Jule Hake über mentale Probleme, Druck und ihre Zukunft Olympia-Zweite im emotionalen Interview

Jule Hake im großen Interview
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Als eine der besten deutschen Kanutinnen ist Jule Hake (24) zu den Olympischen Spielen 2024 nach Paris gereist, mit einer Silber- und einer Bronzemedaille ist sie nach Olfen zurückgekehrt.

Silber und Bronze bei Olympia: Jule Hake im großen Interview

Auf dem Weg zu ihrem Wohnort Essen haben wir die Athletin des KSC Lünen im Auto erwischt und mit ihr über die vergangenen Wochen, Monate und Jahre gesprochen. Herausgekommen ist ein emotionales und ehrliches Interview über mentale Schwierigkeiten, den Druck rund um das Großereignis und die Zukunft der Kanutin.

Jule Hake, Du bist zweifache Medaillengewinnerin bei Olympia. Hast Du nun zwei Wochen später schon verstanden, was das eigentlich bedeutet?

Nein, gar nicht. Es gibt manchmal Momente, in denen man das realisiert. Dann wiederum denke ich: ‚Okay, ich habe mein Zwischenziel erreicht.“ Das große Ziel war und ist weiterhin die Goldmedaille bei Olympischen Spielen und das ist immer noch offen.

Die größte Chance dazu gab es im K4 mit Paulina Paszek, Pauline Jagsch und Sarah Brüßler. Ihr wart nach dem Vorlauf der große Favorit und musstet euch dann knapp Neuseeland geschlagen geben. Was war dein erster Gedanke nach dem Rennen? Warst du froh über Silber oder enttäuscht, dass es nicht Gold war?

Im ersten Moment dachte ich ehrlich: ‚Mist, da war mehr drin!“ Wir sind das Rennen zu schnell angegangen und wurden dann am Ende vom neuseeländischen Boot ziemlich einfach überholt. Im Nachhinein bin ich aber einfach froh, dass wir die Silbermedaille überhaupt gewonnen haben. Das liegt vielleicht auch daran, dass es für mich die erste Chance auf eine Medaille war. Deshalb habe ich mich dann auch über Silber riesig gefreut.

Jule Hake paddelt.
Mit Paulina Paszek holte Jule Hake (r.) die Silbermedaille bei Olympia 2024 in Paris. © picture alliance/dpa

Das heißt aber, dass du trotz Silber nicht hundertprozentig zufrieden warst?

Ich habe schon immer mit der Goldmedaille geliebäugelt und im K4 war einfach mehr drin, deswegen war es etwas ärgerlich. Andererseits habe ich nach Olympia auch gedacht, dass es vielleicht gut war, dass wir nicht mit zweimal Gold nach Hause gekommen sind. Dann wäre ich ja vollkommen zufrieden gewesen und hätte es schwieriger gehabt, mich für die nächsten Jahre zu motivieren.

Motivation ist ein spannendes Thema. Wie schaust du auf die vergangene Zeit und ganz besonders die Vorbereitung auf Olympia zurück?

Es gab Phasen in der Saison, in denen ging es mir körperlich und psychisch überhaupt nicht gut. Es gab Momente, wo ich nicht mehr konnte und auch einfach nicht wollte. Als es dann Schritt für Schritt auf Olympia zuging, hat sich das geändert. Ich wusste, dass ich die Medaillen will, egal, wie scheiße die Saison bis dahin gelaufen ist.

Eine Woche später waren dann auch direkt die Deutschen Meisterschaften und das war wieder ein ganz anderes Gefühl. Ich hatte seit langer Zeit mal wieder einfach Spaß am Kanufahren. Ich war ganz befreit, es gab viele knappe und spannende Rennen. Das hat mir richtig Spaß gemacht.

Aus Brandenburg von den Deutschen Meisterschaften zurück nach Paris: Viele haben von den besten Olympischen Spielen aller Zeiten gesprochen. Gehst Du da mit?

Ich kannte ja vorher nur die Spiele während der Corona-Pandemie in Tokio und der Vergleich hinkt natürlich enorm. Auch im Gegensatz zu unseren Welt- oder Europameisterschaften. Ich fand es richtig geil. Die Stimmung an der Strecke war überragend, überall standen Menschen. Und auch in der Stadt war es ganz neu für mich. Die Leute haben mich angesprochen, wussten, wer ich bin und wollten Fotos mit mir. Das war eine ganz besondere Erfahrung.

Vier Kanutinnen vor der Tribüne.
Die Tribünen in Vaires-Sur-Marne waren bei allen Wettbewerben sehr gut gefüllt. © picture alliance/dpa

Schließlich bist Du jetzt ja auch zweifache Olympia-Medaillengewinnerin, wobei die zweite Entscheidung deutlich knapper war. Im K2 gab es ein minutenlanges Photofinish, ob Du und Paulina Paszek nun Zweiter, Dritter oder Vierter seid. Am Ende habt ihr euch Bronze mit dem ungarischen Boot geteilt. Wie hast Du das Drama auf dem Wasser erlebt?

