
© Matthias Stachelhaus
Geflüchtete aus Lünen macht Ausbildung zur Versicherungskauffrau bei Signal Iduna
Multikulturelles Forum
Ruzanna H. wird Versicherungskauffrau. Dabei lernt sie erst seit drei Jahren die deutsche Sprache. Sie hat hohe Ansprüche an sich selbst. Und eine spezielle Bitte an die Gesellschaft.
Auf den ersten Blick wirkt Ruzanna H.* genau so, wie man sich eine junge Frau in der Ausbildung zur Versicherungskauffrau vorstellt. Ein dunkler Hosenanzug, seriöses und ruhiges Auftreten. Ein wenig schüchtern wirkt sie dazu.
Doch die 35-Jährige schafft Verblüffendes. Denn Ruzanna H. ist erst seit drei Jahren in Deutschland. 2017 flüchtete sie aus ihrer Heimat Armenien.
Jetzt ist sie in einer Branche tätig, in der Vertragstexte, Schriftverkehr und so wunderbare Worte wie „Antragsbearbeitung“, „Sachhaftpflicht- und Gewerbeversicherung“ und „Versicherungsvertragsgesetzbuch“ (VVG) zum Alltag gehören. Kurz gesagt ein Arbeitsumfeld, bei dessen Fachvokabeln sich auch der deutsche Muttersprachler häufiger fragen dürfte: „Was heißt das denn jetzt genau?“
„Das lernt man nicht im Sprachkurs“
Eine besondere Herausforderung für Ruzanna H. sind aber auch die Bedeutung von Worten wie „Gobelin“ oder „Schmuck“. „Das lernt man nicht im Sprachkurs“, sagt sie. Dass sie es heute trotzdem weiß, ist wohl auch ihrem Ehrgeiz zu verdanken.
„Sie stellt höchste Ansprüche an sich selbst“, sagt Reinhard Wolbeck, Ausbildungsleiter bei der Signal Iduna in Dortmund. Das spiegele sich in den guten Schulnoten der Auszubildenden.

Das Schreiben in Deutsch beherrscht Ruzanna H. schon sehr gut. Bei flüssigen Sprechen kämpft sie noch mit den richtigen Artikeln. Hilfe gibt es auch von Ausbildungsleiter Reinhard Wolbeck. © Matthias Stachelhaus
Eine große Rolle spiele auch ihr stark ausgeprägtes logisches Verständnis und ihre Gründlichkeit. Rein fachlich betrachtet kommt Ruzanna H. mit der Ausbildung problemlos klar. In Armenien hat sie ein Studium für „Warenkunde und Warenexpertise“ erfolgreich abgeschlossen.
Arbeitsstelle verbessert Chancen für Aufenthaltsgenehmigung
„Als wir sie kennengelernt haben, waren wir von ihren Fähigkeiten begeistert“, sagt Hatice Müller-Aras vom Multikulturellen Forum in Lünen. Ruzanna H. hatte über eine Frühinterventionsmaßnahme (FIM) den weg zu „Multikulti“ gefunden.
„Für uns war sie also eine Arbeitskollegin“, so Müller-Aras. Mit dem Ende der Maßnahme, habe sich dann die Frage nach der Zukunft für die Armenierin gestellt. Die Chancen im Asylverfahren, indem Ruzanna H. war, standen schlecht. Eine feste Arbeit verbessert die Chance auf einen Aufenthaltstitel. Die Ausbildung als Versicherungskauffrau passe sehr gut zu ihr.

Besonders am Anfang der Ausbildung griff die Armenierin häufig auf Online-Übersetzungshilfen zurück. Mittlerweile kommt sie selbst gut mit deutschen Fachvokabeln klar. © Matthias Stachelhaus
Ruzanna H. sind diese ganzen lobenden Worte schon ein bisschen unangenehm. Sie selbst findet nämlich nicht, dass sie außergewöhnliche Leistungen vollbringt. Auch ihre Sprachkenntnisse könnten noch besser werden, meint sie.
Artikel-Dschungel versus Endungen
Das Schreiben falle ihr zwar schon recht leicht, aber beim Sprechen stolpert sie noch über die Artikel. Besonders, dass der Artikel mit dem richtigen grammatikalischen Geschlecht vor dem eigentliche Hauptwort gesagt werden muss, bereite ihr Schwierigkeiten.
„Wir haben viel mehr Endungen und keine Artikel“, erklärt sie einen der Unterschiede zu ihrer Muttersprache Armenisch. Zu Beginn der Ausbildung, auch im Praktikum bei der Signal Iduna in Dortmund, hat sie mit Übersetzungshilfen gearbeitet, etwa von Google.
Einzelunterricht und Zukunftswünsche
Ihr Arbeitgeber unterstützte weitere Sprachschulungen, auch Einzelunterricht. „Ich würde den Menschen immer eine Chance geben wollen“, sagt Wolbeck zu der Frage, ob sich dieser Mehraufwand für die Firma lohnt. Die guten Leistungen der Auszubildenden sprächen außerdem für sich.
Für die Zukunft wünscht Ruzanna H. sich drei Dinge. Einerseits natürlich, dass sie nach Ende der Ausbildung eine gute Arbeit findet. Am besten „in einem mathematischen Bereich“. Andererseits wirbt sie für mehr Verständnis unter den Kulturen. „Das Leben hier ist sehr anders als in Armenien. Damit muss ich ja auch umgehen.“
Ihr dritter Wunsch ist ein Appell an das Miteinander. „Korrigiert mich, wenn ich etwas falsch sage.“ So könne sie viel schneller lernen. „Nur lacht mich bitte nicht aus.“
*Vollständiger Name ist der Redaktion bekannt.
Beruflicher Quereinsteiger und Liebhaber von tief schwarzem Humor. Manchmal mit sehr eigenem Blick auf das Geschehen. Großer Hang zu Zahlen, Statistiken und Datenbanken, wenn sie denn aussagekräftig sind. Ein Überbleibsel aus meinem Leben als Laborant und Techniker. Immer für ein gutes und/oder kritisches Gespräch zu haben.
