DDR-Literatur: Was sagen die Autoren?
Die Schriftsteller, die heute noch mit dem Begriff „DDR-Literatur“ verbunden werden, sind bereits gestorben oder hoch betagt, heißt es in einer neuen Dokumentation. In ihr beantworten Autoren auch die Frage, ob sie sich überhaupt als „DDR-Schriftsteller“ verstanden haben.

Auslaufmodell „DDR-Literatur“: Autoren gehen der Frage nach, wie sie sich selbst verstanden haben. Foto: Ch. Links Verlag GmbH
Haben sich Autoren wie Hermann Kant, Volker Braun oder Christoph Hein früher eigentlich immer ausdrücklich als „DDR-Schriftsteller“ verstanden? Bert Papenfuß meint, dass seine Bücher sicherlich als „DDR-Literatur“ gelten, „was mir übrigens heutzutage eher ein Schimpfwort zu sein scheint“.
Jens Sparschuh („Der Zimmerspringbrunnen“) äußert sein Unbehagen zu dem Thema, denn „man verkoppelt die eigenen Arbeiten nicht gern mit einem Staatswesen, das untergegangen ist“, ein „abgeschlossenes Sammelgebiet“ ist, wie Briefmarkensammler es nennen, oder nur eine „Fußnote der Geschichte“ ist, wie es Stefan Heym formulierte.
Die Äußerungen stammen aus dem neuen Dokumentationsband „Auslaufmodell „DDR-Literatur““ (Ch.Links Verlag, Berlin). Die Dokumentation erscheint einerseits wie ein Blick auf eine immer weiter aus dem Blickfeld geratende deutsche Kulturlandschaft aus scheinbar längst vergangenen Zeiten. „Wie man kaum noch die Namen der so maßlos erfolgreichen DDR-Olympioniken kennt, so ist der unmäßige Glanz vieler DDR-Autorennamen verblasst“, schreibt der Herausgeber Roland Berbig. Andererseits gibt seine Dokumentation interessante Einblicke von Betroffenen, die von zwei deutschen Staatssystemen geprägt wurden und sich schließlich quasi über Nacht nur noch in einem Land wiederfanden und das als Künstler, noch dazu als „Handwerker der deutschen Sprache“, verarbeiten mussten oder wollten.
So meint der Lyriker und Autor Richard Pietraß, er empfinde sich mit den Jahren „zunehmend als deutscher Schriftsteller mit ostdeutschen Wurzeln“, und „Bürger und Geisel der DDR bin ich lange genug gewesen“. Trotzdem sei es nicht falsch, bis zur Wende und ihrem Umfeld „in meinen Gedichten das ostelbische Wasserzeichen mitzulesen“. Und was die „ostdeutschen Wurzeln“ angeht, erinnert diese Formulierung an die neuerdings aufgekommene Debatte, ob die Erfahrungen der Ostdeutschen im wiedervereinten Deutschland den Erfahrungen der Menschen „mit Migrationshintergrund“ ähneln, also des Fremdseins und den damit zusammenhängenden Erlebnissen.
Für Hermann Kant, als langjähriger Vorsitzender des DDR-Schriftstellerverbandes und Mitglied des SED-Zentralkomitees auch einflussreicher Funktionär und Kulturpolitiker des Landes, war DDR-Literatur „deutsche Literatur aus einem sozialistischen Land“. Dabei machte er eine bemerkenswerte Differenzierung bei seinem eigenen Werk. „Die Aula“ könne gar nichts anderes als DDR-Literatur sein, meinte er. „Das ließe sich vom zehn Jahre später auch in der DDR geschriebenen „Aufenthalt“ nicht sagen, ändert aber nichts an seiner Zugehörigkeit zur DDR-Literatur.“
Ähnlich pragmatisch, also eher themenbezogen, sieht es die Liedermacherin Bettina Wegner, die 1983 die DDR verlassen hat. Sie selbst habe sich zwar nicht als DDR-Schriftstellerin verstanden, „aber zweifelsohne war ich eine“. Allein durch die Wahl der Themen und ihrer Bearbeitung „muss ich mich als Teil der DDR-Literatur einordnen“. Kerstin Hensel hat sich zwar als DDR-Schriftstellerin alleine schon deshalb gesehen, weil sie ja in diesem Land gewohnt habe. Mit dem politischen System habe sie sich nicht oder nur sehr wenig identifiziert, „aber das Land war doch „meines““.
Christoph Hein („Der fremde Freund“/„Drachenblut“) bringt einen anderen bemerkenswerten und übergeordneten, auch historischen Gedanken in die Debatte ein. Er wehrt sich dagegen, Schriftsteller auf eine mehr oder weniger zufällige Staatsbürgerschaft zu reduzieren und führt als berühmte Beispiele Theodor Fontane, Heinrich Mann, Johannes Bobrowski und Arno Schmidt an, die in verschiedenen Zeiten gelebt hätten, die sie und ihre Werke geprägt hätten. „Doch diese Autoren nun einem König oder Kaiser, einem Ulbricht oder Adenauer oder auch nur dem jeweiligen Herrschaftssystem zuzuordnen, wäre ein fragliches Unternehmen“, meint Hein. Alle vier seien deutsche Autoren, die sich sehr deutlich voneinander unterschieden und in verschiedenen deutschen Staaten lebten.
Während Volker Braun sich als Europäer sieht („und ich komme mir damit schon arg provinziell und eigenbrötlerisch vor“), sieht Jens Sparschuh selbst im engen deutschsprachigen Raum eine große Vielfalt. Denn jenseits der 40-jährigen Episode der politischen Teilung sei Deutschland doch immerhin so groß, „dass es hier norddeutsche (S. Lenz), westdeutsche (H. Böll), süddeutsche (M. Walser) und eben auch ostdeutsche (Chr. Hein) Autoren gibt“.
Ein oft weniger beachtete Aspekt in diesem Zusammenhang erwähnt der Herausgeber Roland Berbig, wenn er an die willkürliche Entscheidung der DDR-Behörden erinnert, die von den meisten DDR-Bürgern so schmerzlich vermisste Reisefreiheit im Kulturbereich abweichend zu regeln, was für DDR-Autoren nichts weniger bedeutete, als über den Tellerrand hinauszugucken und eben nicht nur DDR-Verhältnisse für ihr Werk als Grundlage nehmen zu können. Diese Tragweite sei in der DDR-Literaturforschung bisher „weitgehend marginalisiert“ worden, merkt Berbig völlig zu recht an.
Denn: „Der Umstand etwa, dass für Christa Wolf, Franz Fühmann, Volker Braun oder Heiner Müller das Passieren der deutsch-deutschen Grenze zu einer Selbstverständlichkeit wurde (...) und sich der Kreis dieser so privilegierten Autorinnen/Autoren relativ rasch erweiterte, zog bald alle begrifflichen Konstruktionen von „DDR-Autorschaft“ ins Zwielicht.“ Und, möchte man hinzufügen, war eigentlich erst dadurch den Autoren die Möglichkeit gegeben über die Frage zu reflektieren, ob sie nun ostdeutsche oder deutsche oder gar europäische Autoren sind.
- Roland Berbig (Hg.): Auslaufmodell „DDR-Literatur“ - Essays und Dokumente, Ch.Links Verlag, Berlin, 520 Seiten, 50,00 Euro, ISBN 978-3-86153-974-2.