Die 41-jährige Cornelia Klam erlitt in der Dusche einen Herzinfarkt. Ihr Lebensgefährte war zum Glück in der Nähe. Mithilfe der Notrufzentrale rettete er seiner Partnerin das Leben.
Es war an diesem Samstag, als die Welt für Cornelia Klam (41) und Kristian Krause (42) aus den Fugen geriet. Als ein Leben plötzlich nur noch an einem seidenen Faden hing. Als Cornelia Klam einen Herzinfarkt erlitt und ihr Lebensgefährte verzweifelt versuchte, sie am Leben zu halten. Als Rettungsassistent Justin Heinen von der Notrufzentrale der Kreis-Leitstelle der Feuerwehr in Recklinghausen die entscheidende Hilfestellung gab. Und als eine „beispiellose Rettungskette in Gang gesetzt wurde“, wie das Paar aus Sythen wenige Wochen später voller Anerkennung und Dankbarkeit sagen wird.
„Mir ist irgendwie komisch“
Es ist ein Samstag im Januar, etwa 14 Uhr. Cornelia Klam kehrt vom Einkaufen zurück. „Mir ist irgendwie komisch“, sagt sie zu ihrem Lebensgefährten, der noch ein paar Dinge am Schreibtisch erledigt. Ein Schmerz in der linken Brusthälfte irritiert die 41-Jährige. „Wahrscheinlich mit der Einkaufstasche verhoben“, mutmaßt sie. Das Blutdruck-Messgerät zeigt 125 zu 80 - alles bestens. Cornelia Klam geht duschen - „das wird wohl helfen“, denkt sie sich.
Wenige Minuten später hört Kristian Krause einen lauten Knall aus dem Badezimmer. Er hastet hinüber. Seine Lebensgefährtin ist zusammengebrochen, liegt bewusstlos in der Dusche - ihr Gesicht blau angelaufen. Der 42-Jährige rennt in den Hausflur, schreit um Hilfe. Schnell ist eine Hausbewohnerin zur Stelle. Sie ruft die 112 an, während Kristian Krause seine leblose Freundin aus der Dusche zieht und sie mit dem Rücken auf den Badezimmerboden legt. Die Nachbarin aktiviert die Freisprechfunktion am Mobiltelefon, die Verbindung mit Rettungsassistent Justin Heinen steht.
Anleitung zur Herzdruckmassage
„Meine Freundin atmet nicht mehr“, ruft Kristian Krause völlig außer sich. Routiniert fragt Heinen nach Name, Adresse und Sachverhalt, damit so schnell wie möglich ein Rettungswagen alarmiert werden kann. Blitzschnell geht der 27 Jahre alte Sanitäter dann zur Rettungsaktion über. Kristian Krause soll den Brustkorb der leblosen Frau beobachten. „Da war überhaupt keine Regung mehr“, wird er später erzählen. Der 42-Jährige soll eine Herzdruckmassage durchführen.

Man hört nur selten, was aus den Notfällen geworden ist. Justin Heinen freute sich sehr über das Treffen mit den beiden Sythenern. © Ingrid Wielens
Heinen erklärt, wo sich der richtige Punkt befindet - in der Mitte des Brustbeins. Die Spitze des Brustbeins ertasten und zwei bis drei Fingerbreit darüber den Handballen einer Hand auflegen. Dann die andere Hand auf den Handrücken. Mit ausgestreckten Armen und nach Heinens Taktvorgabe muss er kräftigen Druck auf den Brustkorb seiner Freundin ausüben. „1-2-3-4, 1-2-3-4, 1-2-3-4“ - Justin Heinen zählt vor. Damit er am Telefon feststellen kann, ob Krauses Takt stimmt, muss dieser laut mitzählen - „1-2-3-4, 1-2-3-4, 1-2-3-4“. Heinen lobt und motiviert zugleich: „Das machen Sie gut, weiter so, nicht aufhören.“ Die bläuliche Verfärbung in Cornelia Klams Gesicht geht nach einigen Minuten tatsächlich zurück. Ihre Atmung aber hat noch nicht wieder eingesetzt.
Atmung setzte nach dem zweiten Stromstoß wieder ein
Acht Minuten nach der Alarmierung durch Justin Heinen und gut elf Minuten nach dem ersten Kontakt mit den Sythenern trifft der Rettungswagen aus Haltern ein. Die beiden Notfallsanitäter Jan Striewe und Sebastian Hentsch kümmern sich um Beatmung und Kreislauf, Kristian Krause soll die Herzdruckmassage fortsetzen: 1-2-3-4, 1-2-3-4...... Kurz drauf ist auch der Notarzt vor Ort. Seine Diagnose: Herzinfarkt. Der Defibrillator kommt zum Einsatz. Nach dem zweiten Stromstoß atmet Cornelia Klam wieder.
