Der Willy-Brandt-Platz im Herzen Lünens um 22.30 Uhr. Vom 54 Meter hohen Rathaus im Hintergrund ist nichts zu sehen. Alle Lichter sind aus, wie es die Energiesparverordnung vorsieht. Davor tauschen Strahler die Baumreihe in blaues Licht. Außer der Reporterin Sylvia vom Hofe ist aber kam jemand unterwegs um das zu sehen.

Der Willy-Brandt-Platz im Herzen Lünens um 22.30 Uhr. Vom 54 Meter hohen Rathaus im Hintergrund ist nichts zu sehen. Alle Lichter sind aus, wie es die Energiesparverordnung vorsieht. Davor tauschen Strahler die Baumreihe in blaues Licht. Außer der Reporterin Sylvia vom Hofe ist aber kam jemand unterwegs um das zu sehen. © Sylvia vom Hofe

Energiespar-Verordnung in Lünen: Nicht alle Lichter gehen aus nach 22 Uhr

rnEnergiekrise

Nach 22 Uhr Lampen aus! Für öffentliche Gebäude und Leuchtreklame ist das ein Muss, für Schaufenster ein Appell. Wie beides in Lünen befolgt wird, zeigt ein Spaziergang zu später Stunde.

Lünen

, 18.10.2022, 09:05 Uhr

Eine Anwohnerin hatte den Impuls gegeben zum späten Spaziergang. „Schauen Sie sich das mal selbst an“, hatte sie am Telefon gesagt: „Wir müssen alle Energie sparen, und das Lüner Rathaus ist hell erleuchtet.“ Mal könne jeder mal vergessen, das Licht zu löschen, „aber im Rathaus habe ich das jetzt mehrfach beobachtet: abends und am Wochenende.“ Zweimal habe sie schon mit der Stadtverwaltung telefoniert. Als es jetzt wieder in ihr Wohnzimmer leuchtete, hat sie am nächsten Morgen die Redaktion angerufen.

Vielleicht Lerneffekt, vielleicht auch Vorführeffet: An diesem Montagabend gegen 22.30 Uhr ist kein Rathaus-Büro beleuchtet: 54 Meter Dunkelheit. Die Konturen des Hochhauses, das in den 1960er-Jahren nach seiner Errichtung zeitweise das höchste Rathaus Deutschlands war, lassen sich nur schwer ausmachen vor dem dunklen Himmel. Das kann aber auch an dem blauen Licht davor liegen.

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Die linke Baumreihe auf dem Willy-Brandt-Platz vor dem Rathaus strahlt in außerirdischem Blau. Zusätzlich zu den Laternen bestrahlen im Boden eingelassene farbige Spots die dünnen Stämme und Zweige der sechs schlanken Bäume.

Ein siebter war dem Unwetter Ende Mai zum Opfer gefallen. Wo er einst stand, strahlt es ganz ohne reflektierende Pflanze blau in den Nachthimmel. Und ohne Sinn. Blaulicht soll zwar Müdigkeit entgegenwirken können und die Stimmung heben. Aber um diese Zeit ist niemand mehr, ob müde oder schlecht gelaunt, auf dem Platz unterwegs.

Gemeinschaftsaufgabe: 20 Prozent Energie einsparen

Für die Bäume gilt seit September dasselbe wie für das Rathaus, die Kirchen sowie „öffentlichen Nichtwohngebäude und Baudenkmäler“ insgesamt: Die bundesweite Energiesparverordnung (der offizielle Name lautet: „Verordnung zur Sicherung der Energieversorgung über kurzfristig wirksame Maßnahmen“) sieht vor, auf Beleuchtung aus rein ästhetischen Gründen zu verzichten, es sei denn, das Licht wäre „zur Aufrechterhaltung der Verkehrssicherheit oder zur Abwehr anderer Gefahren“ erforderlich.

Notbeleuchtungen dürfen weiter brennen. Kurzzeitige Beleuchtung bei Kulturveranstaltungen und Volksfesten ist auch erlaubt. Ansonsten hat es duster zu bleiben.

Kurz vor 22 Uhr an der Borker Straße: Das LED-Display der modernen Werbetafel zeigt im 10-Sekunden-Wechsel Werbebotschaften, unter anderem auch vom Bundesumweltamt. Um punkt 22 Uhr schaltet sich die Werbeanlage aus, wie die Verordnung es vorschreibt.

Kurz vor 22 Uhr an der Borker Straße: Das LED-Display der modernen Werbetafel zeigt im 10-Sekunden-Wechsel Werbebotschaften, unter anderem auch vom Bundesumweltamt. Um punkt 22 Uhr schaltet sich die Werbeanlage aus, wie die Verordnung es vorschreibt. © Sylvia vom Hofe

Aus Sorge um mögliche Energie-Engpässe hatte die Bundesregierung zum 1. September die Verordnung in Kraft gesetzt. Sie dreht auch an kleinen Schrauben, um das Ziel zu erreichen: Einsparungen beim Energieverbrauch von rund 20 Prozent gegenüber der Vorkrisenzeit. Nur so komme Deutschland ohne Gasrationierung durch den Winter. Es handele sich um eine „Gemeinschaftsaufgabe von Politik, Unternehmen sowie Verbraucherinnen und Verbrauchern“, heißt es im Text der Verordnung, die bis zum 28. Februar 2023 gilt.

