Schon 2019 war es schwierig, genügend Personal zu finden. Deshalb hatten die Rizzos, Betreiber des Bella Italia, sich entschieden, die Öffnungszeiten zu reduzieren und als Familie mehr mitzuarbeiten. Nach der Pandemie ist der Personalmangel mehr denn je Thema.

© Beate Rottgart (A)

Restaurants in Lünen suchen nach Lockdown händeringend neues Personal

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Über Monate waren Restaurants und Kneipen im Lockdown geschlossen. Zeit genug, um sich als Mitarbeiter in „krisensichere“ Bereiche, umzuorientieren. Jetzt fehlen vielen Wirten die Mitarbeiter.

Lünen

, 11.07.2021, 17:00 Uhr / Lesedauer: 3 min

Udo Schmidt, Inhaber des Haus Wieneke an der Borker Straße ist sichtlich verzweifelt. Er sagt Dinge wie: „Es ist ganz schrecklich.“ Oder: „Es ist richtig bitter.“ Oder auch: „Es ist schwierig, aber es muss ja weitergehen. Wir müssen weiter kämpfen.“

Nachdem er, wie die meisten Gastronomen Ende Mai sein Gasthaus wiedereröffnet hatte, stand er plötzlich ohne Mitarbeiter da. „Vier wichtige Menschen, Festangestellte, sind mir weggebrochen. Ich habe sie durch die ganze Pandemie gebracht und jetzt haben sie sich doch anderweitig orientiert“, erzählt er. Und so genannte Aushilfen, 450-Euro-Kräfte, lassen sich zur Zeit ebenfalls nicht finden. Auch sie haben sich umorientiert. Jetzt springt der Sohn ein. Der Nachfrage könne er zur Zeit nicht nachkommen, den Ansprüchen der Gäste nicht genügen. „Die Leute sind so anspruchsvoll“, sagt er, „die Qualität, die sie erwarten, können wir als Familie alleine nicht liefern.“ Während er spricht, sitzen auf seiner Terrasse etwa 30 Leute, viel Zeit hat er nicht. „Im Lockdown haben wir immer gearbeitet, waren immer präsent. Kontinuität ist ja wichtig“, sagt Schmidt. Und natürlich arbeitet man darauf hin, dass es weitergeht. Nur wisse er im Moment einfach nicht wie. Wie viele seiner Kollegen hat er auf allen Kanälen Gesuche geschaltet.

Familienmitglieder fangen auf

Dass Familienmitglieder einspringen, um die Gaststätten jetzt nach der Erlaubnis wieder öffnen zu können zu können, erzählen viele Gastronomen. Auch Antonio Rizzo, Inhaber des „Bella Italia“, sind lediglich drei seiner zwölf Mitarbeiter, die er vor Ausbruch der Pandemie beschäftigte, geblieben. Auch er sei dringend auf der Suche, sagt aber: „Wir schaffen das, wir sind ein Familienbetrieb. Und die Familie arbeitet gut mit.“ Ähnliches ist aus „Da Roccos“ am Roggenmarkt zu hören: „Wir sind eine große Familie, wir helfen einander.“

Torsten Gebehart, Geschäftsführer der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten bewertet die Lage so: „Viele Menschen schätzen es, nach langen Entbehrungen endlich wieder essen zu gehen oder zu reisen. Aber ausgerechnet in der Sommersaison fehlt einem Großteil der Betriebe schlicht das Personal, um die Gäste bewirten zu können.“

Die Zahlen der Agentur für Arbeit verdeutlichen: In Lünen haben 70 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte dem Gastgewerbe zwischen Dezember 2019 und Dezember 2020 den Rücken gekehrt. Unter den „geringfügig entlohnten Beschäftigten“ gingen den Lüner Gastronomen 293 verloren: Von 1750 Mitarbeitern blieben 1378. Damit haben innerhalb von zwölf Monaten 27 Prozent der Beschäftigten die Branche verlassen. Und es ist davon auszugehen, dass die Zahl der Abgewanderten in der ersten Jahreshälfte 2021 noch einmal deutlich zugenommen hat.

