60 Prozent aller deutschen Arbeitnehmer pendeln

Rekordhoch

Pendeln nervt und ist nicht gut fürs Lebenglück, sagen Studien. Doch die Zahl der Fahrer zwischen Wohnort und Job steigt und steigt. In manchen Großstädten stellen sie in den Büros schon die Mehrheit. Die IG BAU fordert daher: Mehr bezahlbarer Wohnraum in Städten muss her.

Bonn/Düsseldorf

02.04.2017, 19:11 Uhr / Lesedauer: 3 min
Im vergangenen Jahr pendelten bundesweit 60 Prozent aller Arbeitnehmer zum Job in eine andere Gemeinde. Foto: Frank Rumpenhorst

Im vergangenen Jahr pendelten bundesweit 60 Prozent aller Arbeitnehmer zum Job in eine andere Gemeinde. Foto: Frank Rumpenhorst

Die Zahl der Pendler in Deutschland ist im Jahr 2015 auf einen Rekordwert gestiegen. Das geht aus einer neuen Auswertung des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) in Bonn hervor. 2015 pendelten bundesweit 60 Prozent aller Arbeitnehmer zum Job in eine andere Gemeinde - im Jahr 2000 waren es 53 Prozent. Die meisten Pendler gibt es in München. Dort arbeiteten 2015 rund 355.000 Menschen, die außerhalb der Stadtgrenze wohnten. Das ist ein Plus von 21 Prozent seit 2000.

Auf Platz zwei folgt Frankfurt am Main mit 348.000 Pendlern. Hamburg und Berlin kommen auf die Plätze drei und vier. Auf Platz fünf folgt Köln mit 249.400 Einpendlern, 23 Prozent mehr als im Jahr 2000. Düsseldorf belegt Platz sechs mit knapp 240.000 Einpendlern, plus 20 Prozent. Auf Platz zehn liegt Essen 119.300 Einpendlern, plus 26 Prozent. Dortmund steht mit knapp 97 000 Einpendlern, plus 29 Prozent, auf dem zwölften Platz. Duisburg ist mit 80.000 Einpendlern, plus 28 Prozent, auf dem 15. Platz der Statistik. Den größten Zuwachs verzeichnete Berlin. Hier ist die Zahl der Pendler um 53 Prozent auf 274.000 gestiegen.

In Düsseldorf kommen 62 Prozent der Beschäftigten, die hier arbeiten, von außerhalb zum Job. Lediglich in Frankfurt ist dieser Anteil mit 64,5 Prozent noch höher. In Essen (51,3 Prozent) wohnt gut jeder Zweite, der dort seinen Arbeitsplatz hat, außerhalb. In Duisburg (48,9 Prozent), Köln (47,9 Prozent) und Dortmund (44,5 Prozent) ist es fast die Hälfte der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten.

Weg zum Arbeitsplatz ist länger geworden

Gestiegen ist nicht nur die Zahl der Pendler, auch der Weg zum Arbeitsplatz ist länger geworden: Von durchschnittlich 14,6 Kilometern im Jahr 2000 auf 16,8 Kilometer im Jahr 2015. Vom Wachstum der wirtschaftsstarken Großstädte profitierten vor allem deren Umlandgemeinden, sagte Institutsdirektor Harald Herrmann.

Die Entwicklung löst bei vielen Fachleuten keineswegs Begeisterung aus - bei Verkehrs- und Siedlungsplanern ebenso wenig wie in den Krankenkassen. „Der Flächenverbrauch und die Verkehrsbelastung steigen“, sagt Herrmann. „Deshalb ist es wichtig, dass die Infrastruktur mit dem Wachstum Schritt hält und das Umland gut an den öffentlichen Nahverkehr angebunden bleibt.“

Belastung für die Gesundheit

Pendler sind häufiger genervt als Menschen mit kürzeren Arbeitswegen: „Die verfügbaren Untersuchungen zeigen, dass tägliche Pendelmobilität die körperliche und psychische Gesundheit der Erwerbstätigen gefährden kann und einen negativen Einfluss auf das Gesundheitsempfinden hat“, sagt Simon Pfaff vom Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung in Wiesbaden.

„Je länger die Fahrzeit der Erwerbstätigen, desto größer die Belastung, auch weil weniger Zeit zum Regenerieren bleibt.“ Die Krankenkassen beschäftigen sich seit Jahren mit dem Thema. So haben Pendler laut einer Studie der Techniker Krankenkasse ein höheres Risiko, psychisch zu erkranken.

Kritik an der Wohnraumpolitik

Die wachsenden Pendlerzahlen sind aus Sicht der IG BAU auch eine Folge falscher Wohnungspolitik. „Wir brauchen eine Politik mit dem Ziel, bezahlbares Wohnen auch in Metropolen und Ballungsräumen zu ermöglichen“, sagte der stellvertretende Vorsitzende der Gewerkschaft, Dietmar Schäfers, laut Mitteilung. Menschen und Umwelt litten „unter einer lange sträflich vernachlässigten Wohnungsbaupolitik“, kritisiert die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU). Aus Sicht der Gewerkschaft sei es ein Fehler gewesen, „die Wohnungen der öffentlichen Hand zu privatisieren und es war genauso verkehrt, die Wohnungsfrage viel zu lange dem Markt zu überlassen“.

In Deutschlands Großstädten wird es auch immer enger. Es gibt nicht nur mehr Pendler - es ziehen auch immer mehr Menschen in die Städte. Paradebeispiel ist die Pendlerhauptstadt München. In den vergangenen dreißig Jahren hat das „Millionendorf“ an der Isar etwa 300 000 Einwohner gewonnen, die Bevölkerung ist von 1,2 auf 1,5 Millionen gewachsen. Derzeit kommen monatlich etwa 2000 Neu-Münchner hinzu.

Doch der Trend zum Wohnen in der Stadt wird die Pendlerzahlen nicht mindern. „Es ist eine schöne Vorstellung, dass es weniger Pendler gäbe, wenn man vermehrt in die Städte zieht“, sagt Christian Breu, Geschäftsführer des Planungsverbands Äußerer Wirtschaftsraum München.

Eine Frage der Flexibilität

„Die Leute sind bei der Arbeitsplatzwahl flexibler als bei der Wahl des Wohnorts. Die Entwicklung wird sich nicht drehen. Die Pendlerströme in und aus der Stadt werden deutlich zunehmen.“ Das gilt nicht nur für München und hat mehrere Gründe. In den Ballungsräumen entsteht etwa ein größerer Anteil der neuen Arbeitsplätze in den Kernstädten als im Umland.

Die Änderungen im Arbeits- und Familienleben haben ebenfalls Auswirkungen, wie Bevölkerungsforscher Pfaff erläutert. „Durch die zunehmende Frauenerwerbsquote gibt es immer mehr Doppelverdiener. Paare sind unflexibler bei der Wohnortwahl, vor allem, wenn Kinder im Haushalt leben“, sagt er. „Auch die steigende Zahl befristeter Arbeitsverträge begünstigt das Pendeln, weil Erwerbstätige nicht für einen überschaubaren Zeitraum den Wohnort wechseln wollen.“

von dpa