Eine Analyse hat ergeben, wie sich die Nutzung von TV, Netflix, Amazon und Co. in 2020 entwickelt haben.

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Analyse: So viel Zeit verbringt jeder bei Netflix, Amazon und dem TV

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Wir alle gucken in der Pandemie mehr TV-Nachrichten, streamen mehr und fast jeder Zweite kauft im Netz. Forscher haben jetzt belastbare Zahlen dazu.

Dortmund

, 30.01.2021, 10:00 Uhr / Lesedauer: 3 min

Kriegen wir jetzt alle viereckige Augen? Glotzen wir alle nur noch TV, wie im gleichnamigen Lied von Nina Hagen? Man könnte es befürchten angesichts der Zahlen, die die AGF Videoforschung GmbH Anfang dieses Jahres bekannt gegeben hat. Sie belegen: Wir alle schauen in der Corona-Pandemie mehr TV-Nachrichten, nutzen häufiger die Streaming-Portale und Jugendliche sind inzwischen sechs Stunden pro Tag im Netz.

Fernseh-Dauer steigt

Die AGF mit Sitz in Frankfurt, die entsprechende Daten auch auf ihrer Website öffentlich macht, weiß wohl mehr über die Nutzung bewegter Bilder als jeder andere in Deutschland. Dabei ist das Fernsehen – die AGF hieß bis 2017 Arbeitsgemeinschaft Fernsehforschung – ihr ursprüngliches Terrain.

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Das Ergebnis für 2020: 72 Prozent der Menschen schalten jeden Tag das Fernsehen ein. Das sind 3,1 Prozent mehr als 2019. Die Sehdauer stieg im Jahr 2020 auf durchschnittlich 220 Minuten, also 3 Stunden und 40 Minuten. Das bedeutet einen statistischen Anstieg von drei Minuten. Jüngere Menschen, die eigentlich in den letzten Jahren immer weniger lineares Fernsehen gesehen haben, schalten immerhin 137 Minuten ein.

Rede der Bundeskanzlerin erreicht 36 Millionen Menschen

„Auf Monatsebene beobachten wir einen deutlichen Zusammenhang zwischen der Entwicklung der Sehdauer und der Entwicklung der Corona-Pandemie hierzulande“, sagt Kerstin Niederauer-Kopf, Vorsitzende der Geschäftsführung der AGF. Im März und April, aber auch im November und Dezember, lag die Durchschnittsdauer deutlich über den Vorjahresmonaten.

15 Millionen deutsche Zuschauer sahen Merkels Neujahrsansprache.

15 Millionen deutsche Zuschauer sahen Merkels Neujahrsansprache. © picture alliance/dpa/AP/Pool

Die Rede der Bundeskanzlerin im März („Es ist ernst“) erreichte 36 Millionen Menschen, die Neujahrsansprache am 31.12.2020 brachte es auf über 15 Millionen. Unter den fünf Top-TV-Formaten waren die Tageschau am 22.3. mit 12,4 Millionen und die Heute-Sendung vom 23.8 ebenfalls mit 12,4 Millionen. Sie lag allerdings in der Halbzeitpause des Champion-League-Endspiels Paris Saint Germain gegen Bayern München.

Streaming explodiert

Während die TV-Nutzung gut mit Zahlen unterfüttert ist, gestaltet sich die Erforschung des Streaming-Verhaltens komplizierter. Das liegt daran, dass private Firmen nur jene Zahlen veröffentlichen, die zum Beispiel den Aktienkurs in die Höhe treiben. Die Firma Statista mit Sitz in Hamburg prognostiziert immerhin, dass 2021 rund 28 Prozent der Deutschen Video-Streaming nutzen werden, im Jahr 2025 voraussichtlich sogar 33 Prozent.

Doch zuerst zu den öffentlich-rechtlichen Sendern, deren Zahlen bekannt sind. In den Mediatheken von ARD und ZDF gab es in der Pandemie eine explosive Steigerung der Streaming-Zahlen. Die Nettoreichweite stieg um ein Drittel. Die durchschnittlich Sehdauer kletterte um 45,7 Prozent, bei Erwachsenen von 14-49 Jahre sogar um 52 Prozent (alles im Vergleich zu 2019).

