Vereinssterben in Lünen? Zahlen zeigen, dass Lippestadt ein Beispiel gegen den Trend ist

Therapiesportverein findet nach 37 Jahren seines Bestehens keinen Vorstand
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Eigentlich wollte Klaus-Peter Mendritzki Lünen noch in diesem Jahr verlassen. Er wollte nach Niedersachsen ziehen, in die Heimat seiner Frau. Nun hat sich die Fertigstellung des neuen Heims, des Alterswohnsitzes wie bei so vielen Baustellen verzögert. Außerdem kann er auch noch gar nicht weg: Ihm liegt „sein“ Verein, der Therapie-Sportverein Lünen (TSV), zu sehr am Herzen. Dort hat der 67-Jährige seit neun Jahren den geschäftsführenden Vorsitz inne.

Schon bei der Mitgliederversammlung im vergangenen Jahr hatte er angekündigt, wegen des Umzugs aufhören zu wollen. Einen zweiten Vorsitzenden gibt es es schon länger nicht mehr. Und auch die Kassiererin möchte ihr Amt eigentlich nicht mehr ausüben. Gemeinsam mit ihr hatte sich Mendritzki dann aber überreden lassen, wenigstens ein Jahr lang weiterzumachen.

„Das wäre der Todesstoß“

Über mehrere Kanäle hatte er schon seit drei Jahren ein „Unterstützung dringend gesucht“ kommuniziert. Das Jahr ist nun um, die Mitgliederversammlung 2023 bereits verstrichen - neue Vorstandsmitglieder gibt es nach wie vor keine. Nur 77 der Mitglieder seien zur Versammlung gekommen. „Die die immer kommen“, bemerkt Klaus-Peter Mendritzki, „die älteren, die schon ewig dabei sind.

Er als Vorsitzender und Hildegard Content als Kassiererin sind auch nach der Versammlung noch da. Aber nur, weil sie ihre etwa 300 Mitglieder nicht einfach von heute auf morgen sitzen lassen möchten. Nur, weil sie insbesondere den Menschen mit geistiger Behinderung, für die zwei Sportgruppen angeboten werden, nicht einfach ihre Strukturen nehmen wollen. „Die können sonst nirgendwo einfach unterkommen“, erklärt Mendritzki, „das wäre der Todesstoß.“

Verein soll nicht kaputt gehen

Insgesamt bietet der Verein 24 Trainingsstunden pro Woche, trocken und im Wasser, aus den Bereichen Osteoporose, Wirbelsäule, Krebsnachsorge, Rheuma, Schlaganfall, Senioren und eben geistiger Behinderung auf Rezept an.

„Insgesamt sind wir sehr familiär“, erklärt Klaus-Peter Mendritzki. „Man kann sich austauschen und gerade für die Älteren ist das eine Möglichkeit miteinander in Kontakt zu kommen, sich zu treffen, miteinander zu quatschen. Ohne die Stunden würden viele Kontaktmöglichkeiten wegfallen.“ Und gerade deswegen ist dem ehemaligen Caterpillar-Mitarbeiter der TSV „in Fleisch und Blut übergegangen“. Undenkbar ihn und all die Sportelnden einfach im Stich zu lassen. „Ich möchte das nicht von heute auf morgen kaputt machen“, sagt er.

Der Knick sei mit Corona gekommen. Viele Mitglieder seien weggeblieben und nicht wiedergekommen. Mendritzki möchte den Verein trotzdem zusammenhalten. Nur: ewig kann das aus den genannten Gründen eben auch nicht mehr.

„Kein Selbstläufer mehr“

„Während der Coronazeit sind viele Ehrenamtler abgesprungen“, bestätigt Frank-Michael Rall, Pressesprecher des Landesportbundes NRW (LSB) und spricht von einer Größenordnung von 20 Prozent. Die jetzt zurückzugewinnen sei die große Aufgabe der Stunde. Ein weiterer Grund neben Corona sei, wie es auch beim Therapie-Sportverein der Fall ist, die demagogische Entwicklung der Bevölkerung. „Die Älteren wachsen langsam raus“, sagt Rall. „Es gibt natürlich auch viele Jüngere, die Spaß an der Vereinsarbeit haben. Und wir fördern das auch mit unseren Jugendteamgruppen. Aber vor allem die Jahrgänge der 30- bis 50-Jährigen fehlen. Das ist alles kein Selbstläufer mehr, so wie es früher der Fall war.“

Betrachtet man die Sportvereine auf Kreis- oder Stadtebene, lassen sich die 20 Prozent, von denen Rall spricht, nicht ausmachen. „Das Thema, Ehrenamtliche zu generieren, ist groß“, sagt zwar auch Andreas Voss, Geschäftsführer des Kreissportbundes Unna. „Es wird immer schwieriger Personen zu finden, die sich ehrenamtlich engagieren wollen. Vor allem, wenn es darum geht, die verantwortungsvollen Posten zu besetzen. Aber auf Kreisebene und vor allem bezogen auf Lünen ist das Problem noch nicht prekär. Die Sportvereinslandschaft in Lünen funktioniert.“

