
© Leistner, Andreas
Acht Minuten zwischen Leben und Tod: Hans Gondzik erleidet beim Training Herzstillstand
Judo
Eigentlich war alles wie immer in der Drusushalle. Doch nach wenigen Minuten musste Hans Gondzik auf der Bank platz nehmen. Kurze Zeit später erlitt er einen Herzstillstand.
Eigentlich war alles wie immer: Die Ü55-Gruppe des Halterner Judo-Clubs startete wie gewohnt am Sonntag mit dem Training. Zuerst bauten die Halterner die Matten auf, im Anschluss wärmten sich die Kämpfer locker auf. Und so schüttelten die Judoka Arme und Beine, liefen durcheinander, dehnten die Bauchmuskeln. So weit, so normal an diesem 3. November in der Drusushalle.
Auch Hans Gondzik (71) war - wie eigentlich fast immer - am Sonntag dabei. Der ehemalige Deutsche, Europa- und Weltmeister machte Scherze „und drückte uns den ein oder anderen Spruch“, sagt Dieter Drees, ebenfalls Mitglied der Ü55-Gruppe.
Doch wenig später nahm die Trainingseinheit einen dramatischen Verlauf. Hans Gondzik erlitt einen Herzstillstand. „Judo hat mein Leben gerettet“, wird der 71-Jährige später erklären. Denn ohne das beherzte Eingreifen seiner Mannschaftskollegen wäre er wohl nicht mehr am Leben.

Hans Gondzik war in seiner Judoka-Laufbahn Europameister und Weltmeister. © HOLGER STEFFE
Schneeweiß sei Gondzik gewesen, erinnert sich Drees. Verkrampft und mit einem starren Blick hatte der 71-Jährige in der Drusushalle wenige Minuten nach dem leichten Aufwärmen auf der Bank Platz genommen. Gondzik selbst hat keine Erinnerungen mehr an den Sonntag. „Mir fehlen drei Tage“, erklärt der Halterner. Und so kann er sich erst wieder an den folgenden Mittwoch erinnern, als er im Krankenhaus aufwachte.
Auf eine direkte Ansprache reagierte Gondzik am Sonntag nicht mehr. Die Judoka kontrollierten seine Vitalzeichen und zogen ihn von der Bank. „Bis dahin hatte ich gedacht, es könnte getürkt sein“, sagt Drees. Der 71-Jährige aber hatte das Bewusstsein verloren.
Denn am Vorabend hatten die beiden noch telefoniert. So wollte Gondzik unbedingt, dass die Judoka die Handlungsabläufe als Ersthelfer bei einem Herzstillstand wieder auffrischen. Und das gerne an jedem ersten Sonntag im Monat. Der 3. November war wieder ein solcher.

Die Halterner Ü55-Judogruppe trainiert jeden Sonntag in der Drusushalle. © Privat
Rund sieben Monate war es her, als die Halterner Judoka mit Hilfe der freiwilligen Feuerwehr und den Maltesern am 7. April einen Aktionstag veranstalteten, um genau für solche Notfälle gerüstet zu sein. Neben Gerd Neuberth, Dieter Drees und Jürgen Chmielek gehörte auch Gondzik damals zum Organisationsteam. Dass es zu so einem Notfall tatsächlich schon wenige Monate später kommen würde, konnte damals noch keiner ahnen.