Auf der Strecke konnte ich das überhaupt nicht erkennen. Dass wir nicht Erster sind, war klar. Dahinter war alles offen. Ich wusste nur, dass alle drei Boote nahezu auf einer Linie waren und habe dann eigentlich nur gedacht: ‚Wie dumm wäre das, wenn wir jetzt Vierter werden?‘ Wir wären der erste echte Verlierer gewesen. Wenn du Zweiter wirst, hast du ja wenigstens noch eine Medaille. Als Vierter bekommst du nichts.

Und dann begann das ewige Zittern...

Ich glaube, man hat das im Fernsehen auch gesehen, dass ich relativ ruhig geblieben bin. Paulina (Paszek) hatte richtig Angst, sie hatte die Hände über den Kopf geschlagen und gebetet. Mir war fast schon klar, dass es keinen vierten Platz geben wird. Auf dem Wasser kann man zwischen Tausendstel Sekunden nicht unterscheiden. Die Ziellinie ist nie ganz gerade, die Startblöcke gehen nie komplett zeitgleich runter. Wenn zwei Boote auf die Hundertstel Sekunde gleich im Ziel ankommen, muss es zwei Bronzemedaillen geben.

Wie sehr hat es dann eben auch schon geholfen, dass Du am Tag vorher schon eine Medaille gewonnen hattest?

Das hat man Paulina und mir, glaube ich, angemerkt. Wir konnten befreit auffahren. Das war vielleicht auch der Unterschied zum anderen deutschen Boot mit Lena Röhlings und Pauline Jagsch. Lena hatte noch keine Medaille und wollte sie unbedingt erzwingen. Deshalb sind sie etwas verkrampft.

Generell habt ihr alle ungewohnt viel Aufmerksamkeit in diesen zwei Wochen bekommen. Ich kann mir vorstellen, dass dein Handy überhaupt nicht still stand. Besonders in der Nacht zwischen den beiden Finalrennen.

Ich weiß gar nicht mehr, wie viele Nachrichten es waren. Ich habe auch den meisten gar nicht geantwortet und bewusst nur meinen engsten Leuten geschrieben. Mir war von Anfang an klar, dass ich die Spannung nicht loslassen darf und mich immer weiter konzentrieren muss. Vor dem K2 habe ich gar nicht mehr auf mein Handy geschaut und es hat sich gelohnt. Danach konnte ich dann auch ein bisschen loslassen und feiern.

Jule Hake paddelt.
Jule Hake überlegt, ihren Fokus zukünftig mehr auf den Einer zu legen. © picture alliance/dpa

Und jetzt darf erstmal Ruhe rund um Jule Hake einkehren. Am kommenden Montag, 26. August, gibt es in Lünen noch einmal einen großen Empfang und was passiert dann in den nächsten Wochen?

Da gibt es echt viele Pläne. (lacht) Ich habe mich heute Morgen auch erstmal hingesetzt und eine große Mindmap erstellt, mit ganz vielen Sachen, die ich demnächst ausprobieren oder beenden möchte. Ab dem 1. September werde ich bei meinem Sponsor anfangen zu arbeiten, dann werde ich an der FOM Hochschule in Essen Wirtschaftspsychologie studieren. Bisher habe ich nur Psychologie studiert, aber Wirtschaftspsychologie passt besser zu meinen Berufswünschen.

Also einfach einmal etwas Abstand vom Kanusport gewinnen?

Olympia in Paris hat mich für die letzten drei Jahre an jedem Tag bestimmt. Dadurch, dass Tokio um ein Jahr nach hinten verschoben wurde, war die Pause zwischen diesen beiden Spielen ja auch kürzer als sonst. Ich hatte in den letzten Jahren vielleicht mal einen Monat Pause, das macht einen ziemlich fertig.

Man darf das nicht falsch verstehen. Ich liebe Kanufahren und werde es natürlich auch immer weiter machen. Aber ich liebe eben auch andere Sachen und die bekommen ab jetzt auch eben mal etwas Zeit. Darauf freue ich mich sehr.

Viele Sportler sagen immer, dass sie nach Olympia in ein Loch fallen. Sind diese neuen Ziele und Vorhaben dann ein Weg, um davon wegzukommen?

Diese Post-Olympic-Depression ist bei uns auch ein großes Thema. Man muss sagen, dass wir da von Gaby Bußmann am Olympia-Stützpunkt super betreut und vorbereitet werden. Aber trotzdem merke ich das natürlich. Es war das größte Event meiner Karriere und ich habe darauf viele Jahre hingearbeitet. Jetzt ist es zu Ende. Ich glaube, dass ich durch meine vielen Pläne besser damit klarkomme, als andere Sportler. Aber es bleibt trotzdem im Hinterkopf.

Und irgendwann muss der Blick trotzdem in Richtung der nächsten Olympischen Spiele gehen. 2028 finden sie in Los Angeles statt. Welche Jule Hake werden wir in vier Jahren erleben?

Das wird sich zeigen. Ich muss mir bis dahin klarmachen, wohin ich will und was ich erreichen möchte. Vielleicht lege ich einen größeren Fokus auf den Einer, aber ich habe ja ein paar Jährchen Zeit. Lisa Carrington war die erfolgreichste Kanutin in Paris und sie ist 35 Jahre alt. Ich glaube, dass ich meine Topform im Alter zwischen 28 und 30 Jahren erreichen werde.

Darauf freuen wir uns. Vielen Dank für das Gespräch und bis bald!