Satire-Streit: Böhmermann sagt nächste Sendung ab

Moderator unter Polizeischutz

Die nächste Folge des "Neo Magazin Royale" mit Jan Böhmermann fällt aus. Der Satiriker sagte nach dem Wirbel um sein Schmähgedicht die für Donnerstag geplante Sendung ab. Sein Fall könnte nach Einschätzung des Hamburger Medienrechtlers Stefan Engels bis vor das Bundesverfassungsgericht gehen. Böhmermann steht derweil unter Polizeischutz.

von Benedikt Reichel

Karlsruhe

, 12.04.2016, 12:22 Uhr / Lesedauer: 6 min

Auf der Facebookseite des "Neo Magazin Royal" heißt es: Grund für die Absage sei "die massive Berichterstattung und der damit verbundene Fokus auf die Sendung und den Moderator." Die Entscheidung sei in Abstimmung mit dem ZDF erfolgt. Der Beitrag wurde in kürzester Zeit viele Male geteilt und kommentiert. 

 

Die Produktionsfirma btf GmbH und Jan Böhmermann haben entschieden, die für Donnerstag geplante nächste Ausgabe von Neo...

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Sollte es tatsächlich zu einer Anklage des Satirikers wegen Beleidigung des türkischen Staatschefs Recep Tayyip Erdogan kommen, könnte der Fall bis zum Bundesverfassungsgericht gehen. Am Ende müsse das höchste deutsche Gericht womöglich Grenzen völlig neu definieren, sagte der Hamburger Medienrechtler Stefan Engels. Im Kern werde es darum gehen, ob Böhmermann die Grenze zur Herabwürdigung eines Menschen überschritten habe, sagte der Medienrechtler Stefan Engels. Das Spannende daran sei, dass Böhmermann Erdogan mit seinem „Schmähgedicht“ nach eigener Aussage gar nicht schmähen, sondern lediglich ein Beispiel dafür geben wollte, wie eine Schmähung aussehen würde. Das müsse bei der Bewertung berücksichtigt werden. Allerdings stelle sich auch die Frage, ob als Beispiel nicht ein, zwei Zeilen gereicht hätten. Die Türkei verlangt, dass der ZDF-Moderator wegen eines „Schmähgedichts“ über Staatschef Recep Tayyip Erdogan strafrechtlich verfolgt wird. 

Vier Paragrafen sind derzeit relevant

Nachdem die Türkei bereits am Wochenende mit einer  Verbalnote beim Außenministerium  die Strafverfolgung gegen Böhmermann gefordert hatte, stellte Erdogan am Montagabend auch persönlich Strafantrag wegen Beleidigung bei der Staatsanwaltschaft Mainz. L aut Mitteilung der Staatsanwaltschaft werde dieser Antrag zusammen mit der Verbalnote geprüft werden. Folgende Paragrafen des Strafgesetzbuches (StGB) sind in diesem Fall relevant: 

  • §185: "Die Beleidigung wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe und, wenn die Beleidigung mittels einer Tätlichkeit begangen wird, mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft." Auf diesen Paragrafen bezieht sich Erdogan bei seinem Strafantrag bei der Staatsanwaltschaft. Ein Verfahren wäre unabhängig von einem zivilrechtlichen Verfahren um Schadensersatz oder Schmerzensgeld. In Betracht kommen auch noch die Paragrafen 186 bis 188 die die "Üble Nachrede" und "Verleumdungen" als weitere Tatbestände gegen die Ehre unter Strafe stellen. 
  • §194 regelt den Strafantrag. "Die Beleidigung wird nur auf Antrag verfolgt", heißt es darin im Absatz 1. Heißt: Die Staatsanwaltschaft nimmt nicht von sich aus Ermittlungen auf. Der Antrag ist durch Erdogan nun gestellt. 
  • §103: "Wer ein ausländisches Staatsoberhaupt oder wer mit Beziehung auf ihre Stellung ein Mitglied einer ausländischen Regierung, das sich in amtlicher Eigenschaft im Inland aufhält, oder einen im Bundesgebiet beglaubigten Leiter einer ausländischen diplomatischen Vertretung beleidigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe, im Falle der verleumderischen Beleidigung mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft." Dieser Paragraf bildet die Grundlage für die Verbalnote der Türkein an das Auswärtige Amt. 
  • §104a regelt die Voraussetzungen, die für §103 erfüllt sein müssen: Straftaten "werden nur verfolgt, wenn die Bundesrepublik Deutschland zu dem anderen Staat diplomatische Beziehungen unterhält, die Gegenseitigkeit verbürgt ist und auch zur Zeit der Tat verbürgt war, ein Strafverlangen der ausländischen Regierung vorliegt und die Bundesregierung die Ermächtigung zur Strafverfolgung erteilt." Bis auf die Ermächtigungen der Bundesregierung sind alle Voraussetzungen erfüllt. Die Regierung erklärte am Montage, die Prüfung werde einige Tage in Anspruch nehmen.