Die Grafik zeigt, wie überlegen das Fernsehen immer noch ist. So kletterte die TV-Nutzung mit der Corona-Pandemie im Dezember 2020 auf 252 Minuten pro Tag. Dagegen erscheint Netflix mit 9 Minuten Sehdauer pro Tag winzig. Das liegt daran, dass sich die Zahl auf alle Bundesbürger verteilt – und davon hat eben nur ein Bruchteil der Menschen ein Streaming-Abo.

Die Grafik zeigt, wie überlegen das Fernsehen immer noch ist. So kletterte die TV-Nutzung mit der Corona-Pandemie im Dezember 2020 auf 252 Minuten pro Tag. Dagegen erscheint Netflix mit 9 Minuten Sehdauer pro Tag winzig. Das liegt daran, dass sich die Zahl auf alle Bundesbürger verteilt – und davon hat eben nur ein Bruchteil der Menschen ein Streaming-Abo. © Grafik: AFG/Klose

Trotzdem: Das entspricht auf alle Deutschen gesehen einer täglichen Sehdauer von „nur“ drei Minuten. Die Spitzenreiter waren die Folgen 2 und 3 vom „Geheimnis des Totenwaldes“ in der ARD. Die beiden Filme sahen sich etwa 1,3 Millionen Menschen nicht live, sondern im Stream an.

Netflix unterhält Millionen

Netflix erklimmt ganz andere Höhen – die Zahlen gelten allerdings weltweit. „The Crown“ erreichte mehr als 100 Millionen Haushalte. „Midnight Sky“ mit George Clooney sahen in den ersten vier Wochen 72 Millionen, die Serie „Das Damengambit“ brachte es auf 62 Millionen.

Was wir wissen: Die Zahl der Netflix-Abonnenten betrug Ende 2019 rund 167 Millionen zahlende Nutzer weltweit. Ende 2020, so berichtete Netflix am 19. Januar dieses Jahres, lag die Abo-Zahl schon bei fast 204 Millionen. Ein Zuwachs von 37 Millionen in einem Jahr – das war Rekord. Der Gesamtumsatz der Firma betrug im Jahr 2020 fast 25 Milliarden Dollar, das waren 24 Prozent mehr als 2019. Der Nettogewinn betrug 2,8 Milliarden Dollar (2019: 1,87 Mrd. Dollar).

Mehr Netflix als Youtube

Wie lange werden die privaten Streamingdienste täglich genutzt? Netflix und Co. behalten das für sich. Die AFG hat einen pfiffigen neuen Forschungsansatz: Sie installierte in bislang 590 Haushalten mit deren Einverständnis eine selbst entwickelte Smart-Meter-Technologie.

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Danach schauten alle Deutschen ab 14 Jahren im November letzten Jahres 9 Minuten Netflix, 4 Minuten Amazon Prime, Youtube geht mit zwei Minuten ziemlich unter. Die kleinen Zahlen verblüffen. Aber so ist es eben, wenn auf ganz Deutschland hochgerechnet wird, aber nur ein Teil der Menschen ein Abo hat.

Die AGF weiß immerhin aus ihrem Pilotprojekt, dass es die 14- bis 29-Jährigen bei Netflix auf 16 Minuten bringen, sie sind damit die interessierteste Gruppe. Bei Amazon gilt das für die Gruppe der 30- bis 49-Jährigen (6 Minuten).

Shopping im Internet

Und Shopping im Internet? Laut dem so genannten „Convergence Monitor“ der Firma Kantar hat es mit 44 Prozent einen neuen Höchststand erreichet. Fast jeder Zweite bestellt mindestens einmal pro Monat im Netz. Auch das Online-Banking profitiert mächtig von der Pandemie, die Nutzung ist um 5 Prozentpunkte auf 59 Prozent gestiegen.

Unglaublich auch, wie viel Zeit die 14- bis 29-Jährigen im Internet verbringen: Es sind sechs Stunden täglich – und damit 21 Minuten länger als im Vorjahr.

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