Darum wird an der GSG in Lünen Islam unterrichtet

Lehrer im Interview

An der Geschwister-Scholl-Gesamtschule in Lünen steht Islam-Unterricht auf dem Stundenplan - und das ist sehr wichtig, sagt Lehrer Musa Bagrac. Warum er diese Meinung vertritt und ob der Unterricht extremistischen Tendenzen entgegenwirken kann, erklärt er im Interview.

LÜNEN

, 10.04.2017, 15:21 Uhr / Lesedauer: 6 min
Islamischer Religionsunterricht auf dem Stundenplan – an der Geschwister-Scholl-Gesamtschule ist das der Fall.

Islamischer Religionsunterricht auf dem Stundenplan – an der Geschwister-Scholl-Gesamtschule ist das der Fall.

Islamischer Religionsunterricht ist wichtig, meint Musa Bagrac, Lehrer an der Geschwister-Scholl-Gesamtschule und Vorsitzender des Verbands der Islamlehrer. Wichtig sei aber auch, dass die Lehrerlaubnisse für diesen Unterricht transparent vergeben würden. Und genau das sei derzeit nicht der Fall. 

Ein Interview über islamischen Schulunterricht, Imame, die schlecht Deutsch sprechen und die Rolle des Moscheeverbands Ditib.

 

Herr Bagrac, auch in Moscheen und Koranschulen wird Kindern ja der Islam erklärt. Reicht das nicht?

Es reicht definitiv nicht aus. In der Moschee wird Gemeindeunterricht erteilt, wo religiös unterwiesen wird, bei dem es eher um die Glaubenspraxis geht. In der Schule hingegen ist es uns ein Anliegen, dass sich Schüler mit ihrem Glauben intensiv auseinandersetzen, die Vielfalt des Islams kennenlernen und für sich einen begründeten Standpunkt, also eine Urteilskompetenz entwickeln. Und das kann nur die Schule leisten.

 

Es gibt immer Befürchtungen, dass diese religiöse Unterweisung in den Gemeinden in Einzelfällen auch zu Extremismus führen kann. Kann der islamische Religionsunterricht an den Schulen da helfen?

Zunächst möchte ich Folgendes unterstreichen: Die Moscheen leiten nicht zum Extremismus an, zumindest der mit Abstand größte Teil der 2500 Moscheen nicht. Wir sprechen hier von einigen vereinzelten Salafisten-Moscheen, die das tatsächlich tun. Darüber hinaus kann natürlich eine Reflexion des eigenen Glaubens im Islamischen Religionsunterricht die Schüler vor religiösen Extremismen schützen. Wenn man Glaubensgegenstände nach intensiver Auseinandersetzung selbstständig aneignet, beeinflusst das das Bewusstsein, das Denken – und auch das Handeln nachhaltig.

 

Der islamische Religionsunterricht wird nur in Deutsch gegeben. Wieso?

Deutsch ist für muslimische Schüler die Erstsprache. Es ist für die muslimischen Schüler wichtig, dass sie sich eine religiöse Sprache aneignen, sodass sie auch sprachfähig werden in ihrer Religiosität. Wir achten auch darauf, dass der Islamunterricht sprachensensibel unterrichtet wird, damit es der sprachlichen Identitätsentwicklung der Schüler hilft.

 

Wenn Imame in Moscheen also häufig nur schlecht Deutsch sprechen – ist das ein Problem?

Das ist ein Problem hinsichtlich der Kommunikation und der Verständigung der Imame mit den jungen Muslimen. Für junge Muslime ist die Erstsprache Deutsch, auch wenn sie zu Hause türkisch sprechen, so dominiert die deutsche Sprache den Alltag der Schüler. Predigten auf Türkisch oder Arabisch sind für diese Kinder erst mal ein Problem. Es gibt ja verschiedene Sprachformen, wie eine Bildungs- oder Umgangssprache. Türkische Schüler sprechen ihre Herkunftssprache eher als Umgangssprache mit einem begrenzten Vokabular. Die Bildungs- und religiöse Sprache aber ist eine andere Sprache. Deswegen sehe ich da Verständigungsprobleme. Viele türkischstämmige Muslime verstehen in deutscher Sprache Sachen viel einfacher und schneller, als wenn sie das in der türkischen Sprache gelehrt bekommen. Bei den Freitagspredigten zum Beispiel wird der Glaube auf einem sehr hohen Niveau erklärt. Die Schüler haben diesen Zugang zu dieser türkischen Bildungs- und Religionssprache aber gar nicht. Deswegen ist auch die Akzeptanz unseres Unterrichts sehr viel höher. Leider sinken im Gegensatz dazu die Teilnehmerzahlen beim Unterricht in den Gemeinden und Moscheen. Noch sind es rund 30 Prozent der muslimischen Schüler, die regulär in eine Koranschule gehen. Doch die Tendenz sinkt.

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Welche Inhalte vermitteln Sie denn konkret?