Unklar ist, inwieweit die Entscheidung der Bundesregierung Auswirkungen auch auf den Strafantrag Erdogans nach Paragraf 185 StGB hat. Dem Gesetz nach bezieht sich die "Ermächtigung der Bundesregierung" lediglich auf den Paragrafen 103. Diskussionen darüber gab es bereits am Montagmorgen - bevor der türkische Präsident tatsächlich Strafantrag stellte. Wirklich zur Klärung beitragen, konnte der Sprecher des Justizministeriums aber nicht, wie der Journalist Tilo Jung in seinem Video von der Bundespressekonferenz zeigte. 

Update: Am Dienstag erklärte Oberstaatsanwalt Gerd Deutschler mit: Der Strafantrag des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan gegen Satiriker Jan Böhmermann könnte von der Staatsanwaltschaft Mainz unabhängig von einer Entscheidung aus Berlin weiterverfolgt werden. Eine mögliche Beleidigung im Sinne des Paragrafen 185 ff. Strafgesetzbuch (StGB) sei auch ohne das Vorliegen des Strafverlangens der Türkei und der Ermächtigung der Bundesregierung grundsätzlich verfolgbar.

Außenministerium skeptisch

Im Auswärtigen Amt wird ein mögliches Strafverfahren gegen den Satiriker Böhmermann aber wohl kritisch gesehen. „Wir sind skeptisch, ob das Strafrecht der richtige Weg sein kann“, verlautete am Dienstag aus dem Umfeld von Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD). Die Bundesregierung prüft deshalb derzeit, ob sie die Staatsanwaltschaft ermächtigt, Böhmermann wegen Beleidigung eines Staatsoberhaupts zu verfolgen. „Von einer Hängepartie hat niemand etwas“, hieß es aus dem Außenministerium. 

Derweil gehen die Meinung über ein mögliches Strafverfahren weit auseinander. Der Vorsitzende des Innenausschusses im Bundestag, Ansgar Heveling (CDU), sieht in der Affäre einen Fall für die Justiz. „Wir sollten auf die Stärke unseres Rechtsstaates vertrauen. Aus meiner Sicht spricht nichts dagegen, dass der unabhängigen Justiz die Möglichkeit gegeben wird zu überprüfen, ob die Äußerungen von Herrn Böhmermann gegen den türkischen Präsidenten als Schmähkritik den Tatbestand der Beleidigung eines Staatsoberhauptes erfüllt“, sagte Heveling der Rheinischen Post. Grünen-Chef Cem Özdemir forderte die Bundesregierung zu einer Demonstration der Meinungsfreiheit auf. Die Bundesregierung habe sich im Fall Böhmermann in eine peinliche Lage manövriert. „Doch das bietet auch die Chance, jetzt Haltung zu beweisen und Richtung Türkei zu demonstrieren, was uns Presse- und Meinungsfreiheit wert sind“, sagte Özdemir. Weiter Hintergründe zum Fall Böhmermann lesen Sie hier: 

Der Moderator der ZDF-Satiresendung "heute-show", Oliver Welke, hat den Böhmermann in Schutz genommen. Es sei legitim, "dass Böhmermann seine Grenzen ausloten wollte", völlig unabhängig von der Beurteilung des Gedichts selbst, sagte Welke. Er kündigte auch an, er werde den Fall in seiner Sendung am Freitag zum Thema machen, wenn dieser "weiter zum Politikum wird". Scharfe Kritik übte Welke an Kanzlerin Angela Merkel (CDU). Erst zur Einbestellung des deutschen Botschafters in Ankara zu einem Lied über den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan in der NDR-Sendung "extra3" schweigen "und sich dann quasi als oberste deutsche Fernsehkritikerin zu Böhmermann äußern, das geht gar nicht", sagte Welke. Auch Spinger-Vorstandschef Mathias Döpfner hatte sich in einem offenen Brief hinter Böhmermann gestellt und erklärt, er mache sich alle seine Äußerungen auch juristisch zu eigen. 

Reaktionen aus der Türkei

Türkische Satiriker haben den Strafantrag von Staatspräsident Erdogan scharf kritisiert. „Das ist eine große Schande“, sagte der Chefredakteur der Satire-Zeitschrift „Leman“, Zafer Aknar, der Deutschen Presse-Agentur in Istanbul. Aknar erinnerte daran, dass auch Erdogan aufgrund eines Gedichts im Gefängnis saß. „Wäre ihm damals die Demokratie nicht zur Hilfe geeilt, wäre er weder Ministerpräsident noch Staatspräsident geworden“. Erdogan war 1998 wegen Volksverhetzung zu zehn Monaten Haft verurteilt worden, von denen er vier absaß. Grund war eine Rede, bei der Erdogan aus einem religiösen Gedicht zitiert hatte. 

