
Klinsmann, Matthäus, Littbarski: Als zwei Capeller in Kamen gegen die Nationalmannschaft spielten
Fußball
Ein Spiel gegen die deutsche Fußball-Nationalmannschaft: Was für viele Amateurkicker ein Traum ist, wurde für zwei Kamener, die heute beim SC Capelle aktiv sind, sehr spontan zur Realität.
Blauer Himmel, frühlingshafte Temperaturen, Jahnstadion Kamen: 5.000 Zuschauer strömen ins restlos ausverkaufte Rund. Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft gastiert im April 1989 in der Stadt und bereitet sich mit einem spontan angesetzten Testspiel gegen eine extra dafür formierte Stadtauswahl auf das schwierige WM-Qualifikationsspiel gegen die Niederlande vor. Mit dabei: Zwei Kamener, die heute beim SC Capelle aktiv sind und im Amateurfußball bestens bekannte Namen tragen.
„Das Spiel kann man einfach nicht vergessen, das ist ein absoluter Sahnemoment für mich als Spieler gewesen", meint Reinhard Behlert, der damals als Torwart des SuS Kaiserau mit dabei war. Auch Kurt Gumprich, der damals beim VfL Kamen spielte und ebenfalls Teil der Stadtauswahl war, hat noch sehr präsente Erinnerungen. „So etwas muss man mal erlebt haben, das war einfach toll und natürlich hat man das Spiel noch im Kopf”, meint er.
Volle Hütte und viele Medien
Die Tickets für die Begegnung waren blitzschnell vergeben. „Die Hütte war rappelvoll”, erinnert sich Gumprich, dessen Frau damals hochschwanger auf der Tribüne mitfieberte. „Sie musste aufpassen, dass sie nicht zerdrückt wird”, sagt er ironisch. Doch schon vor dem Spiel war der Trubel auch abseits der Ränge riesig.

Das Einlaufen beider Mannschaften im ausverkauften Kamener Jahnstadion.
„Wir wurden noch vor dem Spiel interviewt und auch in der Kabine war immer wieder Blitzlicht”, beschreibt Gumprich die zahlreichen Journalisten und Fotografen, die über das Spektakel berichteten. Reinhard Behlert erinnert sich noch an das Abschlusstraining am Morgen: „Da hatte sich das ZDF für Interviews und einen Vorbericht angesagt und ich war dann etwas überschwänglich bei der Sache.” Er habe damals im Schatten der Kameras zum Fallrückzieher angesetzt und sich beim Versuch an der Schulter verletzt. Das merkte er auch noch im Spiel gegen die DFB-Auswahl.
Ein Testspiel der Nationalmannschaft war ursprünglich gar nicht angedacht. Die Mannschaft von Teamchef Franz Beckenbauer wollte sich eigentlich in aller Ruhe in der Sportschule Kaiserau auf das schwierige WM-Qualifikationsspiel im Rotterdamer De Kuip am 26. April 1989 gegen die Niederlande (1:1) vorbereiten. Spontan revidierte Beckenbauer seine Entscheidung und begab sich auf die Suche nach einem geeigneten Gegner aus der Region.
Harry Ellbracht und Wolfgang Büser als Initiatoren des Spiels
Bei seiner Suche trifft Franz Beckenbauer auf einen alten Bekannten: Den ehemaligen Profifußballer und gebürtigen Kamener Harry Ellbracht, der zu dem Zeitpunkt Trainer des VfL Kamen ist. Eine Mannschaft ist schnell formiert. Den einen Teil des Teams stellt der SuS Kaiserau, weil die Nationalelf eben in jenem Sporthotel residiert, den anderen der VfL Kamen.
Drei Tage vorher dann die völlig unerwartete Nachricht von VfL Kamens Sportchef Wolfgang Büser an sein Team: „Wir spielen Samstag gegen die Nationalmannschaft.“ Die Reaktion: „Wir dachten im ersten Moment, der will uns verarschen”, meint Kurt Gumprich, damals Kapitän des VfL Kamen. „Die Entstehung war schon kurios”, erinnert sich auch Behlert. „Letztlich ist es dem spontanen Entschluss von Franz Beckenbauer zu verdanken, dass das Spiel überhaupt stattfinden konnte.”

