Hartmut Ganzke kommt gut erholt vom Familienurlaub auf Thassos zum Gespräch ins Verlagshaus in Unna. Draußen regnet es gerade, aber den Chef der SPD-Fraktion im Kreistag kann das die Laune offensichtlich nicht verhageln.
Auf der griechischen Insel hat der 57-Jährige in nur einer Woche wieder vier Bücher geschafft. „Ich bin Schnellleser“, plaudert Ganzke los. Auf Papier, wohlgemerkt. Ein I-Pad brauche er dafür nicht. Viel Mord und Totschlag war dabei. „Ich bin leidenschaftlicher Krimileser.“
Vielleicht ein schönes Gegengewicht zu der streckenweise eher trockenen Kost, die Beratungsvorlagen der Kreisverwaltung bieten. Wobei Ganzke als gelernter Rechtsanwalt und Strafverteidiger davor nicht bange ist.
Und auch die Doppelrolle im Kreistag als Nachfolger von Fraktionschefin Brigitte Cziehso und als Abgeordneter des Landtags – die er einmal für sich ausgeschlossen hatte – bekomme ihm. „Das geht sehr gut.“ Die Funktion als innenpolitischer Sprecher seiner Fraktion in Düsseldorf habe er aber abgegeben.
„Mussten uns aneinander gewöhnen“
Zur Halbzeit der Wahlperiode räumt Ganzke ein, dass er sich als Kopf der größten Fraktion mit einem weiteren Alphatier im Kreishaus erst arrangieren musste, obwohl man in derselben Partei ist: Landrat Mario Löhr.
„Wir haben uns aneinander gewöhnen müssen“, verrät er, ballt dabei plötzlich seine Hände zu Fäusten und lässt sie vor seinem Gesicht aufeinanderprallen. „Wir sind beide Platzhirsche.“
Für Hartmut Ganzke ist klar, dass sein Platz auch der des Kontrolleurs der von seinem Parteigenossen geführten Verwaltung ist. Mario Löhr habe nur auf dem Ticket der SPD Landrat werden können. Von Landräten, die, kaum im Amt, eine überparteiliche Rolle spielen wollen, halte er überhaupt nichts.

Einmal habe er sich zunächst aber doch gefragt, ob Löhr „als Verwaltungschef klug“ gehandelt hat. Der Landrat hatte im Februar seine Unterschrift auf eine Petition von Verdi gesetzt, als es um eine Gehaltsforderung von 10,5 Prozent ging. Als Dienstherr und Amtsperson, der am Ende auch den Kreishaushalt aufstellen muss, hätte Löhr das auch ablehnen können, findet Ganzke.
„Er hat es richtig gemacht und sich gesagt: Ich mache aus meinem Herzen keine Mördergrube“, schlug sich der Sozialdemokrat letztlich auf die Seite des Genossen. Überhaupt wird beim gemeinsamen Abschreiten der Megathemen des Kreises Unna mehr als deutlich, warum Hartmut Ganzke auch in der Kommunalpolitik klare Unterscheidungsmerkmale der Parteien sieht und für notwendig hält.
„Machen wir es nicht, können wir den Kreis auch abschaffen“
Wo Liberale „Privat vor Staat“ fordern würden, schlägt sich Ganzke auf die Seite einer starken Verwaltung, die im Zweifel auch mehr Geld ausgibt. An der Kinder- und Jugendpflege werde die SPD daher unter seiner Führung niemals kürzen.
Bei der Haushaltsdebatte im Kreistag letzten Herbst hatte es in dieser Frage ein Wortgefecht zwischen ihm und seinem CDU-Opponenten Marco Morten Pufke gegeben. In seiner Zeit als Vorsitzender des Awo-Unterbezirks, so Ganzke, habe er prekäre Situationen „in deutschen Familien“ erlebt. „Deswegen müssen wir da reinpulvern.“
Ist die SPD die Partei, die im Kreis Unna das Geld ausgibt, das nicht da ist? Hartmut Ganzke sieht das völlig anders. Wie zum Beweis, dass Geld ausgegeben werden muss, wenn man von der Investition überzeugt ist, nennt Ganzke die von der SPD beantragte Stelle eines Schlaganfall-Lotsen.
„Wenn du davon überzeugt bist, dass es gut für den Bürger ist, dann musst du es auch machen“, sagt Ganzke einen dieser Sätze, die ihn als routinierten Rhetoriker ausweisen – denn wer wollte gegen diese Aussage etwas einwenden?