Der Chefredakteur der Satire-Zeitschrift „Nokta“, Cevheri Güven, sagte, Vorwürfe der Beleidigung Erdogans würden als „Schlagstock“ gegen Kritiker vor allem in der Türkei missbraucht. Inzwischen habe das sogar internationale Ausmaße angenommen. Gegen Güven selbst laufen zwei Strafverfahren wegen Beleidigung des Präsidenten. Nach Angaben des Justizministeriums wurden seit Erdogans Wahl zum Staatspräsidenten im August 2014 mehr als 1800 Verfahren wegen Präsidentenbeleidigung in der Türkei eröffnet. 

Bizarrer TV-Beitrag

Mit einem bizarren Fernsehbeitrag hat der Erdogan-nahe türkische Sender A Haber auf das Schmähgedicht des ZDF-Satirikers Jan Böhmermann reagiert. Ein A-Haber-Reporter versucht dabei in Mainz, unter Berufung auf die Pressefreiheit mit laufender Kamera auf das Gelände der ZDF-Zentrale zu gelangen. Dass dem türkischen Team der Zutritt nicht gestattet wird, soll als Beleg für den schlechten Zustand der Pressefreiheit in Deutschland dienen.

Dem ZDF wird vorgeworfen, dass ein Sender-Verantwortlicher, der offenbar gerade mit einem Übersetzer über die ungebetenen Besucher spricht, dabei abwechselnd seine Hände in den Hosentaschen hat und gestikuliert. Der Reporter verurteilt das als „flegelhaft“ und fragt die Zuschauer: „Benimmt man sich so gegenüber einem Gast?“ Der Reporter meint zu beobachten: „Er zittert regelrecht vor Zorn.“ Der Beitrag ist mit hektischer Musik unterlegt. Einen Eindruck vermittelt dieses Video des Beitrags: 

 

Mehrheit gegen Ermittlungen in Böhmermann-Affäre

In der Affäre um das Erdogan-Gedicht von Jan Böhmermann spricht sich laut einer Umfrage die Mehrheit in Deutschland gegen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft aus. 54 Prozent der Befragten finden laut einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov die Ermittlungen gegen den Satiriker „ganz und gar nicht angemessen“. Lediglich sechs Prozent befürworten diese. Die Reaktion der Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sehen die Befragten kritisch: 41 Prozent finden, dass Merkels Äußerung nicht angemessen war. Sie hatte gegenüber dem türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu den Beitrag als „bewusst verletztend“ bezeichnet. Nur sechs Prozent finden ihre Reaktion gut. 

Eine Petition für Böhmermann mit dem Titel "Freiheit für Böhmermann" hat unterdessen bis Dienstagmittag mehr als 115.000 Unterstützer gesammelt. „Die verletzten Gefühle eines Herrn Erdogan dürfen keinen Einfluss auf die Pressefreiheit in Deutschland haben“, erklärte die Initiatorin in ihrem Petitionstext. Am Dienstag wurde auch eine Gegenpetition gestartet: "Strafe für Böhmermann" hatte bis kurz vor 14 Uhr knapp 200 Unterstützer. 

Die Chronologie des Fall

  • 17. März: Im NDR macht sich die Satire-Sendung „extra 3“ in einem Lied über Erdogan lustig.
  • 22. März: Die Türkei bestellt den deutschen Botschafter Martin Erdmann ein, um gegen den zweiminütigen Film zu protestieren.
  • 29. März: Die Bundesregierung weist den Protest in einem Telefonat mit der türkischen Seite zurück: Die Presse- und Meinungsfreiheit sei „nicht verhandelbar“.
  • 31. März: Der Satiriker Jan Böhmermann liest in der ZDF-Sendung „Neo Magazin Royale“ ein Gedicht über Erdogan vor, das unter die Gürtellinie geht. Böhmermann will damit nach eigener Aussage die Unterschiede zwischen erlaubter und verbotener Satire aufzeigen.
  • 1. April: Das ZDF gibt bekannt, dass der Beitrag aus der Mediathek gelöscht und nicht wie vorgesehen wiederholt wird.
  • 3. April: Kanzlerin Angela Merkel (CDU) kritisiert Böhmermanns Gedicht in einem Telefonat mit dem türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu als „bewusst verletzend“. Gleichzeitig bekräftigt sie den hohen Wert der Presse- und Meinungsfreiheit.
  • 6. April: Die Staatsanwaltschaft Mainz teilt mit, dass sie wegen des Verdachts der Beleidigung von Organen oder Vertretern ausländischer Staaten ermittelt. Zuvor seien rund 20 Strafanzeigen eingegangen.
  • 10. April: Aus Berliner Regierungskreisen wird bekannt, dass die Türkei in einer Verbalnote an das Auswärtige Amt eine Bestrafung von Böhmermann verlangt.
  • 11. April: Die Bundesregierung kündigt an, die Forderung zu prüfen. Regierungssprecher Steffen Seibert betont, die Freiheit der Kunst und die Pressefreiheit seien für Kanzlerin Merkel nicht verhandelbar. Die Staatsanwaltschaft Mainz bestätigt einen Strafantrag Erdogans gegen Böhmermann wegen Beleidigung.   

Mit Material von dpa