
© Beate Rottgardt
Ukraine-Konflikt weckt Erinnerungen: „Dachte, das nie wieder zu erleben“
Ukraine-Konflikt
Die Nachrichten aus der Ukraine lassen bei zwei Frauen traurige Erinnerungen aufkommen - an ihre Kindheit im Zweiten Weltkrieg. Die beiden bekannten Seniorinnen sind entsetzt.
Traurig - das ist das Wort, das die Gefühlslage von Eleonore Köth-Feige (89) und Marie-Lis Coenen (83) an diesem Tag beschreibt. Als die langjährige Vorsitzende des Lüner Senioren-Beirats und die frühere Selmer Bürgermeisterin von den Angriffen der russischen Armee auf die Ukraine erfuhren, dachten sie sofort an ihre eigene Kindheit. Die war im Zweiten Weltkrieg zwischen Bomben und Kinderlandverschickung.
In den Bunker
„Ich hätte nie gedacht, dass meine Kinder und Enkel so etwas erleben würden“, sagt Eleonore Köth-Feige über der Ereignisse in der Ukraine. Sie ist im Juni 1932 geboren, als sie sieben Jahre alt war begann der Zweite Weltkriegs mit dem Angriff Hitlers auf Polen. „Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie wir zum ersten Mal Lebensmittelkarten bekamen und wie meine Schwester und ich mit unserem Bollerwagen zum Bunker an der Elsa-Brändström-Straße zogen“, sagt sie.
Sie erinnert sich an den Voralarm, bei denen die Menschen los liefen und an die „Christbäume“ der Engländer, wie die Leuchtmarkierungen für die Bomber-Flugzeuge genannt wurden. „Jede Straße hatte einen Blockwart, der kontrollierte, ob auch alle Wohnungen verdunkelt waren“, so die 89-Jährige.
Keine Schule
In den Vorgärten wuchsen keine Blumen, sondern Gemüse. „Wir haben Kohlen geklaut und auf den Feldern nach Gemüse gesucht, das halbreif war, damit wir was zum Essen hatten.“ Zwei Mal wurde Eleonore Köth-Feige „verschickt“, aus Brambauer in den Sudetengau und nach Ostpreußen gebracht: „Da hab ich Schwimmen gelernt.“ Zwischendurch war sie bei Verwandten in Sachsen-Anhalt. Ein Jahr lang - während der Kinderlandverschickung hatte sie überhaupt keinen Schulunterricht. Als dann die Schule wieder begann, mussten zehn Klassen in einem Raum zusammen lernen.
„Mein Vater war auf der Zeche und wurde deshalb nicht eingezogen, weil die Regierung ja Kohlen brauchte.“ Aber er musste immer wieder nach Dortmund und dort die Toten verbrennen, die Opfer der Bombenangriffe geworden waren. „Das wollen wir alles doch nie wieder erleben.“

Marie-Lis Coenen ist 1938 geboren. Bei den Nachrichten von den Übergriffen auf die Ukraine kamen Erinnerungen an ihre Kindheit im Krieg wieder hoch. © Beate Rottgardt (Archiv)
Auch bei Marie-Lis Coenen kamen am Donnerstag (24.2.) die Erinnerungen an ihre Kinderjahre im Zweiten Weltkrieg wieder hoch, als sie die Nahrichten aus Moskau und Kiew hörte. „Das war eine grausame Zeit voller Angst. Aber als Kinder werden wir ja mit einer Unbefangenheit geboren und deshalb haben wir damals alles nicht so schlimm empfunden wie man es heute als Erwachsene betrachtet.“
1938 geboren, weiß sie noch genau, dass es zum gewohnten Tagesablauf gehörte, in den Keller zu flüchten, wenn der Alarm ertönte. „Meine Mutter hat mir immer erzählt, dass ich dort über die Bänke gehüpft bin und das Lied ,in der Nacht ist der Mensch nicht gern alleine` gesungen hab.“ Mit dem Schlager von Marika Rökk brachte sie die Nachbarn, die ebenfalls Schutz suchten, zum Lachen - wenigstens für einen kurzen Moment.
Marie-Lis Coenen wurde in Münster geboren, das im Krieg stark bombardiert wurde. „Wir sind auch gleich zu Beginn ausgebombt und dann nach Lüdinghausen evakuiert worden.“ Ihr Vater war da schon eingezogen worden. „In Lüdinghausen hatten wir Verwandte.“ Mit ihrem zwei Jahre älteren Bruder und ihrer Mutter lebte sie bis Kriegsende in einem früheren Bügelzimmer.
Ihr Vater, ein Lehrer, kam in amerikanische Kriegsgefangenschaft („alle waren froh, dass er nicht in russischer Gefangenschaft war“) und kam erst 1946 zu seiner Familie zurück. Weder bei ihrer Erstkommunion, noch bei der Einschulung war er dabei. „Meine Mutter und meine Tante brachten mich zur Schule. Der Rektor, der im Krieg einen Arm verloren hat, forderte alle zum Hitlergruß auf.“ Als sie sah, wie ihre und andere Mütter weinten, wollte sie nicht mehr dorthin. Die Ukraine-Krise löse Angstgefühle bei ihr aus, wie die Machtgier und der Egoismus, der an den Angriffen schuld sei.
Beate Rottgardt, 1963 in Frankfurt am Main geboren, ist seit 1972 Lünerin. Nach dem Volontariat wurde sie 1987 Redakteurin in Lünen. Schule, Senioren, Kultur sind die Themen, die ihr am Herzen liegen. Genauso wie Begegnungen mit Menschen.