Ganzke, seit 1994 Mitglied des Kreistages, fordert gar weiteres: Im öffentlichen Gesundheitsdienst, einer der originären Aufgaben eines Landkreises, könne man auch noch mehr machen – schließlich habe ein starkes Kreisgesundheitsamt sicher durch die Pandemie navigiert. „Wenn wir es nicht machen, können wir den Kreis auch abschaffen“, findet er.
51 Anträge der SPD erhielten Mehrheit
Im Grunde könnte dieses Argument auch für den millionenschweren Ausbau der kreiseigenen Ökologiestation, die ein Besucherzentrum bekommen soll, herhalten. Obwohl es sich nicht um eine Pflichtaufgabe des Kreises handelt, habe er sich von den Umweltpolitikern seiner Fraktion von dem „Vorzeigeprojekt in NRW“ überzeugen lassen. Nein, wiegelt Ganzke ab, man baue als Kreis nicht, weil der Regionalverband einen Zuschuss von 1,5 Millionen gebe.
„Das ist Top-Werbung für den Kreis“, zeigt sich der Massener – Unnaer sei er gern, aber in zweiter Linie – überzeugt. Da ist sie also wieder die Maxime Ganzkes: Ist die Sache gut, muss man sie auch machen.

Den Einwand der Umlagen, die die zehn Kommunen an ihren Kreis jedes Jahr zu zahlen haben und die sich auch wegen solcher Ausgaben erhöhen, lässt der Familienvater nur bedingt gelten. Den Schwarzen Peter schiebt er Richtung Land und Bund, die die Städte und Gemeinden endlich strukturell entlasten müssten: „Es geht um die Altschulden, die uns alle gängeln.“
Hartmut Ganzke vertritt diese Haltung, als Politiker dafür angetreten zu sein, nicht nur Probleme zu benennen, sondern Lösungen ins Werk zu setzen, offensiv. „Der Mut zu Entscheidungen ist zurückgegangen“, habe er in den zurückliegenden Jahren beobachtet. Vielleicht mache er sich angreifbar – aber das müsse er aushalten.
Das Zusammenspiel mit den anderen Fraktionen im Kreistag empfindet er dennoch insgesamt als harmonisch. „Ich habe auf Kreisebene keine Koalition – die wollte ich auch nicht“, macht Ganzke klar. „Wir arbeiten aber top zusammen.“ Sämtliche 51 Anträge der SPD-Fraktion seit Beginn der Wahlperiode im Oktober 2020 hätten eine Mehrheit gefunden, „mal mit Schwarz, mal mit Grün, Gelb, Schwarz – in der Kommune kommt es auf gute Ideen an“, relativiert Ganzke seinen dezidiert sozialdemokratischen Politikansatz dann doch ein wenig – oder es müsste nur die SPD gute Ideen haben. Eine gewagte These.
Nahverkehr und Katastrophenschutzzentrum
In der zweiten Halbzeit, das dürfte auch Hartmut Ganzke klar sein, wird es noch genügend Konfliktstoff geben. Das Ziel, einen besseren Nahverkehr der VKU im Kreis Unna zu konzipieren, haben sicherlich noch alle Fraktionen.
Der SPD-Fraktionschef kündigt aber bereits „interfraktionelle Runden“ an, wenn es um die Finanzierung der ohnehin schon stark defizitären Kreis-Busgesellschaft geht. Ganzke legt sich fest: Allen Schülern und Schwächeren wie seiner 83-jährigen Mutter müsse der bestmögliche Takt zum geringstmöglichen Fahrpreis geboten werden. „Das sind für mich zwei Wahnsinnsaufgaben.“
Das Gespräch mit den Fraktionskollegen werde dann zeigen, ob fehlendes Geld das K.o.-Kriterium werde. „Wir werden niemals ohne Defizit öffentlichen Personennahverkehr anbieten können – nehmen wir es aber hin, dass es von Jahr zu Jahr größer wird?“ Die selbst aufgeworfene Frage beantwortet Ganzke mit nein – das könnte zur Einsparung von Linien führen – aber das ist Zukunftsmusik.
Wenn es um das geplante Bevölkerungsschutz- und Katastrophenschutzzentrum geht, legt Ganzke sich fest: „Es ist das wichtige Thema im Kreis – da müssen wir im nächsten Haushalt noch finanziell und personell nachlegen.“ Eine höhere Einstufung für den gesuchten Kreisbrandmeister sei unabdingbar gewesen.
Aufregende und wichtige Debatten wird es bis zur nächsten Wahl im Herbst 2025 also im Kreistag sicherlich noch geben. Für persönliche Eitelkeiten wird auch dann kein Platz sein – selbst wenn zu Hartmut Ganzkes Urlaubslektüre auch eine Biografie von Karl Lagerfeld gehörte.