Es gibt einen Kernlehrplan des Schulministeriums, dieser wird an der Schule noch konkretisiert, den wir dann den internen Lehrplan nennen. Es geht um allgemeine Themen wie um Ankommen, Willkommen sein, Freundschaft, aber natürlich auch um religiöse Inhalte wie: Im Gebet mit Gott sprechen, was ist das Jenseits? Was sind religiöse Gebote? Was passierte in der islamischen Geschichte? Oder auch: Wie verhalte ich mich moralisch richtig in Dilemma-Situationen? Das sind Punkte, die auch im evangelischen, katholischen oder praktischen Philosophie-Unterricht vermittelt werden. Im Islamunterricht geht das verständlicherweise aus einer islamisch-religiösen Perspektive.

 

Also geht es gar nicht nur um die Religion?

Doch schon. Viele der Themen behandeln auch ethische Fragen. Der Koran ist meines Erachtens kein reines Gebots- und Verbots-Buch, sonst würden wahrscheinlich zehn Seiten reichen. Der Koran, wie ich ihn verstehe, ist in erster Linie ein Buch, mit dem der Mensch zu einem guten Menschen wird. Noch ist es ja die Ausnahme, dass an Schulen islamischer Religionsunterricht gegeben wird.

 

Sind die Voraussetzungen überhaupt da, islamischen Religionsunterricht flächendeckend einzuführen?

Die Frage ist: Haben wir genügend islamische Religionslehrer? Aktuell sind in NRW etwas über 160 islamische Religionslehrer im Dienst. Wir bräuchten, wenn das tatsächlich flächendeckend angeboten werden soll, etwa 1200 Lehrer. Diese Lehrer fehlen, die werden am Zentrum für Islamische Theologie in Münster ausgebildet. Die ersten bekommen wir schon im nächsten Schuljahr, das sind ungefähr 40, 50 in NRW. Das wird dann wohl jedes Jahr so sein. Trotzdem dauert es noch viele Jahre, bis dieser Bedarf gedeckt werden kann. Vielleicht bräuchten wir deshalb auch noch einen zweiten Standort für die Ausbildung.

 

Der einzige ist ja bisher nur in Münster…

Genau. Der Standort in Münster zählt zum größten. Ein möglicher nächster Standort könnte zum Beispiel Paderborn sein, wo bisher nur ein Seminar ist.

 

Die Nachfrage für das Fach unter angehenden Lehrern ist also da?

Definitiv. Derzeit studieren über 400 angehende Islamlehrer in Münster. Es braucht natürlich seine Zeit, bis die fertig sind. Die Nachfrage ist so groß, dass man sogar einigen Studenten Absagen erteilen muss. Damit das nicht geschieht, bräuchte NRW noch einen zweiten Standort.

 

Haben die Schüler auch Bedarf, über den islamistischen Terror zu sprechen?

Ja klar. Wenn irgendwo ein religiös motivierter Anschlag passiert ist, wird das natürlich auch Thema des Unterrichts. Manchmal passt das auch in die Themenreihe, wenn wir etwa den Salafismus als Thema haben. Das war auch nach dem Anschlag in Paris der Fall. Dann schauen wir auch, warum einige Menschen denken, dass sie im Namen des Islams agieren – es aus unserer Sicht aber auf keinen Fall tun.

 

Wieso nicht?

Gewalt, Terror und Aggressionen sind nicht nur ein religiöses Problem, sondern oft auch ein soziales Problem, worin familiäre Probleme, Zukunftsprobleme, Identitätsmissbildung und vieles mehr eine große Rolle spielen. Wenn es keine Aussichten für eine Selbstfindung gibt, werden diese Leute Opfer von radikalen Ansichten. Der islamische Religionsunterricht macht sie – quasi nebenbei – widerstandsfähiger gegen diese Ansichten.

 

Der Moscheeverband Ditib lässt seinen Sitz im Beirat für den islamischen Religionsunterricht ja gerade ruhen. Der Beirat soll die Interessen der islamischen Organisationen bei der Durchführung des Religionsunterrichts vertreten. Jeder Islamlehrer muss von diesem Beirat eine Idschaza, eine Art Lehrerlaubnis, ausgestellt bekommen. Ist Ditib überhaupt ein guter Partner?

Das muss die Politik entscheiden. Es besorgt mich aber natürlich, dass der größte Moscheeverband nicht mehr auf dem Boden der Verfassung zu stehen scheint. Ich vermisse derzeit auch den Aufschrei in der muslimischen Community, der besagt, dass Religions- und Meinungsfreiheit zusammengehören. Deswegen denke ich, dass wir aktuell eine neue Diskussionskultur unter Muslimen brauchen, in der das Muslim-Sein und das Guter-Bürger-Sein keine Gegensätze mehr sind. Genau hierbei sehe ich den schulischen Islamunterricht in einer Schlüsselrolle.

 

Was werfen Sie Ditib denn konkret vor?

