
Sind empört, dass hinter ihren Grundstücken an der Zeppelinstraße die alten und hohen Bäume gefällt werden: (v.l.) Horst Kruck, Marion Löffler und Bianca Krug. © Quiring-Lategahn
Kahlschlag-Alarm an Zeppelinstraße: Anwohner entsetzt über Pläne der Stadt
Victoriabrache
Anwohner der Zeppelinstraße sind alarmiert. Den Bäumen hinter ihren Häusern auf der Victoriabrache droht der Kahlschlag. „Sie schütten uns den Forensik-Aushub vor die Tür“, sagen sie entsetzt.
Der Blick aus Marion Löfflers Garten geht ins Grüne. Teilweise zehn Meter hohe Bäume wachsen hinter ihrem Grundstück an der Zeppelinstraße in Lünen. An den Hitzetagen kommt Kühle aus dem sieben Hektar großen Wald, der sich auf der Victoriabrache angesiedelt hat. „Hier haben wir als Kinder gespielt“, sagt die 62-Jährige. Dass der Boden auf dem 1998 stillgelegten Zechen- und Kokereigelände von Victoria 1/2 in dem Bereich belastet sei, habe sie damals nicht gewusst.
Gemeinsam mit Nachbarn schaut Marion Löffler auf die Bäume, die bald gefällt werden sollen. Die Stadt hat hier große Pläne: Ein Zukunftsgarten der Internationalen Gartenausstellung 2027 (IGA) soll entstehen, ein Erlebnisraum für Tourismus und Naherholung mit Bewegungsangeboten für Jung und Alt. Das Land will eine Forensik auf der Victoriabrache bauen und darin psychisch kranke Straftäter unterbringen. Dass für einen Zukunftsgarten Bäume fallen sollen, können die Anlieger nicht verstehen. Viele Tiere würden dort leben. Man erfreue sich an Vogelstimmen und Eichhörnchen. Auch Rehe und Fledermäuse seien da. Kommt die Kreissäge, ist all das verschwunden.
Auch Bianca Krug, die erst im April ihr Haus an der Zeppelinstraße gekauft hat, kann nicht fassen, was vor ihrer Wohnungstür passieren soll. Am Sackgassen-Ende mit Wald sucht sie eigentlich die Ruhe und die Natur. „Jetzt soll hier alles weg.“
Naturbelassener Eindruck täuscht
Aus Sicht der Stadt wächst vor Ort allerdings gar kein richtiger Wald. Sie spricht von einem „Industriewald“, der sich auf der unsanierten Fläche über Jahrzehnte entwickelt habe. „Von außen betrachtet erscheint das Waldgebiet naturbelassen und intakt. Doch dieser erste Eindruck täuscht. Der Untergrund ist stark belastet, wie zahlreiche Untersuchungen gezeigt haben“, teilt Pressesprecher Daniel Claeßen auf Anfrage der Redaktion mit. Im Boden seien die Schadstoffbelastungen aus der bergbaulichen Vornutzung so hoch, dass dieser Bereich im jetzigen Zustand aufgrund der möglichen Gesundheitsgefahren für den Menschen durch den Direktkontakt zum verunreinigten Boden nach einer behördlichen Anordnung des Kreises Unna nicht betreten werden darf, erklärt er weiter.
Die Anwohner können sich an besagtem Wald einen Zaun vorstellen, die Stadt allerdings nicht. Stattdessen soll das Altlastenproblem auf zwei Wegen gelöst werden: Zum einen habe der jetzige Eigentümer, die Gesellschaft für Vermögensverwaltung (GfV), eine Grundwasserreinigungsanlage und eine Brunnengalerie gebaut. Beides soll verhindern, dass Schadstoffe über belastetes Grundwasser in die Lippe gelangen. Zum anderen müsse der kontaminierte Boden saniert beziehungsweise gesichert werden.

