drei Flaggen, neben denen er steht, sind ein Statement: die deutsche, die europäische und die ukrainische. Männer, Frauen und Kinder müssten nur zwei Flugstunden von Berlin entfernt um ihr Leben bangen, sagt Scholz mit spürbarer Verachtung für Putin. Er verspricht der Ukraine „volle Solidarität“.

Scholz: Putin allein ist dafür verantwortlich

Putin wolle das Land „von der Weltkarte tilgen“, er füge seinem eigenen Land aber einen schweren Schaden zu. Er allein sei dafür verantwortlich – nicht die Bürgerinnen und Bürger Russlands, er solle die Entschlossenheit der Nato nicht unterschätzen. „Putin wird nicht gewinnen“, prognostiziert der Kanzler. Und der Westen werde dafür sorgen, dass der Konflikt nicht auf andere Länder übergreift.

Inwieweit andere Staaten nun hineingezogen werden, könnte sich danach richten, wer wann die Nerven verliert. Der russische Präsident warnt andere Staaten, sich ihm beim Vormarsch in die Ukraine in den Weg zu stellen. Seine Lügen in den vergangenen Monaten haben aber den Eindruck verstärkt, dass er allein interpretiert, ob sich jemand in den Weg stellt.

Mit den ersten russischen Einschlägen in der Ukraine hat eine neue Zeitrechnung begonnen. „Wir sind heute in einer anderen Welt aufgewacht“, sagt Außenministerin Annalena Baerbock am Donnerstagmorgen. Diese Welt wird nach den Worten von US-Präsident Joe Biden Russland zur Rechenschaft ziehen.

Wie konnte es nur zu all dem kommen? Von außen gelingt ein selbstkritischer Blick offenbar besser, als wenn man Teil des Ganzen ist. So schreibt die im Dezember aus dem Amt geschiedene Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) auf Twitter: „Ich bin so wütend auf uns, weil wir historisch versagt haben. Wir haben nach Georgien, Krim und Donbass nichts vorbereitet, was Putin wirklich abgeschreckt hätte.“ Späte Einsicht. Zu spät.

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Aber nicht nur Politiker sind aufgewühlt. Militärs sind es auch. Für Aufsehen sorgt der Inspekteur des Heeres, Alfons Mais. Er postet im Netz: „Ich hätte in meinem 41. Dienstjahr im Frieden nicht geglaubt, noch einen Krieg erleben zu müssen. Und die Bundeswehr, das Heer, das ich führen darf, steht mehr oder weniger blank da.“ Er sei „angefressen“.

Was will der Westen jetzt ausrichten?

Angefressen sind wegen dieses Wutausbruchs wiederum andere Generäle. Nach Informationen des RedaktionsNewetzwerks Deutschland (RND) beklagen sie intern, Mais sei eine Sicherung durchgebrannt. Genau das dürfe in einer solchen Krisenlage nicht passieren.

Sie sehen aber noch ein ganz anderes Problem: Die neue Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) stehe immer noch nicht im Stoff. Und der Kanzler habe zu spät Führung gezeigt. Die Bundeswehr sei in der Lage, mit Schiffen und Flugzeugen im Nato-Gebiet in Osteuropa die Präsenz signifikant zu erhöhen. Das alles hätte aber zur Abschreckung vor Putins Angriff auf die Ukraine geschehen müssen.

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Im Bundestag kommt am Mittag der Verteidigungsausschuss zusammen. Die Sitzung wird als geheim deklariert. Lambrecht spricht nach RND-Informationen dort darüber, möglicherweise Reservisten einzuberufen – um bei den Einsätzen in Osteuropa die Durchhaltefähigkeit zu gewährleisten. Öffentlich versichert Lambrecht, die Bundeswehr könne alle Nato-Anfragen erfüllen.

Auch der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz nimmt an der Sitzung teil, ebenso sein SPD-Counterpart Lars Klingbeil. Wenn solche Prominenz in dem Gremium auftaucht, heißt das: Es wird ernst. Es geht nun um die große Frage, was der Westen, dessen Diplomatie bisher scheiterte, jetzt ausrichten wird. Die Antwort steht vorerst aus.

RND


Der Artikel "Der Tag, der alles verändert" stammt von unserem Partner, dem RedaktionsNetzwerk Deutschland.

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