Böhmermann wird keine Unterlassungserklärung abgeben

Streit um Schmäh-Satire

Der ZDF-Satiriker Jan Böhmermann (35) will im Streit um sein Erdogan-Gedicht keine Unterlassungserklärung abgeben. Böhmermanns Anwalt Christian Schertz bestätigte am Donnerstag einen entsprechenden Bericht. Erdogans deutscher Anwalt erklärte am Donnerstag, er rechne mit einem Prozess. Der ZDF-Redakteursausschuss fordert derweil, das Gedicht wieder in die Mediathek zu stellen.

von Benedikt Reichel

BERLIN

, 14.04.2016, 11:35 Uhr / Lesedauer: 4 min
 Jan Böhmermann sitzt in der Kulisse seiner Show "Neo Magazin Royale".

Jan Böhmermann sitzt in der Kulisse seiner Show "Neo Magazin Royale".

Anwalt Christian Schertz habe Erdogans Anwälten mitgeteilt, es sei „offensichtlich übersehen worden, dass das Gedicht nicht solitär verbreitet wurde, sondern in einer Gesamtdarstellung über das, was in Deutschland erlaubt ist und was nicht“. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hatte zuvor Anzeige gegen den ZDF-Satiriker erstattet. Böhmermann hatte sich in einem Schmähgedicht vor zwei Wochen in der Sendung „Neo Magazin Royale“ über Erdogan mit Begriffen unterhalb der Gürtellinie ausgelassen. In dem Zusammenhang wies Böhmermann aber darauf hin, das auch dies in Deutschland nicht erlaubt sei. Die Aktion war eine Reaktion auf Erdogans Empörung über einen Satire-Song in der ARD-Sendung "extra3". Der türkische Präsident hatte daraufhin den deutschen Botschafter einbestellen lassen. 

Urteil: Getriebener im Hamsterrad

Am Mittwochabend stellte Böhmermanns Produktionsfirma "Das Urteil" zur letzten Sendung online. Es lässt erahnen, wie es um den Satiriker, der mittlerweile unter Polizeischutz steht, bestellt ist. "Diese Woche war ja tierisch was los. Zeit, eine Einordnung der vergangenen Sendung vorzunehmen", heißt es zu dem Video, in dem ein Tier/eine Maus in einem Laufrad zu sehen ist. Böhmermann der Getriebene? Möglich. Jede Woche gibt es ein Urteils-Video zur vorangegangenen Sendung, in dem Böhmermann in der Regel auf Zuschauerkommentare eingeht. Bereits in der Woche nach dem Schmähgedicht hatte Böhmermann im "Urteil" aber nichts gesagt, sondern minutenlang lediglich mit fassungslosem Gesichtsausdruck Popcorn gegessen. Am heutigen Donnerstag wird es keine neue Ausgabe des "Neo Magazin Royale" geben. Der Sender ZDFneo zeigt stattdessen ein "Best of". 

Der deutsche Anwalt Erdogans bestätigte am Donnerstag, dass vonseiten Böhmermanns keine Unterlassungserklärung eingegangen sei. Die Frist dafür sei in der Nacht zum Donnerstag abgelaufen, sagte Michael-Hubertus von Sprenger. Er bereite nun eine einstweilige Verfügung vor. Auf die Frage, ob die Angelegenheit am Ende in einem Prozess geklärt werde, sagte von Sprenger: "Ja, davon gehe ich aus." Bei der Unterlassungserklärung handelt es sich um die zivilrechtliche Seite des Falls, der in Deutschland politisch hohe Wellen schlägt. Böhmermann sollte sich dabei verpflichten, das Schmähgedicht über Erdogan nicht zu wiederholen oder erneut zu verbreiten. 

Linke fordert schnelle Entscheidung

Unabhängig davon prüft die Bundesregierung weiterhin eine Verbalnote der türkischen Regierung auf Strafverfolgung nach §103 des Strafgesetzbuches "Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten". Man wolle nach Worten von Kanzlerin Angel Merkel (CDU) „zeitnah“ über den förmlichen Wunsch der Türkei entscheiden. Am Donnerstag erklärte sie, "die Beratungen (...) dauern an". Man werde über die Entscheidung informieren, betonte sie, ohne einen Termin zu nennen. 

Je länger die Entscheidung dauere, desto schlechter finde sie das, sagte die Linke-Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen aus Bochum im Südwestrundfunk. Dass man „jetzt tagelang überlegt, wie man überhaupt reagiert, halte ich für skandalös“. Das sei auch eine schlechte Nachricht nach innen für die Pressefreiheit in Deutschland und nach außen, beispielsweise für diejenigen, die in der Türkei als Journalisten am Pranger stünden und deren Rechte mit Füßen getreten würden. Es sei erschreckend, dass der Moderator Böhmermann inzwischen mit seiner Familie Polizeischutz brauche, weil Sicherheitsbehörden Gewalt durch Anhänger des türkischen Präsidenten befürchteten. „Man könnte fast sagen, dass das Erdogan-Verhältnisse sind“, erklärte Dagdelen.

