Halbzeit für Landrat Mario Löhr Warum seine Politik zwischen BVB und 1. FC Köln schwankt

Halbzeit für den Landrat: Mario Löhr gesteht Ungeduld bei Projekten
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Dem bevorstehenden Start der Bundesliga fiebert auch ein Landrat entgegen, wenn er Fußballfan ist. Mario Löhr hat es sogar geschafft, über Freunde an eine nur noch selten zu ergatternde Dauerkarte für den BVB zu kommen.

„Hat Harry Kane jetzt eigentlich bei den Bayern unterschrieben?“, fragt er daher gespannt in den Raum, als er am Mittwoch zum Sommergespräch zur Halbzeit der Wahlperiode im Verlagshaus erscheint. Schulterzucken. Niemand weiß was.

Die bei Erscheinen dieses Textes bekannte Nachricht aus München wurde Mitte der Woche fast noch minütlich erwartet – die Ungeduld bei Löhr war groß. Schließlich dürfte der Wechsel nicht unerheblich über Erfolg und Misserfolg der beiden Meisterschaftsrivalen Bayern und Borussia bestimmen.

„Großer Tanker“ und „träger Apparat“

Erfolg und Ungeduld. Das Begriffspaar hängt zum Bedauern von Mario Löhr untrennbar zusammen, wenn er eine Bilanz seiner bisherigen Amtszeit zieht. „Ich bin ungeduldig und nicht ganz zufrieden“, räumt der Chef der Kreisverwaltung ohne Umschweife ein. Denn er konnte bei Weitem noch nicht hinter alle Themen, „die ich voranbringen wollte“, ein Häkchen machen.

Von der Corona-Pandemie, das hat er schon sehr früh gesagt, wollte er sich bei seinen ambitionierten Vorhaben nicht ausbremsen lassen. Ein Hindernis, das die Umsetzung von Ideen dagegen offenbar verlangsamt, sind lange Entscheidungsprozesse. „Großer Tanker“ und „träger Apparat“ hört man Löhr sagen, wenn er vom Kreis und seinen Wirtschaftsbetrieben wie etwa der VKU spricht.

„Es kann sogar sein, dass wir erst einmal deutlich mehr Geld hineinstecken müssen“: Landrat Mario Löhr will einen künftig besseren ÖPNV im Kreis Unna.
„Es kann sogar sein, dass wir erst einmal deutlich mehr Geld hineinstecken müssen“: Landrat Mario Löhr will einen künftig besseren ÖPNV im Kreis Unna. © Marcel Drawe

Doch das hat der frühere Bürgermeister von Selm ja vorher gewusst. Da ist zum Beispiel Löhrs Herzensanliegen der Mobilitätswende. „Faire Preise“ hatte er im Wahlkampf versprochen. Viel Konkreteres als eine von ihm eingesetzte Arbeitsgruppe, die einen neuen Nahverkehrsplan ausarbeiten soll, gibt es bisher noch nicht.

Immerhin legt sich der Landrat unmissverständlich fest. „Es kann sogar sein, dass wir erst einmal deutlich mehr Geld hineinstecken müssen“, sagt Löhr. Nur wenn man in die Qualität des ÖPNV investiere, werde sich ein attraktiveres Angebot der VKU auf lange Sicht für alle Seiten rentieren.

Wo bleiben die Synergieeffekte?

Dass es künftig teurer wird, sei ohnehin ein einfaches Rechenexempel: Steigende Treibstoffkosten und besonders die deutlich höheren Tariflöhne kommen die kreiseigene Busgesellschaft teuer zu stehen. „Das hat Politik vielleicht nicht bedacht“, sagt Löhr. Ob er mit dieser Aussage unbeabsichtigt schon Debattenkritik aus dem nicht-öffentlich tagenden Arbeitskreis preisgibt? 2024 jedenfalls sollen nun endlich erste Ergebnisse vorliegen.

Eine weitere Baustelle, über deren Status quo Mario Löhr ebenfalls wenig glücklich ist: das von ihm propagierte „Haus der Integration“, das Ausländerbehörde und Kommunales Integrationszentrum unter einem Dach vereinen soll.

Der Kreis (ohne Lünen) sei für rund 10.000 Ausländer verantwortlich, wolle auch für diese große Gemeinschaft Dienstleister sein. „Da bin ich sehr ungeduldig.“ Löhr sagt es hier wieder: „Das ist ein großer Tanker.“ Denn personell ist man in dem Bereich immer noch nicht auf Rosen gebettet. Immerhin soll ab Herbst die Ausländerbehörde auch wieder ohne lange Terminwartezeiten geöffnet sein.

Die Ziele, die sich Mario Löhr im Oktober 2020 gesetzt hatte, waren wahrlich ehrgeizig. Der Kreis und seine zehn Kommunen sollten Synergieeffekte schaffen, indem gleichartige Aufgaben gebündelt erledigt werden.

Den großen Durchbruch gibt es noch nicht: Die Smart City – mehr Bürgernähe durch Digitalisierung – wird federführend von der Stadt Schwerte auf den Weg gebracht, einen gemeinsamen Mietspiegel gibt es jetzt auch. Punkt.

