
Seit der Übernahme der Gastwirtschaft ihrer Schwiegereltern steht Anke Lühring als Wirtin hinter dem Tresen. © Claudia Hurek
Von der Wuchtbrumme zur Kraftsportlerin: So wurde eine Herberner Wirtin zur wirklich „starken Anke“
Kraftsport
Anke Lühring (41) gehörte viele Jahre zu den sogenannten Wuchtbrummen. „Ich war ganz einfach fett“, wie es die Wirtin der Gaststätte Zur alten Mühle unverblümt ausdrückt. Das ist heute anders.
Deutschlandweit sind gut zwei Drittel der Männer und die Hälfte der Frauen übergewichtig. Ein Viertel der Erwachsenen ist sogar stark übergewichtig. Laut einer Statistik der WHO steht Deutschland allerdings nur auf Platz 94 der Menschen mit einem BMI-Wert über 30 (der BMI gilt ab 25 als Übergewicht). Das Spitzengewicht von Anke Lühring nach der Geburt von Sohn Benjamin im Jahr 2003 lag bei stolzen 160 Kilogramm und Kleidergröße 56.
Geboren in Wermelskirchen zog sie im Alter von 15 Jahren mit ihren Eltern nach Ascheberg. „Ein schmales Reh war ich nie; irgendwie immer pummelig“, sagt sie. Mit Dingen wie Mobbing in der Schule oder dummen Sprüchen kam sie dennoch selten in Berührung. „Man muss einfach eine große Klappe haben und sich ein dickes Fell zulegen“, so die Wirtin der Gaststätte Zur alten Mühle, die gelernte Kinderpflegerin ist.
Bittere Tränen und eine ziemlich große Klappe
„Natürlich habe ich alleine in meinem Zimmer auch viele bittere Tränen verdrückt; diese Seite habe ich aber nie nach außen getragen. Für Familie und Freunde war ich immer die starke Anke mit der, zugegebenermaßen, ziemlich großen Klappe. Ich habe mir nichts gefallen lassen.“
Im Jahr 1999 lernte sie ihre große Liebe Heinz Lühring jun. kennen. Die Gaststätte gehörte zu dem Zeitpunkt noch seinen Eltern Heinz sen. und Doris „Als wir uns kennenlernten, trug ich noch Kleidergröße 40. Das blöde war einfach, dass Heinzi richtig gut kochen kann und wir viel Zeit hier in der Mühle verbracht haben. Da gab es, egal zu welcher Uhrzeit, immer was zu essen.“

So sah die inzwischen erschlankte Anke zu Spitzenzeiten aus. © Privat
Ihr Gewicht lag dann auch vor der Schwangerschaft im Jahr 2003 schon bei 105 Kilogramm. Baby Benjamin und ungezügeltes Essverhalten ließen das Gewicht bis zur Entbindung noch auf 150 Kilogramm anwachsen. „Ich war so träge und schlapp; das glaubt kein Mensch. Mein Arzt sagte mir damals schon, wenn ich nicht aufpasse, sitze ich in ein paar Jahren im Rollstuhl.“
Gewicht und eine Fehlstellung der Kniescheiben führten zu dieser Schockdiagnose. Diese war allerdings nicht so groß, dass sie ein Umdenken herbeiführte. In der Stillzeit kamen noch einmal 10 Kilogramm on Top, so dass ihr Gewicht Ende 2003 satte 160 Kilogramm betrug.
Anke Lühring: „Irgendwann machte es klick“
„Irgendwann machte es dann tatsächlich klick. Den Auslöser hierfür weiß ich gar nicht mehr. Ob es beim Klamottenkauf war, da ist man als junger Mensch bei Größe 56 eh sehr eingeschränkt, oder was auch immer. Heinzi hat nie etwas Negatives gesagt. Auch Freunde nicht. Selbst meine beste Freundin Julia, die ich seit der Schulzeit kenne, hat nie was in Richtung ‚willste nicht mal abnehmen‘ von sich gegeben“, erinnert sich Lühring.
Im Jahr 2009 meldete sie sich bei den Weight Watchers an. Mit viel, sehr viel Disziplin und eisernem Willen nahm sie Schritt für Schritt Kilos um Kilos ab. In den kommenden sechs Jahren über die Hälfte ihres Körpergewichts; insgesamt 90 Kilogramm. Eine stolze Leistung für die junge ambitionierte Mutter.