Insgesamt 10,4 Hektar werden auf der Victoriabrache gerodet. Die Stadt hat Ausgleichspflanzungen im Stadtgebiet vorgesehen. Auch im Landschaftspark und hinter den Gärten der Zeppelinstraße soll gepflanzt werden. © Goldstein (A)
Das nach dem Bundesbodenschutzgesetz vorgeschriebene Konzept sehe vor, „in diesem Bereich die Böden zu übererden und mit unbelastetem Boden in entsprechender Mächtigkeit abzudecken, um sie für die Bürgerinnen und Bürger öffentlich zugänglich und gefahrlos nutzbar machen zu können.“ Das Problem dabei: Dafür müssen die Bäume in diesem Bereich gefällt werden. Genau hinter den Grundstücken der Zeppelinstraße.
Bodenaushub wird umgelagert
Die Stadt bestätigt, was bei den Anwohnern die Runde macht: Der Bodenaushub der Forensik werde hinter ihre Gärten umgelagert. Dieser Bereich sei der am stärksten belastete des ehemaligen Bergbaustandorts. Das Sanierungskonzept für die Gesamtfläche sehe diese Maßnahme vor. Laut Pressesprecher Daniel Claeßen darf es sich nach dem sogenannten Verschlechterungsverbot nur um geringer belastete Böden handeln. Der Aushub werde von einem qualifizierten Gutachter beprobt und analysiert. „Stärker belastete Böden müssen vom Bauherrn extern entsorgt werden“, so Claeßen.
Die Forensikböden würden zusammen mit unbelasteten Füllböden dazu genutzt, das Gelände zu modellieren. Darüber komme zusätzlich eine Schicht vegetationsfähiges Material mit entsprechender Mächtigkeit, auf der der Landschaftspark entstehe. So würden die Altlasten sicher abgedeckt und der Direktkontakt ausgeschlossen.
Wohl Anfang Dezember soll der Rodungstrupp anrücken. Vorher plant die Stadt eine Information für die Anwohnerinnen und Anwohner. Die fürchten, dass ihnen die Erde vor die Füße gekippt wird und dann kein Geld mehr für die Aufforstung da ist. Auch die Nachpflanzung steht in der Kritik. Die Stadt spricht davon, dass 10,40 Hektar Fläche an anderen Stellen in der Stadt, darunter in Lünen-Süd, neu aufgeforstet wird. Die Anwohner sagen: „Was nützten uns Bäume irgendwo, wenn sie auf der Victoriabrache fehlen?“ In dem neuen Landschaftspark sollen laut Stadt zahlreiche neue, klimaangepasste Bäume gesetzt werden. Einen Waldausgleich auf der Victoriafläche werde es nicht geben.
Wall als Puffer zum Landschaftspark
Die Stadt plant hinter den Gärten an der Zeppelinstraße zusätzliche, flächige Baumpflanzungen auf einem Wall. „Diese erhöhte Anpflanzung fungiert als grüner Puffer zwischen Nutzern des Landschaftsparks und den Anwohnern“, heißt es. Das diene als Sicht- und Lärmschutz. „Die wallartige Anpflanzung wird in ausreichendem Abstand zu den Grundstücken entstehen und durch eine Pflegezufahrt von den Grundstücken getrennt“, teilt Daniel Claeßen mit.
Die Stadt Lünen prüfe gerade, ob die flächige Anpflanzung zur Zeppelinstraße als Bestandteil des Landschaftsparks als erstes in der Entwicklung umgesetzt werden könne, um so einen Puffer für weitere Baumaßnahmen haben zu können. Auch für die 3,5 Hektar Forensikfläche müssen Bäume fallen. „Ein Teil wird vor Ort als Waldrand wieder bepflanzt. Der Waldbestand im Südwesten der Fläche rund um das Haldenplateau bleibt erhalten, da die vorhandenen Belastungen in diesem Bereich nicht so hoch sind“, heißt es. Auch für den Artenschutz werde es Ausgleichsmaßnahmen geben.
Lünen ist eine Stadt mit unterschiedlichen Facetten. Nah dran zu sein an den lokalen Themen, ist eine spannende Aufgabe. Obwohl ich schon lange in Lünen arbeite, gibt es immer noch viel zu entdecken.