In Zahlen ausgedrückt heißt das: In Lünen gab es 2013 noch 99 Vereine mit 20.601 Mitgliedern; 2023 sind es noch 93 Vereine mit 18.431 Mitgliedern. Heute gibt es in Lünen also sechs Sportvereine und 2170 Mitglieder weniger als noch vor zehn Jahren. Lünen liegt also bei nur etwa zehn Prozent Mitgliederschwund.

Und auch David Lippmann vom Stadtsportverbund sagt: „Bei uns ist das alles noch sehr moderat.“

Vier Herren des MGV Harmonie
In Bergmanns-Uniform treten sie auf, so ist es Tradition. Zum 100. Geburtstag im Jahr 2022 bekam der MGV Zeche Victoria von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die in Anerkennung an ihre Tradition die Zelter-Plakette. © Daniel Magalski

Fünf aufgelöste Vereine 2023

Bezogen auf die Vereinslandschaft insgesamt in Lünen, lassen sich keine absoluten Zahlen verifizieren. Nicht das statistische Landesamt IT.NRW und auch nicht die Amtsgerichte Dortmund, das für Vereinsregistrierungen und -auflösungen in Lünen zuständig ist, oder Hagen, das das Vereinsregister im Allgemeinen verwaltet, erhebt die Gesamtzahl der Vereine in Lünen. Weder aktuell und schon gar nicht im Vergleich zu vor fünf oder zehn Jahren.

Was aber möglich ist, ist 100 Treffer angezeigt und so eine Tendenz zu bekommen. Von diesen 100 Vereinen in Lünen, sind 95 aktuell aktiv und fünf wurden in diesem Jahr gelöscht, bzw. aufgelöst. „Der Verein ist infolge des Wegfalls aller Mitglieder erloschen“, ist dann beispielsweise im Falle des „Arabische Vereinigung für Wissenschaft e.V.“ vermerkt.

Seit 65 Jahren aktiv

Ein weiterer Verein, der sich als solcher bei ihrer jüngsten (und letzten) Mitgliederversammlung im Februar dieses Jahres als eingetragener Verein formal aufgelöst hat, ist der Männergesangverein Harmonie Zeche Victoria. „Wir haben die Auflösung des Vereins beschlossen, weil uns das über Jahrzehnte nichts gebracht hat“, erzählt Paul Böke. Der inzwischen 89-Jähríge hatte seit 2012 den Vorsitz inne. „Es war immer belastender Vorstände zu finden. Und Gelder konnten wir durch die Registrierung als Verein keine generieren.“

Er selbst singt seit 1957 aktiv, seit 1988 in „der Harmonie“. „In den 90er-Jahren hatten wir unsere Königszeit“, erzählt er, „und überall Auftritte. Jetzt sind wir aber nur noch so acht bis 14 Sänger, da lohnt sich das Vereinswesen nicht mehr.“ In die Jahre gekommen gewesen sei man. Keinen Nachwuchs habe man gehabt. Jetzt treffe man sich weiter als Gruppe, um gemeinsam zu singen, aber eben ohne im Vereinsregister eingetragen zu sein.

Ein altes Bild aus dem Jahr 2010. Damals bot Birgit Paarmann (r.) für den Therapie-Sportverein Schnupperstunden in Nordic Walking an.
Ein altes Bild aus dem Jahr 2010. Damals bot Birgit Paarmann (r.) für den Therapie-Sportverein Schnupperstunden in Nordic Walking an. © Foto Goldstein (Archiv)

Möglicher Ausweg gefunden

Für den Therapiesportverein hat Klaus-Peter Mendritzki einen möglichen Ausweg gefunden: Er ist auf der Suche nach einem Fusionspartner, also einem anderen Sportverein mit ähnlicher Ausrichtung, mit dem sich der TSV zusammen tun könnte. Sechs Stück aus dem Kreis und aus Dortmund kämen dafür in Frage. Bis Ende dieses Jahres muss das dann abgeschlossen sein. Spätestens dann möchte er sich komplett aus dem Vereinsgeschehen zurückziehen.

Unterstützung bekommt er dabei vom Landesportbund. Von dieser Seite wird ihm rechtlich und mit den Fusionsverträgen geholfen. „Generell hat die Fusion unter Sportvereinen viel Fahrt aufgenommen“, ordnet LSB-Pressesprecher Frank-Michael Rall ein. „Sie sind ein sehr probates Mittel, um ein Vereinssterben zu verhindern.“

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