ZDF-Ausschuss: Gedicht zurück in die Mediathek

Überraschend fordern inzwischen Mitarbeiter des ZDF, dass Böhmermanns Schmäh-Gedicht wieder in der Mediathek zusehen ist - mit der dazugehörigen Einordnung, die er während der Sendung vom 31. März liefert. Die komplette Sendung mit dem Gedicht sei ein "Dokument der Zeitgeschichte", heißt es in einem Brief des ZDF-Redakteursausschusses, der in der Hauspost des ZDF verteilt wurde und vom Medien-Portal DWDL veröffentlicht. "Das Duell Böhmermann vs Erdogan beherrscht die Schlagzeilen. Themen wie Pressefreiheit und der verstaubte 'Schah-Paragraf' sind in aller Munde. Eine ZDF-Sendung bewegt Regierungschefs und ersetzt ein juristisches Proseminar. Programmauftrag erfüllt", heißt es darin. Und weiter: "Wir würden es begrüßen, wenn die "Schmähkritik" vom Giftschrank wieder in die Mediathek gestellt wird. Als Dokument der Zeitgeschichte." Das ZDF will diesem Aufruf laut DWDL aber nicht folgen. 

Petition kurz vor 200.000-Marke

Unterdessen wächst die Unterstützung für Jan Böhmermann auch im Netz weiter. Eine Petition mit dem Titel "Freiheit für Böhmermann" hat bis Donnerstagmittag mehr als 191.000 Unterstützer gesammelt. „Die verletzten Gefühle eines Herrn Erdogan dürfen keinen Einfluss auf die Pressefreiheit in Deutschland haben“, erklärte die Initiatorin in ihrem Petitionstext. Die Gegen-Petition"Strafe für Böhmermann" hatte bis kurz vor 12 Uhr noch keine 700 Unterstützer. 

Jetzt lesen

Auch die Puppenklinik in Neuss springt Böhmermann zuseite. Die Puppenklinik Offermann präsentiert seit Donnerstag als öffentliches Unikat eine 65 Zentimeter große Puppe, die den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan darstellt, wie der Neusser Künstler und Puppendoktor Marcel Offermann ankündigte. Die Puppe führe „die Ziege des Anstoßes“ in den Farben der Bundesrepublik am Gängelband.

So kommentieren ausländische Medien den Fall

Die niederländische Zeitung „De Telegraaf“: „Wie weit reicht Erdogans Macht? Wenn es nach ihm geht, sehr weit. Er fordert Strafverfolgung für den Komiker Böhmermann, der ihn verspottet hat. Die ganze Sache ist dermaßen aus dem Ruder gelaufen, dass Bundeskanzlerin Merkel nun ein Problem hat. (...) Indem sie die Satire Böhmermanns als „verletzend“ bezeichnete, hat sie für böses Blut gesorgt. Subtil sind die Tiraden des Komikers wirklich nicht, und auch großzügige Geister werden sie nicht sonderlich lustig finden. Aber es geht darum, dass in einer offenen, demokratischen Gesellschaft derartige Äußerungen möglich sind. Merkel muss Rückgrat zeigen. Erdogan kann nicht bestimmen, wie weit Humor in Deutschland gehen darf. Einmal mehr hat der Präsident gezeigt, dass die heutige Türkei nicht in die EU gehört.“ 

Die rechtsliberale dänische Tageszeitung „Jyllands-Posten“: „Anstatt die freie Presse und ihre Satiriker frei wirken zu lassen, hat Angela Merkel sich bei Erdogan entschuldigt, aber wie der traurige Verlauf der Sache gezeigt hat, will er mehr. Eine Entschuldigung war nicht genug. Jetzt will Erdogan auch das Recht auf seiner Seite haben und hat die einleitenden juristischen Schritte getätigt. Merkels Entschuldigung wird als Kniefall vor Erdogan aufgefasst. Die ganze Affäre ist eine triste Illustration dessen, was passiert, wenn man sich Druck beugt. Man bekommt mehr Druck, nicht weniger.“

Die liberale lettische Tageszeitung „Diena“: „Eine Satire über den autoritären türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, die Ankara ganz ernsthaft verärgert hat, bereitet der deutschen Kanzlerin Angela Merkel große Kopfschmerzen. Einerseits sind gute Beziehungen mit der Türkei sehr wichtig für sie, um die europäische Flüchtlingskrise zu bewältigen. Anderseits kann sie sich nicht gegen die Meinungs- und die Pressefreiheit stellen, die einer der Eckpfeiler der deutschen Demokratie ist.“