Ehemann Heinz und Sohn Benjamin unterstützen die ambitionierte Kraftsportlerin. © Privat
Diese große Gewichtsabnahme ohne sportliche Betätigung hinterließ an dem jahrelang vernachlässigten Körper unschöne Dinge wie am Bauch und an den Armen sogenannte Fettschürzen.
„Das sah echt nicht schön aus; das möchte man mit Mitte 30 eigentlich nicht haben.“ Konsequenz aus dieser Abnahme waren schließlich zwei Operationen, die Anke selber tragen musste, da die Krankenkasse keinerlei medizinische Notwendigkeit sah.
Im Jahr 2015 kam dann die große Wende in der Anke ihre Leidenschaft für den Sport entdeckte. Das entwickelte sich langsam. Erst mit Ausdauersport wie dem Laufband oder auf dem Stepper. Aber ich hab schnell festgestellt, dass das nichts für mich ist.“ Später kamen noch Kraftsport und Bodybuilding dazu.
„Mein Traum war damals, irgendwann einmal auf einer Bühne zu stehen und einen perfekt gestylten Körper zu zeigen. Der Zahn wurde mir dann recht schnell gezogen. An den Oberschenkeln und Armen habe ich sogenannte Lipödeme (Fettverteilungsstörung), die es unmöglich machen, den Körper für die Bühne vernünftig zu definieren.“
Der frühe Tod ihrer Mutter, zu der sie ein sehr inniges Verhältnis hatte, stieß sie im Jahr 2019 in ein tiefes Loch. „Sie ist an meinem Geburtstag gestorben. Danach war der Sport erstmal nicht mehr wichtig für mich.“

Anke Lühring war einmal stark übergewichtig. Heute ist sie Kraftsportlerin. © Claudia Hurek
Zum Jahresbeginn 2020 hatte sie sich soweit gefangen, dass der Sport wieder eine große Rolle in ihrem Leben einnehmen musste. Überlegungen, wo die sportliche Reise hingehen sollte, brachten sie schließlich auf die Idee, sich im Keller einen Trainingsraum einzurichten. „Was kann ich gut und was nicht? Was möchte ich und was nicht?“
Bei Recherchen im Internet stieß sie auf das St-ARK in Lünen. Das Studio, geführt von Tobias Anthöfer, bekannt als stärkster Rollstuhlfahrer der Welt, bietet die Schwerpunkte Strongman, Behindertenkraftsport und Powerlifting an. „Dort bin ich dann einfach mal vorbei und hab mir das angesehen und sofort Blut geleckt. Das war genau das, was ich wollte.“

Lühring beim Gewichte stemmen. © Claudia Hurek
Nach drei Monaten intensivem Training gewann Lühring den ersten Platz bei einem Wettkampf in dem sie 160, 170 und 187,5 Kilogramm aus der Kniebeuge hob: „Ich konnte das gar nicht fassen und hab erstmal Rotz und Wasser geheult. Ich war so stolz auf mich. Tja, dann kam Corona und der Lockdown. Also habe ich meinen Fitnessraum im Keller ordentlich aufgestockt und trainiere seitdem jeden Tag für mindestens eine Stunde; das ist wie eine Sucht und muss sein.“
Regionale Wettkämpfe statt richtig große Bühne
Viel mehr Zeit kann die selbständige Geschäftsfrau, die gemeinsam mit Ehemann Heinz die Traditionsgaststätte Zur alten Mühle im Jahr 2010 übernommen hat, kaum in den Sport investieren. Ehemann und Sohn sind stolz auf ihre „starke Anke“ und unterstützen sie in ihrem Tun. Die große Bühne ist nicht mehr ihr großes Ziel. „Ich mache gerne weiterhin bei regionalen Wettkämpfen mit, aber das soll auch reichen.“
Neben vielen Komplimenten für ihr Durchhaltevermögen und für das, was sie macht, bekommt sie auch ab und an dumme Sprüche wie „Wofür macht man das als Frau?“ oder „du nimmst doch bestimmt Anabolika“ zu hören. „Da steh ich drüber. Ich finde in dem was ich tue, ob nun beruflich oder im Sport und in meiner Familie meine Erfüllung. Was andere über mich denken ist mir egal. Ich bin nun mal ich“, sagt Lühring.
Seit fast 30 Jahren ist Herbern nun unser Zuhause und seit gut vier Jahren darf ich über meinen zweiten Herzensort berichten. Ich habe einen großartigen Job als freie Mitarbeiterin, der den eigenen Horizont um ein Vielfaches erweitert.