Das, was ich in den Medien dazu zu hören bekomme, beängstigt und besorgt mich schon. Und das wird ja immer mehr. Ich werde die Entwicklung weiterhin im Blick haben. Letztlich müssen aber darüber Gerichte entscheiden, was wirklich und in welchem Ausmaße passiert ist.

 

Wie bewerten Sie die Arbeit des Beirats für den islamischen Religionsunterricht?

Der Beirat ist zunächst eine Hilfskonstruktion bis man eine rechtlich anerkannte Religionsgemeinschaft als Ansprechpartner für den islamischen Religionsunterricht hat. Wir als gemeindeunabhängiger Lehrerverband sehen, dass im Beirat vieles schief läuft, insbesondere bei der Vergabe der Idschaza, der Lehrerlaubnis.

 

Was denn?

Der Vorgang ist nicht transparent, es ist nicht klar, nach welchen Kriterien dort entschieden wird und ob diese Kriterien dann auch für die Beteiligten überprüfbar sind. In letzter Zeit häufen sich Beschwerden über diesen Vorgang der Idschaza-Vergabe. Man muss doch garantieren, dass es dabei einheitliche Maßstäbe gibt. Dass es dort Probleme gibt, liegt vielleicht daran, dass alle Mitglieder des Beirats dort ehrenamtlich arbeiten. Möglicherweise könnte die Professionalisierung des Beirats durch hier ausgebildete Theologen und Religionspädagogen Abhilfe schaffen.

 

Ist die Diskussion um Ditib und auch das anstehende Referendum in der Türkei auch unter den Schülern Thema?

Soweit ich mitbekomme, nein. Ich denke, dies ist auch ein Zeichen dafür, dass die Schüler tatsächlich hier in Deutschland ihren Lebensmittelpunkt haben. Und sicherlich auch, dass sie andere Sorgen haben, insbesondere hinsichtlich Pubertät, Freundschaften, Noten und ob man das Abitur schaffen wird oder nicht. Themen um die Türkei etc. werden in Fächern wie Sozialwissenschaften oder Gesellschaftslehre behandelt und gehören auch dorthin, damit an der demokratischen Bildung aller Schüler gearbeitet wird.

 

Ein Schulleiter einer anderen Lüner Schule sagte, an seiner Schule gebe es keinen islamischen Religionsunterricht, weil es dort auch gar keinen Bedarf gebe. Können Sie das nachvollziehen?

Ich kann nicht für andere Schulen sprechen, aber an Gesamtschulen gibt es in der Regel einen ziemlich großen Anteil an muslimischen Schülern. Studien haben ergeben, dass der größte Teil muslimischer Eltern und Schüler sich wünschen, dass an ihren Schulen islamischer Religionsunterricht angeboten wird. Auch als Zeichen der Anerkennung, dass sie mit ihrem Glauben Teil dieser Gesellschaft sind. Dies bestätigt auch die Rückmeldung, die ich von muslimischen Eltern bekomme.

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Wie nehmen Sie das wahr: Leben die jungen Lüner Muslime ihren Glauben aktiv? Wie ist deren Haltung?

Muslime sind vielfältig, auch in Glaubensfragen. Ich sehe aber schon, dass da ein sehr großes Interesse da ist. Insbesondere daran, den eigenen Glauben in deutscher Sprache in der Schule zu lernen. So integrieren sie auch ihren Glauben in die deutsche Sprache. Damit fördern wir als Lehrer auch stückweit, dass die Schüler eine hier beheimatete Identität bilden.

 

Gibt es Kooperationen mit den Gemeinden in der Stadt?

Im Rahmen eines interreligiösen Projektes haben wir es angestoßen, dass wir eine Kooperation zwischen evangelischer, katholischer, islamischer und alevitischer Fachschaft bei uns an der Schule haben. In diesem Projekt wollten wir verschiedene Gotteshäuser als außerschulische Lernorte kennenlernen. Hierzu wurden diese Besuche im konfessionellen Unterricht vorbereitet und anschließend waren religiös gemischte Gruppen in evangelischer und katholischer Kirche, in einem Cem-Haus und in einer Moschee. Solche Projekte wollen wir auf jeden Fall fortführen, die Bereitschaft der Gemeinden ist auch da. Mit dabei ist auch die Ditib-Selimiye-Moschee an der Roonstraße.

Das ist Musa Bagrac
Musa Bagrac ist Lehrer an der für die Fächer islamischer Religionsunterricht, Pädagogik und Sozialwissenschaften.
Er ist außerdem Vorsitzender des (VdI). Der VdI versteht sich als Gemeindeunabhängiger, überparteilicher Lehrer-Fachverband, wie andere Fachverbände für Schulen. Als solcher bietet der Verband Fortbildungen an, bietet Informationen und Austauschmöglichkeiten.
Geboren und aufgewachsen ist Musa Bagrac in Hamm. Lehrer seit acht Jahren. Seit zwei Jahren arbeitet er in Lünen.
Bagrac studierte in Münster Islamische Religion, Pädagogik und Sozialwissenschaften.