Digitale Werbetafel an der Borker Straße pünktlich aus, andere nicht

Beleuchtete Werbeanlagen sind laut dieser Verordnung von 22 Uhr abends bis 6 Uhr am Folgetag auszuschalten: solche wie die an der Borker Straße, unweit der Bahnlinie: ein Riesen-Display, der alle zehn Sekunden neue Werbebotschaften und Nachrichten zeigt – darunter auch Apelle zur Nachhaltigkeit, die das Bundesumweltamt macht. Dabei ist gerade der Stromverbrauch dieser Riesen-Displays enorm.

Nach Recherchen des WDR verbraucht eine solche LED-Werbetafel verglichen mit einem hintergrundbeleuchteten Plakat mehr als hundertmal so viel Strom. Da ist es gut, dass die kommerziellen Betreiber die Energiesparverordnung genau befolgen: Um Punkt 22 Uhr schaltet sich die Lichterwand an der Borker Straße an diesem Montag ab – anders als andere Werbeanlagen.

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Die große analoge Werbewand etwas weiter stadtauswärts bleibt weiter grell erleuchtet. Ein doppelter Fehler: zum einen, weil das der Verordnung widerspricht, zum anderen, weil an diesem Tag gar keine Werbebotschaft darauf zu lesen ist. Lediglich die Reste des abgerissenen Plakats werden in helles Licht getaucht.

Irritationen ausgeräumt: Verordnung gilt nicht für Schaufenster

Bei Werbetafeln – ob digital oder analog – ist die Bundesverordnung eindeutig. Irritationen gab es anfangs dagegen, was für Schaufenster gelte. Inzwischen hat der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) in Rücksprache mit dem zuständigen Wirtschaftsministerium klargestellt: „Schaufenster, Auslagen oder Dekorationen sind keine Werbeanlagen.“ Die Lampen dort auszustellen ist also kein Muss. Der Handelsverband (HDE) rät aber dringend dazu – im ureigenen Interesse der Unternehmen.

Diese Reklamewand an der Borker Straße ignoriert die Vorgaben der Energiesparverordnung. Sie strahlt auch noch um 22.45 Uhr in hellem Licht. Dabei klebt da nicht einmal mehr ein Plakat.

Diese Reklamewand an der Borker Straße ignoriert die Vorgaben der Energiesparverordnung. Sie strahlt auch noch um 22.45 Uhr in hellem Licht. Dabei klebt da nicht einmal mehr ein Plakat. © Sylvia vom Hofe

Die Energiekosten im Einzelhandel seien seit Jahresbeginn im Durchschnitt um knapp 150 Prozent gestiegen. In der Folge sieht laut einer Umfrage des HDE Ende September unter 900 Handelsunternehmen mehr als die Hälfte seine Existenz bedroht. Nach den beiden Coron-Jahren mangele es vielerorts an finanziellen Rücklagen, um die Energiepreisentwicklung auffangen zu können.

Nur einzelne Geschäfte setzen weiter auf helle Beleuchtung

Die Mehrzahl der Geschäfte in der Lüner City spart sich die teure Beleuchtung. Dunkel ist es trotzdem nicht auf der Langen Straße. Die in der Fußgängerzone mittig aufgestellten Straßenlaternen tauchen die Einkaufsstraße um 22.30 Uhr in helles Licht. Es ist so hell, dass sogar die Waren in den dunkel bleibenden Schaufenstern zu erkennen sind.

Vor allem die Straßenlaternen beleuchten die Lüner City nach 22 Uhr. Etwas mehr als eine Hand voll Läden sind aber auch zu diesem Zeitpunkt noch beleuchtet. Das Gros der Geschäfte verzichtet darauf.

Vor allem die Straßenlaternen beleuchten die Lüner City nach 22 Uhr. Etwas mehr als eine Hand voll Läden sind aber auch zu diesem Zeitpunkt noch beleuchtet. Das Gros der Geschäfte verzichtet darauf. © Sylvia vom Hofe

Bei Schmuck, Brillen, Handys, Kinderwagen und Kaffeespezialitäten ließen sich sogar kleinste Details der Auslagen erkennen. Denn etwas mehr als eine Handvoll Geschäfte lässt trotz der Energiepreisexplosion um diese Zeit die Lampen an. Die Filialisten mit den großen Fensterfronten hinten in der City gehören nicht dazu.

Und wenn das nächste Mal das Rathaus wieder nachts erleuchtet sein sollte, will die Anwohnerin jenseits der Lippe Fotos mache. etwas, das sich Stadtsprecher Daniel Claeßen nicht vorstellen kann: „Vermutlich meint die Anwohnerin die Treppenhäuser. Die haben überwiegend Glasfronten, weshalb man die Notausgangsleuchten dort als besonders hell wahrnimmt-“

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