Drei Tage künstliches Koma
Mit Blaulicht geht es ins Marien-Hospital nach Marl, Fachbereich Kardiologie und internistische Intensivmedizin. Dort wird Cornelia Klam drei Tage lang in ein künstliches Koma versetzt. Denn um eine größere Schädigung des Gehirns durch den Sauerstoffmangel während des Herzstillstands zu vermeiden, muss der Körper auf 32 bis 34 Grad Celsius heruntergekühlt werden, erklärt Dr. Michael Markant (siehe auch Interview weiter unten). Der Leitende Oberarzt der Abteilung Kardiologie hat Cornelia Klam medizinisch betreut.
Zehn Tage nach dem Herzinfarkt wird der 41-Jährigen schließlich ein kleiner Defibrillator in Brusthöhe direkt unter die Haut implantiert. Er soll Cornelia Klam schützen, falls es erneut zu gefährlichen Herzrhythmusstörungen kommen sollte.
Keine Erinnerung mehr
„Das ist ihre zweite Lebensversicherung“, sagt Kristian Krause. Nur drei Wochen nach jenem traumatischen Samstag sitzt er wieder mit seiner Partnerin im heimischen Wohnzimmer. „Es ist unglaublich, wie schnell sie sich erholt hat“, sagt er. Cornelia Klam hat seinen Schilderungen der schrecklichen Ereignisse aufmerksam zugehört.

Cornelia Klam hat den Herzinfarkt auch mithilfe ihres Lebensgefährten Kristian Krause überlebt. Jetzt wird geheiratet. © Ingrid Wielens
Erinnern kann sie sich an gar nichts. Nicht an den Herzinfarkt, nicht an die Rettung, nicht an den Tag. Auch nicht an irgendein Erlebnis im noch jungen Jahr 2019. „Meine Gedächtnis endet mit Silvester“, gesteht sie. Möglicherweise aber kämen weitere Erinnerungen nach und nach wieder zurück.
Der Schock sitzt tief - das ist Cornelia Klam und Kristian Krause anzumerken. Doch die beiden sind auch zutiefst dankbar. Erst vor wenigen Tagen haben sie das im Gerätehaus der Halterner Feuerwehr zum Ausdruck gebracht. Mit einem Kuchen - verziert mit einem Feuerwehrauto, einem lachenden Smiley und den Worten „Einfach nur Danke“ - haben sie die Rettungssanitäter besucht. „Das war uns ganz besonders wichtig“, sagt Cornelia Klam.

Mit einem Kuchen bedankten sich Cornelia Klam und Kristian Krause bei den Rettern. © Ingrid Wielens
Kristian Krause spricht das Unfassbare aus: „Ohne sie würde Cornelia nicht mehr hier sein.“ Besonders verbunden fühlt sich das Paar mit dem Rettungsassistenten aus Recklinghausen. „Ohne Justin hätte ich das alles nicht geschafft“, sagt Krause. Justin habe ihnen über die schwierigsten ersten Minuten hinweggeholfen. Seit dem Treffen in Haltern ist man per du. Auch Justin Heinen zeigte sich überwältigt: „Es ist unheimlich schön zu sehen, dass es Cornelia wieder gut geht.“ Nur selten erfahre man als Rettungssanitäter, was aus den Notfällen geworden ist.
Zahl der Rettungsfahrten ist im vergangenen Jahr gestiegen
Im vergangenen Jahr hat es im Stadtgebiet Haltern am See insgesamt 2677 Einsätze des Rettungsdienstes gegeben. Dabei war 1152 Fällen auch ein Notarzt im Einsatz. Das hat der Kreis Recklinghausen auf Anfrage mitgeteilt. 2530-mal rückte der Rettungsdienst im Jahr 2017 aus, 1111-mal war ein Notarzt dabei. Die Zahlen der Vorjahre: 2016: 2796; 1201 2015: 2478; 1124 2014: 2179; 1004 2013: 2041; 1006 2012: 2017; 989 2011: 1916; 935 2010: 1907; 963 2008: 1826; 908- Insgesamt 53.556 RTW-Fahrten wurden 2018 im gesamten Kreis Recklinghausen gezählt, ein Jahr zuvor waren es 52.113. Die Zahl der Notarzt-Einsätze im Kreisgebiet betrug 21.832 (2018), bzw. 21.711.
Jan Striewe und Sebastian Hentsch waren ebenfalls froh: Es sei absolut erstaunlich, wie schnell sich Cornelia Klam wieder erholt habe. Eine Geschichte mit Happy End - das dürfen Einsatzkräfte nicht immer erleben. 2677 Einsätze hatten die Halterner Notfallsanitäter im vergangenen Jahr.
Zurechtfinden im Alltag
Cornelia Klam und Kristian Krause versuchen, sich langsam wieder im Leben, im Alltag zurechtzufinden. Der 42-Jährige, Abteilungsleiter einer IT-Firma in Lünen, hat seine Arbeit wieder aufgenommen. Seine Lebensgefährtin, im selben Betrieb tätig, versucht indes, mit dem Allein-Sein tagsüber in der Wohnung zurechtzukommen. Manchmal geht sie spazieren - kurze Wege und nur dort, wo Menschen sind. „Man muss wieder Vertrauen in den eigenen Körper gewinnen“, sagt sie. Die Reha steht an. Cornelia Klam, hofft, dort auch psychologisch betreut zu werden, damit sie das Grauen der letzten Wochen verarbeiten kann und lernt, mit der Angst vor einem erneuten Herzinfarkt zu leben. Die Ärzte indes machen ihr Mut. Sie könne durchaus wieder ein ganz normales Leben leben, sogar Sport treiben.