Kurt Gumprich ist heute Sportlicher Leiter beim SC Capelle. © Neumann
Im ersten Durchgang stellt der VfL Kamen die Defensive, Kaiserau den Angriff. In den zweiten 45 Minuten ist es genau andersherum. Eine Hürde gilt es noch zu meistern: Welcher Kapitän beider Mannschaften darf die Stadtauswahl auf das Spielfeld führen? „Das entscheidende Duell war zwischen mir und Frank Lewandowski, der damals Kapitän in Kaiserau war”, erinnert sich Gumprich. „Wir haben dann einen Groschen hochgeworfen und ich habe gewonnen.” Mit einem Schmunzeln sagt Gumprich weiter: „Das war der größte Moment für Lothar Matthäus, dass er mir damals bei der Platzwahl die Hand schütteln durfte.”
Wie ist es neben den Profis zu stehen?
Das Gefühl, neben den Profis auf dem Platz gestanden zu haben, hat auch Behlert bis heute nicht vergessen. „Es ist einfach ein wahnsinniges Kribbeln neben den Nationalspielern zu stehen, das ist unglaublich”, erklärt Behlert. Bei dem für beide noch heute „einmaligen Erlebnis” war und ist das sportliche Ergebnis nur Nebensache.
„Die haben uns halt 16 Dinger reingehauen und sind dann wieder nach Hause gefahren”, fasst Gumprich nüchtern zusammen. „Allem in allem bin ich noch heute von diesem Spiel beeindruckt”, sagt Reinhard Behlert. Bereits nach zwei Spielminuten erzielt Andi Brehme das erste von eben 16 Toren an jenem Tag für die DFB-Auswahl. „Das war ein wahnsinniger Schuss aus 25 Metern”, beschreibt Gumprich den ersten Treffer. „Noch beim Einlaufen hat mir von hinten Mitspieler Hagedorn zugerufen, dass ich nicht so schnell laufen soll, weil wir noch früh genug die Hucke vollkriegen würden”, erzählt Gumprich weiter.
Nationalspieler zum Anfassen – heute undenkbar
Spielerisch sei man nun mal total unterlegen gewesen. Seinen Gegenspieler Thomas Hessler hätte er gefragt, ob er denn soviel rennen müsse, worauf dieser ihm nur antwortete: „Klar muss ich das, wenn ich bei der Weltmeisterschaft mit dabei sein will.”
Das Spiel hätte aber auch trotz des 0:16-Endergebnisses Spaß gemacht und wäre eine richtig tolle Sache gewesen. „Die Spieler und auch Trainer Franz Beckenbauer waren zum Anfassen”, fügt Gumprich hinzu. Eine Aussage, die Reinhard Behlert mit Blick auf die Gegenwart nur bekräftigen kann: „Es ist sehr schade, dass so etwas heute nicht mehr möglich ist, weil der Profifußball zu abgeschottet und nicht mehr so nahbar wie damals ist.” Für ihn sei es ein unvergesslicher Tag gewesen, den er einfach nur genossen habe – obwohl ihm doch auch Negatives einfällt.

Reinhard Behlert ist heute Trainer des SC Capelle. © Nico Ebmeier
So habe ihn Frank Mill bei einer Ecke unterlaufen, was in seinen Augen völlig unnötig gewesen sei. Behlert hütete erst ab Beginn der zweiten Halbzeit das Tor. Die gute halbe Stunde, die er bis zu seiner Auswechslung in der 77. Minute im Gehäuse stand, nutzte er, um sich zu zeigen. „Der hat gehalten wie der Teufel”, erinnert sich Mitspieler Gumprich für den bereits nach der ersten Halbzeit Schluss war. Mit seinen Paraden habe Behlert „die Jungs“ nur so zum Staunen gebracht.
Heute sind beide zusammen beim SC Capelle aktiv
Der damalige Stammtorwart des SuS Kaiserau kassierte gerade einmal zwei Gegentreffer, wobei Behlert besonders der Strafstoß von Littbarski im Nachhinein verärgert. Dabei geht es ihm nicht um den Treffer selbst, sondern vielmehr um die Situation drum herum. „Wenn heute Littbarski bei einem Elfer vor mir stehen würde, dann würde ich mit ihm erstmal eine Wette aushandeln”, erklärt Behlert lachend. Er sei damals bloß einfach zu konzentriert gewesen, anstatt die Situation mit Lockerheit und Humor zu nehmen.
Nach Abpfiff habe die Mannschaft in „ruhigem Rahmen” dann zusammen in der Vereinskneipe die Zusammenfassungen geschaut. „Das war schon beeindruckend, die Nachberichte von dem Spiel zu sehen”, beschreibt Behlert den Ausklang des Abends. Am nächsten Tag ging für den SuS Kaiserau und den VfL Kamen der Ligaalltag bereits weiter.
Heute sind Reinhard Behlert und Kurt Gumprich zusammen in Verantwortung beim SC Capelle – der eine als Trainer, der andere seit dieser Saison als Sportlicher Leiter. Als Spieler standen die beiden sich früher sonst meist als Kontrahenten in der Bezirksliga gegenüber. „Das Kuriose ist ja eigentlich, dass wir beide aus Kamen kommen, dieses eine Spiel zusammen hatten und uns dann in Capelle erst wieder so richtig getroffen haben“, erzählt Behlert.
Rückblickend auf das Spiel gegen die Nationalmannschaft und die Erinnerungen, die beide niemals vergessen werden, sagt Gumprich: „Wir haben damals den Weg geebnet für den Weltmeistertitel, wegen uns sind die da mit Selbstvertrauen hin und haben das Ding gewonnen!”