Der 29. April 1978 ist ein historisches Datum in der Fußball-Bundesliga: Das 0:12 des BVB gegen Borussia Mönchengladbach ist bis heute die höchste Niederlage eines Vereins im Oberhaus.

Dortmund, Schwerte

, 14.04.2021, 16:00 Uhr / Lesedauer: 4 min

Nicht nur Tyler (10) möchte es wissen: „Oppa, was war denn da los?“, fragt er, als er den Namen seinen Großvaters per Google im Internet eingibt. Sofort kommt die größte Schmach der Vereinsgeschichte des BVB zum Vorschein. Mit 0:12 verlor Borussia Dortmund am 29. April 1978 gegen Borussia Mönchengladbach. „Oppa“ stand für die Dortmunder auf dem Platz. Das Verrückte: Er bekam die ordentliche Note drei vom „kicker“.

Als ehemaliger Leistungsträger in der Bundesliga hat „Oppa“ nicht nur dieses 0:12 des BVB gegen Borussia Mönchengladbach als prägendes Ergebnis in seiner Vita stehen, sondern auf der Gewinnerseite auch ein 7:4 mit dem 1. FC Kaiserslautern nach 1:4-Rückstand gegen Bayern München sowie ein 11:1 nach einem 0:1 gegen Arminia Bielefeld mit der Dortmunder Borussia.

Die Blamage von Düsseldorf jährte sich am 29. April zum 43. Mal. Und viele Zeitzeugen, aber auch die jüngeren BVB-Fans fragen noch heute wie Tyler: „Was war denn da los?“

Gut, dass der Befragte gerne über die packenden Erlebnisse seiner Profizeit berichtet: „Ich habe alle Facetten des Profifußballs miterlebt“, sagt Lothar Huber, mittlerweile 68 Jahre alt. „Da waren ja auch die anderen schönen Erlebnisse.“

Lothar Huber, 68 Jahre alt und BVB-Legende, trainiert mittlerweile den Schwerter A-Kreisligisten VfB Westhofen.

Lothar Huber, 68 Jahre alt und BVB-Legende, trainiert mittlerweile den Schwerter A-Kreisligisten VfB Westhofen. © Manuela Schwerte

Wer den Trainer des Schwerter A-Kreisligisten VfB Westhofen und den Ex-Coach des Kirchhörder SC erlebt, mag das Alter kaum glauben. „Der Fußball hält mich jung. In Westhofen trainiere ich noch, weil der Verein klare Ziele hat“, sagt einer der beliebtesten Fußballer der BVB-Historie - er meint damit die VfB-Ambitionen, in die Bezirksliga aufzusteigen.

Franz Beckenbauer: „Verteidigst doch alleine weiter!“

Bevor er die unglaubliche Geschichte des Aushilfs-Liberos, der trotz zwölf Gegentreffern die Note drei erhielt, aber erzählt, geht Huber noch Jahre weiter zurück. Dahin, wo er einst herkam: in die Pfalz. Am 20. Oktober 1973, Huber war gerade 21 Jahre alt, erlebte er, warum der raue Betzenberg, wo die Roten Teufel herrschten, zur Hölle des FC Bayern wurde.

Die Schmach des BVB gegen Borussia Mönchengladbach: Lothar Huber (r.) war als Libero hautnah dabei.

Die Schmach des BVB gegen Borussia Mönchengladbach: Lothar Huber (r.) war als Libero hautnah dabei. © imago sportfotodienst

1:3 lag der FCK zur Pause zurück. „Wir hatten uns vorgenommen, nicht aufzugeben, kassierten aber das 1:4. Dann holten wir Tor um Tor auf. Spätestens beim 4:4 durch Josef Pirrrung bebte der Berg.“ Der junge Huber sah die Großen dieser Zeit wanken: „Franz Beckenbauer war bedient. In seinem bayrischen Dialekt sagte er zu seinen Teamkollegen: verteidigst doch alleine weiter!“

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Das gelang den Bayern gar nicht. In den letzten zehn Minuten der legendären Partie landeten die Lauterer einen Dreierpack. „Das vergesse ich nie. Heute geht das ja gar nicht mehr. Aber wir waren dann zusammen in der Kneipe und haben da richtig gefeiert.“

Die Kneipe lud nur zum Frustsaufen ein

Knapp fünf Jahre später, mittlerweile bei einem Verein mit einem ähnlich begeisterungsfähigen Publikum, hätte Lothar Huber höchstens eine Kneipe zum Frusttrinken besucht. Damals war es aber wohl besser, sich nicht sehen zu lassen. „Das 0:12 verfolgt mich noch heute. Das war ein echtes Katastrophenspiel.“

Huber wagt sich selbst heute kaum zu sagen, dass Manfred Burgsmüller sogar zwei große Chancen für den BVB hatte, ehe nicht nur der Regen auf die hilflosen elf Dortmunder hagelte.