Vision: Eigene Gesellschaft für den Hochbau

Ungeduld und Erfolgshunger – Mario Löhr lässt das magere Ergebnis eher zu Höherem streben. Denn er sehe kommen, dass die Städte und Gemeinden förmlich gezwungen sein werden, bei der interkommunalen Zusammenarbeit mitzuziehen. „Weil der Fachkräftemangel da ist und die Finanzen fehlen“, weiß Löhr aus eigener Erfahrung im besonders klammen Selm.

Die Stadt Unna nimmt beim Hochbau für gewerbliche Sonderbauten bereits personelle Hilfe der Kreisverwaltung in Anspruch. Eine Ausnahmelösung bislang. „Vielleicht gründen wir eine eigene Gesellschaft dafür, weil die ganz andere Tarife bezahlen könnte“, verrät Mario Löhr da plötzlich. „Ich will, dass alles auf den Tisch kommt.“ Erfolg, Ungeduld – und hinzu kommt hier offenbar ein „Out-of-the-box“-Denken, eine Suche nach unkonventionellen Lösungen.

Breitbandausbau, Wasserstoff-Allianz, proaktiv als Polizeichef: Mario Löhr sieht sich bei einer Reihe von Projekten auf der Erfolgsspur.
Breitbandausbau, Wasserstoff-Allianz, proaktiv als Polizeichef: Mario Löhr sieht sich bei einer Reihe von Projekten auf der Erfolgsspur. © Marcel Drawe

Die Zuversicht, die er hier ausstrahlt, zieht der Landrat womöglich aus jenen Themen, die er in zweieinhalb Jahren setzen konnte: Die Firma Westconnect, die Glasfaserinfrastruktur unter die Erde bringt, vermittelte er an die Kommunen. „Wir haben damit Druck aufgebaut“, spricht Löhr einsetzenden Wettbewerb an. Tatsächlich dient sich, zum Beispiel in Fröndenberg, mittlerweile ein weiterer Breitbandanbieter an.

Solche Projekte liebe er, weil er er als Landrat etwas bewirken könne. „Es hat die Gefahr bestanden, dass uns das ein oder andere Unternehmen verlässt“, so Löhr. Schnelles Internet sei einer der wichtigsten Standortfaktoren für den Kreis.

Löhr: „Ich kann Prioritäten setzen“

Auch mit dem Beitritt zur Wasserstoff-Allianz mit Hamm und Dortmund habe er angesichts der Debatten über Zukunftstechnologien ja offenbar auf das richtige Pferd gesetzt. Wachstum und Arbeitsplätze prophezeit Löhr dadurch. Allerdings hatte ihn der Kreistag bei der Gründung einer Energiegesellschaft ausgebremst.

Als „König ohne Land“, wie ihn CDU-Opponent Marco Morten Pufke bezeichnete, empfindet er sich nach eigener Aussage ganz und gar nicht. Die Rolle des Landrats sei es, eigene Impulse zu geben, da wo er die Kompetenz dazu habe. Daher habe er als Polizeichef die Themen Sicherheit und Ordnung besetzt, greife aktiv in Einsatzplanungen der Polizei vor Ort ein. „Das macht schon Spaß“, sagt Löhr. „Ich kann Prioritäten setzen.“

Davon soll es noch einige in der zweiten Hälfte seiner Amtsperiode geben. Ein ganz großer Schwerpunkt seiner Arbeit dabei: der öffentliche Gesundheitsdienst. „Wir wollen noch stärker zu einem beratenden Kreis werden“, kündigt Löhr an. Auch mit mehr Stellen in der Kreisverwaltung. Das sei unabdingbar, betrachte man den Fachkräftemangel sowohl in der Pflege als auch im Bereich niedergelassener Ärzte. „Gesundheitsregion Kreis Unna“, lautet die Vision von Mario Löhr.

Deutschlandticket für betagte Autofahrer

Dass es Themen sind, die ihm richtig am Herzen liegen, merkt man Mario Löhr an, wenn er von angestrebten Alleinstellungsmerkmalen seines Kreises spricht, die manche eher als „softe“ Standortvorteile klassifizieren würden: Eine Aktion „Deutschlandticket für betagte Autofahrer“, die ihren Führerschein eintauschen können, will er starten, die Kampagne „Jedes Kind soll schwimmen lernen“ ausbauen und im Bereich Inklusion eine neue Stelle schaffen, um alle Bestandsgebäude des Kreises auf Barrierefreiheit hin zu checken. „Eigentlich bin ich noch ein bisschen Bürgermeister“, sagt Mario Löhr, wenn er diese bürgernahen Projekte aufzählt.

Der BVB, das räumt Mario Löhr ein, sei eigentlich keine Herzenssache für ihn. Doch der Erfolgssüchtige will im Fußballstadion halt viele Siege sehen und bestenfalls Titel feiern. Ginge es im Leben nur nach „Jeföhl“ müsste er eigentlich nach Müngersdorf fahren – denn sein „Hätz schläät för dä FC Kölle“.

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