Klara und Ludwig (Lou) Hermann vor ihrem Haus in Vancouver. Das Lüner Ehepaar wanderte 1952 mit seinen Töchtern nach Kanada aus. Klara Hermann ist eine der Töchter der Familie Rose, von der fünf Mitglieder im Holocaust ermordet wurden.

© Familie Hermann

Lünerin überlebte Holocaust: Enkelin dankbar für Stolpersteine

rnFamilie Rose

Diese Fotos gingen Sonya Kolowrat unter die Haut - es waren Bilder von Stolpersteinen, die an die Familie Rose erinnern. Eine Tochter war die Großmutter der Amerikanerin, sie überlebte den Holocaust.

Lünen

, 23.02.2022, 11:45 Uhr / Lesedauer: 4 min

Im November 2021 wurden in der Lüner Barbara-Siedlung Stolpersteine zum Gedenken an die jüdische Familie Rose verlegt. Nur zwei Töchter überlebten den Holocaust, die Eltern und drei Geschwister wurden von den Nazis ermordet. Weit entfernt von Lünen, in Los Angeles, erfuhr Sonya Kolowrat durch Markus Heitkamp aus der Familie ihres Großvaters Ludwig Hermann von der Verlegung der Stolpersteine.

Sie ist eine von vier Enkelkindern von Klara Rose, die mit ihrer Schwester Regina als einzige der Familie das Grauen überlebte. „Wahrscheinlich, weil beide Schwestern mit katholischen Männern verheiratet waren, das hat sie wohl gerettet“, erzählt Sonya Kolowrat, die auch meint, dass einige Verwandte der Familie ihres Großvaters noch in der Lippestadt leben.

Töchter wurden in Lünen geboren

Sie wandte sich an unsere Redaktion mit der Bitte, ihr die Berichte über die Stolperstein-Verlegung zu schicken. Und war bereit, etwas über das Schicksal ihrer Großmutter zu erzählen. „Dafür habe ich mit meiner Mutter Doris und meiner Tante Ellen gesprochen, die auch in Lünen geboren wurden“, so die 50-Jährige.

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Klara Rose wurde 1913 in Lünen geboren, sie war das jüngste Kind von Betty und Salomon Rose. Im September 1944 war sie verhaftet worden und kam ins Arbeitslager Kassel-Bettenhausen, wo sie von den Alliierten befreit wurde.

Doris Kolowrat (l.), die Mutter von Sonya Kolowrat, und ihre Schwester Ellen Craig (r) bei einem Treffen im Dezember. Die beiden Frauen sind die Töchter von Klara und Ludwig Hermann, beide in Lünen geboren.

Doris Kolowrat (l.), die Mutter von Sonya Kolowrat, und ihre Schwester Ellen Craig (r) bei einem Treffen im Dezember. Die beiden Frauen sind die Töchter von Klara und Ludwig Hermann, beide in Lünen geboren. © Kolowrat

Klara Hermann, wie Sonya Kolowrats Großmutter nach ihrer Hochzeit hieß, und ihr Mann Ludwig entschieden sich Anfang der 50er-Jahre auszuwandern. „Sie fühlten sich wohl nicht sicher,“ so die Enkelin. Mit ihren beiden Töchtern Ellen und Doris bestiegen sie 1952 ein Schiff nach Kanada. „Eigentlich wollten sie in die USA auswandern, doch das war schwierig, Kanada hat die Menschen aus Europa eher aufgenommen.“

Kalifornien war das eigentliche Ziel, da dort Brigitte, eine Nichte von Klara Hermann lebte. Sie war die Tochter von Hildegarde Hannemann, die von den Nazis ermordet wurde. „Sie war von einer amerikanischen Familie unterstützt worden, reiste nach Los Angeles und überlebte so den Zweiten Weltkrieg.“ Brigitte Martha Tucker, wie sie später hieß, hatte ein sehr enges Verhältnis zu Klara Hermann und sie war auch der Grund, warum das Ehepaar Hermann an die Westküste wolle. Letztlich stieg die Lüner Familie in einen Zug, der sie von der Ostküste Kanadas nach Vancouver an der Westküste brachte, wo sie ein neues Leben begann.

Schwester Regina blieb in Deutschland

„Mein Opa hatte eine Landkarte gesehen und gedacht, dass Vancouver doch nahe an Kalifornien liegt. Er wusste nicht, dass die Entfernungen doch sehr groß sind in Kanada und den Staaten.“ Klaras Schwester Regina blieb mit ihrer Familie in Deutschland.

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Klara Hermann erzählte kaum etwas von der Zeit, in der die jüdische Familie Rose, die einen Kolonialwarenladen in der Barbara-Siedlung führte. „Das ist leider sehr oft so in Familien, in denen jemand den Holocaust überlebt hat“, weiß Sonya Kolowrat. Die inzwischen dritte Generation, zu der sie gehört, hätte gern mehr von den Zeitzeugen erfahren. „Ich hatte ein sehr enges Verhältnis zu meiner Großmutter, sie hat mich praktisch aufgezogen.“ In den 80er-Jahren starb Klara Hermann im Alter von 75 Jahren. „Damals war ich ein Teenager und hatte leider nicht das Interesse, das ich heute an der Geschichte habe.“

Sonya Kolowrat ist die Enkelin von Klara und Ludwig Hermann. Sie lebt in Los Angeles und hatte ein enges Verhältnis zu ihrer Großmutter.

