Himmelsstürmerin Sue Kussbach startet bei WM
Segelfliegen
Sue Kussbach blinzelt in die dicken Wolken am blau-grauen Himmel über Dortmund und merkt augenzwinkernd an: „Gutes Segelflugwetter“. Damit ist eigentlich alles gesagt, denn die 49-Jährige ist als mehrfache Weltmeisterin die Königin der Lüfte. Und die nächste Krönung zwischen Himmel und Erde soll schon bald folgen.

Segelfliegerin Sue Kussbach ist bereits Dreifach-Weltmeisterin. In Tschechien will die Dortmunderin nun ihren vierten Titel holen.
„Ein Treppchen-Platz wäre schön – mindestens“, sagt die Dortmunderin, die seit 20 Jahren Mitglied der Segelflug-Nationalmannschaft ist, vor der Reise ins tschechische Zbraslavice, wo vom 17. Mai bis 4. Juni in drei Wettkampf-Klassen die weltbesten Frauen um die WM-Titel fliegen. Sue Kussbach kennt das Terrain hinter dem Zittauer Gebirge in der Nähe von Dresden, dort wurde sie 2003 Vize-Weltmeisterin.
Wetterlage ist elementar
Das Einzige, was sie und ihre Mitbewerberinnen bei aller akribischen Vorbereitung an Schreibtisch und Computer noch nicht kennen, ist das tagesaktuelle Wetter. Und das ist beim Segelfliegen im Wortsinne elementar. „Ich erkundige mich im Internet über Wetter und Topographie am Wettkampfort. Wir sind schon gute Meteorologen“, berichtet die Dreifach-Weltmeisterin, die ein 260 Kilogramm leichtes, gut 100 000 Euro teures Standard-Fluggerät mit 15 Metern Spannweite und starrem Profil durch die Lüfte steuert.
Dieser Mai sei – auch aus Pilotensicht – bisher „ganz schlecht. Eine Omega-Wetterlage, viel zu kalt, zu nass. Für uns Segelflieger ist es wichtig, dass es trocken ist. Nur die Blauthermik, die mögen wir neben Regen nicht“, erklärt Sue Kussbach. Blauthermik? Das ist schlichtweg ein wolkenloser, blauer Himmel, der keine sichtbaren Hinweise auf die benötigten Aufwinde gibt, wie es sonst Wolken oder Vögel tun. Erfahrene Segelflieger, und dazu zählt sich Kussbach ohne falsche Bescheidenheit, hätten aber kein Problem mit dieser Schönwetterlage, denn: „Segelfliegen ist zu 60 Prozent eine mentale Sache, und das Wetter kann ich zum Glück auch meistens richtig einschätzen.“
Erfahrung als entscheidender Faktor
Dabei hilft der Chef-Fluglehrerin der Luftsportfreunden Kamen/Dortmund ihr reicher Wissensschatz. „Erfahrung ist äußerst wichtig, denn wir müssen uns täglich aufs Neue auf wechselnde Wetterbedingungen einstellen. Mentale Stärke hilft, über mehrere Wettkampftage die Spannung oben zu halten“, sagt sie.
Der zweite Sitzplatz in ihrem schon betagteren, aber frisch lackierten und mit neuen Winglets (Tragflächenspitzen zur Stabilisierung) ausgestatteten Flieger bleibt diesmal leer, die im texanischen El Paso geborene Kussbach geht diesmal allein in die tschechischen Lüfte. Heißt auch: Je nach Wetterlage und Aufgabe sitzt die Industriekauffrau dann fünf, sechs, teilweise sogar sieben Stunden allein in ihrem Flieger. Allein mit den Elementen um sie herum, allein mit den Instrumenten, den Bordcomputern – und mit sich.
Höchstens ein Müsliriegel
Zum Essen kommt sie in der Luft nicht, „dafür sehe ich zu viel um mich herum, da langt es maximal zu einem Müsliriegel.“ Früher wäre sie damit beschäftigt gewesen, keine Fehler zu machen, heute sei sie „gelassener geworden. So haben wir in unserem Sport das Glück, im Wettkampf einen schönen Blick auf die Welt zu bekommen“, sagt sie.
Dabei sind die Anforderungen an den zwölf möglichen Wertungstagen komplex. Früh morgens muss der Segler flugfertig gemacht werden. Um das Abfluggewicht von 525 Kilogramm zu erreichen, tankt Sue Kussbach mindestens 140 Liter Wasser in die Tragflächen, das während des Fluges oder vor der Landung – je nach Thermik – per Knopfdruck aus dem Cockpit abgelassen werden kann. Und gute zwei Liter in den Trinkbeutel hinter ihr.
Aufgaben werden verteilt
So gegen Zehn ruft der „Tasksetter“, also ein Aufgabensteller, die Segelfliegerinnen zur Besprechung, verteilt DIN-A4-Blätter, auf denen die Lufträume eingezeichnet sind, Koordinaten, die vorgegebene Kilometer-Anzahl und Wenden oder Wendegebiete. Diese Aufgaben, die flugs in den Bordcomputer übertragen werden, müssen im Flug gelöst werden. Nach und nach werden die Starterinnen mit ihren Sportgeräten in 600 Meter Höhe geschleppt. Wenn alle oben sind, ertönt ein Gong, dann geht es noch einmal für alle unter diese Höhenmarke – und ab da zählt´s.
„Meine Wohlfühl-Geschwindigkeit liegt bei 160 bis 170 Kilometern pro Stunde, in der Spitze sind es auch schon einmal 200“, erklärt die Dortmunderin mit leuchtenden Augen. Natürlich gäbe es Abstürze, auch Todesfälle, sie selbst sei aber glücklicherweise noch nie in Notsituationen geraten. Die Faszination Segelfliegen bestehe für sie „auch in der Ungewissheit, ob ich zurückkomme“. Puh, diesen Druck muss man wirklich mögen ...
Am 17. Mai fällt der Startschuss für die „9th FAI Women‘s World Gliding Championships 2017“ – die Frauen-Segelflug-WM – im tschechischen Zbraslavice. Bis zum 4. Juni gehen dort 50 Pilotinnen aus elf Nationen im Streckensegelflug ins Rennen.
Sue Kussbach (49) startet in der Standard-Klasse gegen 13 Konkurrentinnen aus sechs Nationen. Die Dortmunderin hat in dieser Klasse drei Mal in Serie (2009 - 2013) den Titel geholt, 2015 wurde sie bei der WM in Dänemark Vierte.
In der Standard-Klasse haben die Segelflieger eine maximale Spannweite von 15 Metern, ein Startgewicht von maximal 525 kg, aber keine Wölbklappen oder andere auftriebserhöhende Vorrichtungen.