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„Jeder Schuss ein Treffer. Sechs hatten wir schon zur Halbzeit kassiert. Unser so zuverlässiger Verteidiger Amand Theis musste fünf Gegentore seines Gegenspielers Jupp Heynckes hinnehmen. Wenn der Jupp in die Gänge kam, war er kaum zu verteidigen. Amand hatte vorher noch gesagt, er bekäme den Heynckes in der Griff, dem war aber nicht so“, erzählt Huber.

Am Ende ging Dortmund komplett baden. „Selbst Kalle Del’Haye, der kaum traf, machte zwei Treffer. Und wir haben uns so geschämt, dass wir hinterher den Schiedsrichter den Ball aus unserem Tor holen ließen.“

Die auffällige Note tröstete Lothar Huber, normalerweise Außenspieler, kaum darüber hinweg, was er mit seinen Teamkollegen nach dem letzten Saisonspiel erlebte. Da Mönchengladbach noch Titelchancen hatte, verhinderte nur ein Kölner 5:0-Sieg beim FC St. Pauli, dass dieses 12:0 nicht sogar noch die Meisterschaft entschied.

BVB-Legende Lothar Huber: „Die Schadenfreude tat sehr weh“

Nach der Saison blieb den Dortmundern trotzdem nichts erspart: „Wir mussten noch vier Freundschaftsspiele absolvieren. Die Leute kamen in Strömen, um uns zu sehen. Die Schadenfreude tat sehr weh.“ Und die Note drei interessierte Huber kaum noch: „Ich war vielleicht von den Schlechten noch der Beste. Den zuständigen Kicker-Redakteur kannte ich nicht besonders. Vielleicht mochte er mich aber.“

Sicher durfte sich der Rechtsverteidiger der Zuneigung des Dortmunder Publikums in den Folgejahren sein. Vier Jahre später war Huber wieder einer der Hauptdarsteller einer weiteren historischen Partie. Am 6. November 1982 waren es diesmal die gegnerischen Spieler und nicht die des BVB, die wie geprügelte Hunde, wie es in der Metaphorik dieser Zeit so anschaulich hieß, den Platz verließen.

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Nach 0:1-Rückstand drehten die Dortmunder richtig auf. Auch Schwarz-Gelb hatte jetzt seinen Fünffach-Torschützen. Dieser hieß Manfred Burgsmüller. Der Schlusspunkt aber blieb Huber vorbehalten: „Ich durfte den Elfmeter zum 11:1 verwandeln.“ So hoch gewann das Team gegen Arminia Bielefeld.

Drei Torfestivals für die Ewigkeit! Das sind aber längst nicht der Anekdoten genug. Huber erinnert sich besonders gerne an ein eigentlich unauffälliges Spiel samt Ergebnis. Nur die wenigsten dürften sich heute noch an dieses Bundesligaspiel im Jahr 1977 erinnern, „Von der Bedeutung her war es für mich persönlich aber besonders wichtig“, sagt Lothar Huber.

Zwei Spiele gegen den FC Bayern München blieben Lothar Huber auf erfreulichere Art und Weise im Gedächtnis.

Zwei Spiele gegen den FC Bayern München blieben Lothar Huber auf erfreulichere Art und Weise im Gedächtnis. © Imago

Siegtor gegen den FC Bayern

Ein Jahr vor dem heftigen 0:12, am 12. März 1977, entschied er eine aus anderem Grund historische Partie. Der Borusse Rainer Künkel hatte den Außenseiter im Münchener Olympiastadion in Führung gebracht, der Münchener Erwin Kostedde später ausgeglichen, ehe die Borussen in der 89. Minute zum Sieg trafen. Zum 2:1-Sieg des Aufsteiger gegen den großen FC Bayern. Torschütze? Lothar Huber. „Das ist mir fast noch besser in Erinnerung als die anderen Spiele.“

Auch davon berichtet der „Oppa“ seinem Tyler gerne. „Schön, dass ich ihn und meine Familie auch während der Corona-Zeit sehen kann. Sonst wäre es ohne Fußball ziemlich langweilig.“

Am 29. April zählt Huber auf Tyler. Dann möchte er nicht an ein sich jährendes Ereignis erinnert werden, sondern sich mit seinem Enkel beschäftigen. Vielleicht packt er den Jungen im Herbst ein und fährt mit ihm weiter zurück in seine Vergangenheit. In Kaiserslautern gibt es ein Veranstaltungsort namens Fruchthalle. „Dort zeigen sie in jedem Jahr am 20. Oktober unser 7:4 gegen den FCB.“

Gerne antwortet er dann seinem Enkel auf die Frage: „Oppa, was war denn da los?“ Inmitten der ereignisreichen Historie des Großvaters ist es dann aber doch mehr als eine Fußnote, dass der Mann aus der Fruchthalle später mit Bananenflanken berühmt wurde.

Wie die geht, kann Lothar Huber seinem Enkel ja jetzt im Garten zeigen. Bewegung ist ja in diesen Zeiten, da die Kinder wegen der Einschränkungen besonders oft vor dem Bildschirm sitzen, auch gesünder als etwas über 0:12-Spiele zu lesen.

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