Sonya Kolowrat ist die Enkelin von Klara und Ludwig Hermann. Sie lebt in Los Angeles und hatte ein enges Verhältnis zu ihrer Großmutter. © Tim Smoter

Als sie heiratete, konvertierte sie zum katholischen Glauben, was ihr vermutlich das Leben rettete, auch wenn sie wenige Monate vor Kriegsende verhaftet und ins Arbeitslager gebracht wurde. „In Kanada wollte sie niemandem sagen, dass sie eigentlich aus einer jüdischen Familie stammt, sie hatte wohl immer noch Angst.“ Doch als ihre Schwester Regina sie in Vancouver besuchte, seien die Schwestern ins Schlafzimmer gegangen und hätten geredet, man habe sie weinen hören.

Traum von einer Reise nach Lünen

Sonyas Mutter, die in Kanada lebt, war schon einige Male in Deutschland, aber noch nie in ihrer Heimatstadt Lünen. Sonya Kolowrat würde gerne einmal nach Deutschland reisen und als erstes Ziel dann in die Lippestadt, sich die Stolpersteine ansehen, die für die Familie ihrer Großmutter als Erinnerung verlegt wurden. „Es war ein sehr emotionaler Moment, als ich die Bilder von den Stolpersteinen sah, auf denen die Namen meines Urgroßvaters und seiner Familie stehen.“

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Salomon Rose und sein Sohn Werner seien, soweit Sonya Kolowrat weiß, schon sehr früh von den Nazis verhaftet und später ermordet worden. Aber auch ihre Urgroßmutter Betty und die Töchter Martha und Hildegard wurden ermordet. „Ich weiß nicht, ob meine Großmutter alle Details kannte über das Schicksal ihrer Eltern und Geschwister in dieser schrecklichen Zeit.“ Brigitte Tucker, die Cousine von Ellen und Doris, hatte fünf Kinder und starb 2015. Sie besuchte in Kalifornien lange Zeit Schulen und teilte dort ihre Erlebnisse und die ihrer Familie mit dem Holocaust mit den amerikanischen Schülern.

Großeltern liebten das Leben in Vancouver

Die Entscheidung, aus Lünen wegzugehen und nach Kanada auszuwandern, hat Klara Hermann wohl nie bereut. „Meine Großeltern liebten es, in Vancouver zu leben, sie waren gern in den Parks unterwegs, sind gewandert und mein Großvater war ein begeisterter Angler.“ Er arbeitete in einer Gießerei in der Metropole von British Columbia. Nach dem Zweiten Weltkrieg hätten Ludwig und Klara Hermann den Kolonialwarenladen der Familie Salomon Rose zurückhaben können. „Ich glaube, sie haben ihn eventuell verkauft“, so Sonya Kolowrat. Sie glaubt, es gebe noch einige Familienmitglieder in Lünen.

Der Stolperstein erinnert an Klara Rose, die Großmutter von Sonya Kolowrat.

Der Stolperstein erinnert an Klara Rose, die Großmutter von Sonya Kolowrat. © Günther Goldstein

Doris Hermann heiratete Fred Kolowrat und bekam zwei Kinder - Sonya und Alfred, der in Vancouver lebt und sein erstes Kind erwartet. Sonya Kolowrat wurde in Vancouver geboren und wuchs im nahe gelegenen Victoria auf. Später ging sie in die USA, lebte zunächst in Boston und dann 20 Jahre in der Mega-City New York. Inzwischen ist die 50-Jährige an der Westküste in Los Angeles zuhause und arbeitet für eine Plattenfirma. Sie hat einen Sohn.

Ellen Hermann, die wie ihre Schwester in Lünen geboren wurde und dort aufwuchs, heiratete Neil Craig und hat zwei Kinder, Diana und Brent. „Diana hat zwei Kinder und zwei Enkel, das dritte Enkelkind ist auf dem Weg. Die Schwester von Klara, meine Großtante Regina Kuching, blieb in Deutschland und hatte zwei Kinder, Ilse Rudolph und Werner Kuching. Beide leben heute noch in Deutschland und haben Kinder und Enkel.“

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Sie ist von dem Stolperstein-Projekt begeistert: „Das ist eine wunderbare Erinnerung an und Ehrung für die Menschen, die ermordet wurden, und das direkt dort, wo sie tatsächlich gelebt haben.“ Ihre erste Begegnung mit den Stolpersteinen, die der Berliner Künstler Gunter Demnig im Jahr 1992 initiierte, fand in Rom statt. Bei einer Reise vor einigen Jahren durch Italien war sie in der Hauptstadt im jüdischen Viertel unterwegs und entdeckte dort Stolpersteine, ohne zuerst zu wissen, was sie bedeuten.

Schicksal der Familie Rose

Dass es jetzt Stolpersteine für ihre Urgroßeltern Salomon und Betty und ihre fünf Kinder gibt, findet sie wunderbar, gerne würde sie sie auch einmal selbst sehen. Salomon Rose wurde 1943 deportiert und im KZ Auschwitz ermordet. Seine Frau Betty erlitt dasselbe Schicksal. Tochter Hildegard, die Mutter von Brigitte Tucker, wurde 1943 verhaftet und ein Jahr später deportiert, auch sie wurde in Auschwitz ermordet. Martha Rose wurde 1942 deportiert und im besetzten Polen ermordet.

Die fünf Jahre ältere Schwester von Klara, Regina Rose, überlebte den Nazi-Terror. Sie blieb mit ihrer Familie in Deutschland und besuchte Klara in Kanada.

Die fünf Jahre ältere Schwester von Klara, Regina Rose, überlebte den Nazi-Terror. Sie blieb mit ihrer Familie in Deutschland und besuchte Klara in Kanada. © Günther Goldstein

Auch Klara und Regina Rose bekamen Stolpersteine. Die Inschrift von Reginas Stolperstein müsste allerdings wahrscheinlich geändert werden - dort steht noch, dass das Schicksal der 1908 geborenen Frau unbekannt sei. Da kann Sonya Kolowrat weiterhelfen.

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