Neue Ziele und Pläne
Cornelia Klam und Kristian Krause haben in den Niederlanden ein Segelboot: „Dort werden wir so oft wie möglich hinfahren.“ Überhaupt wollen die beiden sich und ihren Freunden künftig mehr Zeit schenken. „Man sagt immer so leichtfertig ,Wir müssen uns mal treffen‘ und dann bleibt es dabei“, sagt Cornelia Klam. „Und dann ist es plötzlich zu spät.“
Aber es gibt auch noch einen ganz besonderen Plan: Die beiden Sythener, die seit acht Jahren ein Paar sind, wollen heiraten. „Eigentlich hatten wir das schon seit zwei Jahren vor“, sagt Cornelia Klam. Jetzt aber werde nichts mehr auf die lange Bank geschoben. Immerhin: Die Gästeliste steht schon fest. Die hat sie bereits im Krankenhaus geschrieben.
„Herzinfarkt bei 40-jährigen Patienten ist ein seltenes Ereignis“
Von der Betreuung und medizinischen Versorgung im Marler Marien-Hospital, das zum Katholischen Klinikum Ruhrgebiet Nord (KKRN) gehört, zeigten sich Kristian Krause und Cornelia Klam begeistert. „Es war nicht zu erkennen, ob es sich beim Personal um Ärzte oder Pfleger/-innen gehandelt hat - so professionell wurde dort gearbeitet“, sagen beide rückblickend. Über das Thema Herzinfarkt und Therapie sprach Redakteurin Ingrid Wielens mit Dr. med. Michael Markant, dem Leitenden Oberarzt und stellvertretenden Leiter der Intensivstation der Klinik für Innere Medizin/Fachbereich Kardiologie: Die Patientin erlitt mit 41 Jahren einen Herzinfarkt - kommt das in diesem doch relativ jungen Alter bei vielen Menschen vor? Markant: Bei 40-jährigen Patienten ist ein Herzinfarkt ein seltenes Ereignis. Das Durchschnittsalter der Herzinfarktpatienten beträgt 66 Jahre, wobei der Herzinfarkt bei Frauen in höherem Alter auftritt als bei Männern. Wenn jüngere Patienten einen Herzinfarkt bekommen, ist meistens eine Häufung von Herzerkrankungen in der Familie vorhanden oder die Patienten sind Raucher oder Diabetiker. Die Patientin wurde drei Tage in ein künstliches Koma versetzt. Warum ist eine solche Maßnahme nötig? Wenn es im Rahmen eins Herzinfarkts zu einen Herz-Kreislauf-Stillstand kommt und eine Wiederbelebung durchgeführt wird, werden die Patienten oft nach Stabilisierung für 24 Stunden auf 32-34 Grad Celsius gekühlt, um eine größere Schädigung des Gehirns durch den Sauerstoffmangel während des Herzstillstands und der Wiederbelebung zu verhindern. Während dieser Phase werden sie in ein künstliches Koma versetzt. Bei einem Herz-Kreislaufstillstand ist es entscheidend, dass die Wiederbelebungsmaßnahmen unverzüglich noch vor Eintreffen des Rettungsdienstes durch die Person begonnen werden, die denjenigen gefunden hat, bzw. weitere Personen möglichst helfen. Dies ist die effektivste Maßnahme, um das Leben desjenigen mit Herzkreislaufstillstand zu retten und größere Schäden des Gehirns zu vermeiden. In welchen Fällen muss ein Defibrillator implantiert werden? In Fällen, in denen ein Restrisiko für einen weiteren plötzlichen Herztod besteht, wird ein solcher Defibrillator eingepflanzt. Sollte es nochmals zu einem plötzlichen Herztod durch Kammerflimmern kommen, würde der Defibrillator dieses erkennen und durch Abgabe eines Schocks das Kammerflimmern durchbrechen und einen normalen Herzrhythmus wiederherstellen. Nach einem Herzinfarkt ohne Auftreten eines plötzlichen Herztods wird ein Defibrillator eingesetzt, wenn drei Monate nach Herzinfarkt die Pumpkraft des Herzens trotz optimaler medikamentöser Behandlung noch hochgradig eingeschränkt ist. Wie erkennt der Laie einen Herzinfarkt, was sind typische Symptome? Typische Beschwerden sind Druck, Engegefühl oder Schmerzen in der Brust, die mit Atemnot einhergehen können und länger als fünf Minuten anhalten. Atemnot kann auch vor allem bei Diabetikern oder älteren Patienten allein auftreten.Geboren in Dülmen, Journalistin, seit 1992 im Medienhaus Lensing - von Münster (Münstersche Zeitung) über Dortmund (Mantelredaktion Ruhr Nachrichten) nach Haltern am See. Diplom-Pädagogin und überzeugte Münsterländerin. Begeistert sich für die Menschen und das Geschehen vor Ort.