(v.l.) Jürgen Chmielek, Dieter Drees und Gerd Neuberth bereiteten den Aktionstag vor. Auch Hans Gondzik (nicht auf dem Foto) war an den Planungen beteiligt. © Privat
Doch die Judoka waren als Ersthelfer auf der Höhe. Der Notruf wurde abgesetzt. Pumpen, Beatmen, Pumpen, Beatmen - für acht Minuten sollte das der Rhythmus der Ersthelfer sein. Mit mehreren Leuten standen die Judoka um Gondzik, wechselten sich ab, wenn jemanden die Kraft verließ. Ein Kämpfer holte den Defibrillator, ein anderer kümmerte sich um die freie Zufahrt zur Drusushalle.
Vier Wochen zuvor, erzählt Drees, sei der „Defi“ erst für die Drusushalle angeschafft worden. Bis dahin seien alle restlichen Hallen in Haltern bereits ausgerüstet gewesen. Nur in der Drusushalle habe einer gefehlt. Durch eine Spende der Bürgerstiftung war dann auch die Halle der Judoka versorgt. Zum Glück für Hans Gondzik.
Konzentriert und zielgerichtet zog Dieter Drees die Plastikfolien bei den Elektroden des Defibrillators ab. Er legte sie auf den Körper von Gondzik, eine auf Höhe der rechten Brust, die andere auf die linke Flanke, wie vom Defibrillator beschrieben. Schnell analysierte das Gerät den Herzschlag. „Herzstillstand festgestellt“, tönte es aus dem Defibrillator.
Erster Schock durch den Defibrillator. Gondzik ist weiter nicht ansprechbar, komplett bewusstlos. Die Judoka reanimieren ihn weiter.
Zweiter Schock.
„Wir dachten, er fängt wieder an zu atmen“, sagt Drees. Und so drehten sie den 71-Jährigen auf die Seite. Als sie merkten, dass die Atmung doch nicht wieder einsetzte, drehten sie ihn zurück auf den Rücken.
Pumpen, Beatmen, Pumpen, Beatmen.
Später wird die Notärztin feststellen, dass Gondzik 98 Prozent Sauerstoff im Blut hatte. Zum Vergleich: Bei einem gesunden Menschen liegt der Sauerstoffanteil im Blut zwischen 95 und 100 Prozent.
Acht Minuten nach dem Notruf traf der Rettungswagen ein. Wenig später ist auch die Notärztin vor Ort. Die Rettungssanitäter bauten die Geräte auf.
Dritter Schock. Gonziks Herzschlag ist weiter aus dem Takt. „Fang an zu kämpfen“, schreit Drees ihn an.
Vierter Schock - ein Schock mit Erfolg. Der Herzschlag ist wieder in der Reihe.
Die Minuten des Bangens bei Drees und seinen Mitstreitern waren vorüber. Und auch wenn Gondzik in das künstliche Koma versetzt werden muss, wird der 71-Jährige nach neun Tagen auf der Intensivstation das Krankenhaus wieder verlassen dürfen. Gesund.
„Ohne diese Wiederbelebung hätte dieser Mensch nicht überlebt“, erklärt Drees. Er habe, zusammen mit den anderen Judoka, einfach funktioniert. So wie sie es im April mit den Maltesern geübt hatten. Nicht nur seit dem Notfall in der Drusushalle verfolgt Drees ein Ziel: „Ich will Menschen motivieren, zu lernen, mit wie wenig Aufwand anderen Menschen das Leben gerettet werden kann“, erklärt er. Es sei nur ein ganz kleiner Schritt.
Er will viele weitere Sportler und Nichtsportler anregen, einen Kurs zu besuchen. „Acht Minuten waren ausreichend, um einem Freund das Leben zu retten“, sagt der Halterner. Im Frühjahr wird es einen Kurs für Kinder und Jugendliche während des Trainings am Sonntag geben, der von den Judoka organisiert wird.
„Den Sport gebe ich nicht auf“
Hans Gondzik ist mittlerweile wieder zuhause. Ihm wurde ein sogenannter subkutaner Defibrillator unter der Haut implantiert. Dieser sei „in Wartestellung“, sagt Gondzik. „Wenn so etwas noch einmal eintritt, dann wird der aktiv.“
Für ihn seien wohl keine weiteren Einschränkungen zu erwarten. „Den Sport gebe ich nicht auf“, sagt der 71-Jährige. Dosiert wolle er sich nach einer Pause langsam wieder herantasten. „Ob allerdings Wettkämpfe in Zukunft möglich sind, das wird sich zeigen“, sagt Gondzik. „Ich bin nicht so der Typ, der einknickt oder in sich versinkt.“ Und so soll der Sonntag dann auch irgendwann wieder ganz normal sein, mit der Teilnahme am Training in der Drusushalle. Das Ersthelfertraining gehört seit dem 3. November allerdings zum festen Bestandteil der Trainingseinheit der Ü55-Judoka.