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Prekäre Arbeitsverhältnisse

Frank Teschler, Inhaber des „Drei Linden“ an der Lange Straße, konnte während der vergangenen drei Wochen immerhin zwei neue Köche einstellen. Einer fehlt ihm noch, um auf Vor-Pandemie-Niveau zu kommen. Bis zum 31. Dezember hatte er seine drei Festangestellten voll bezahlt. Danach hatte er sich entschieden, „auf Null zu gehen“ und die Mitarbeiter frei zu stellen. Einer war daraufhin in eine Krankenhausküche, ein anderer in die eines Altenheimes gewechselt. Vor der Pandemie hatte er 20 Mitarbeiter, davon sechs Festangestellte.

Auch für die Lüner Gastronomen Bob Michaels (r) vom Greif und Frank Teschler (l) vom Brauhaus Drei Linden ist es schwierig, nach dem Lockdown genug Personal zu finden.

Auch für die Lüner Gastronomen Bob Michaels (r) vom Greif und Frank Teschler (l) vom Brauhaus Drei Linden ist es schwierig, nach dem Lockdown genug Personal zu finden. © Claeßen

Die Gastro-Gewerkschaft NGG meint, dass dem Gastgewerbe nun die Mitarbeiter fehlen sei angesichts „prekärer Löhne und schlechter Arbeitszeiten“ kein Wunder. „Die Unternehmen haben es über Jahre versäumt, die Arbeit attraktiver zu machen. Das rächt sich jetzt“, so Geschäftsführer Torsten Gebehart.

Die befragten Gastronomen wollen von dieser Kritik nichts hören: „Bei uns gab es immer bezahlte Überstunden“, sagt Drei-Linden-Inhaber Frank Teschler. „Aber es muss sich auch rechnen. Sprit, Öl, die Strompreise, alles ist in die Höhe geschossen. Und höhere Löhne auf die Preise der Speisen umzuschlagen ist eine extreme Gratwanderung.“ Das findet auch Ingo Schmidt von Haus Wieneke: „Wer Gastronomie im Blut hat, der arbeitet so oder so“, sagt er. „Außerdem gibt es viel Trinkgeld. Preisanpassungen würden die Leute nicht mittragen. Wir sind ja schon am Limit und sowieso verdienen die Leute genug.“

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Auch Bob Michaels, Inhaber des Greif am Stadtrand von Lünen, ist der Meinung, dass es an den Arbeitsbedingungen nicht liegen kann. Denn bei ihm seien die sehr gut: demokratische Entscheidungsfindungen, bei denen jeder Mitarbeiter gehört wird, besondere Wertschätzung und ein Dienstfahrrad ab sechs Monaten Beschäftigung, gehören zu seinen Unternehmensgrundsätzen.

Öffentliches Leben

Party im Greif

Wenn alles klappt und das Ordnungsamt das Hygienekonzept des Greif genehmigt, wird am 24. Juli eine Party mit Namen „Party eins“ stattfinden. „Es wäre die erste Party seit März 2020, deswegen der Name“, erklärt Inhaber Bob Michaels.

Trotzdem fehlen auch ihm die Mitarbeiter. „Wir arbeiten jetzt zwar eins zu eins mit dem Team von 2020“, sagt er, „im Vergleich zu vor der Pandemie fehlen mir aber acht Leute. Die brauchen wir aber, um jetzt, wo es ganz frisch wieder erlaubt ist, wieder Veranstaltungen durchführen zu können.“ Obwohl er sich bei der Arbeitsagentur gemeldet hat, gab es bisher keine Interessenten.

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Michaels glaubt vielmehr, dass es die Perspektivlosigkeit ist, die die potentiellen Mitarbeiter abhalte. „Es gibt einfach im Moment noch zu viele Fallstricke und keine Sicherheit, dass es im Herbst auch wirklich weitergeht“, sagt er.

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