Zigtausend Juden - auch aus Heek, Südlohn oder Vreden - kamen im Todeswald der Nazis ums Leben.

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Nazi-Todeswald: Heeker suchen Massengräber von tausenden erschossenen Juden

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25.000 Juden haben die Nazis in einem Wald in Lettland hingerichtet, verscharrt und verbrannt. Darunter auch Opfer aus Heek, Vreden, Ahaus, Südlohn und Stadtlohn. Und die Opferzahl droht weiter zu steigen.

Heek

, 22.07.2021, 16:00 Uhr / Lesedauer: 3 min

Die Natur hat ihr grünes Leichentuch über das rund acht Hektar große Waldgebiet gelegt. Der Wald könnte auf den ersten Blick zum Spazierengehen und Erholen einladen – doch er birgt ein grausames Schicksal. Eines, dessen Ausmaß noch viel größer als bisher bekannt sein könnte.

Zigtausende Juden ermordete die brutale Nazimaschinerie ab 1941 im Todeswald. Darunter auch Opfer aus Nienborg, Südlohn, Ahaus, Stadtlohn und Vreden. Sie alle wurden von den Nationalsozialisten aus ihrem bisherigen Leben gerissen, nach Riga in Lettland deportiert, viele im Bikerniekiwald bei Massenerschießungen hingerichtet und einfach in Massengräbern verscharrt.

Gedenkstätte im Todeswald errichtet

Mit Mitteln der Bundesrepublik Deutschland, des Nationalen Fonds der Republik Österreich und der im „Riga-Komitee“ vereinten deutschen Städte hat der Volksbund in den Jahren 1999 bis 2001 die Gräberstätte instandgesetzt und zu einem Ort des Gedenkens umgewandelt.

Heek etwa ist seit 2019 Mitglied im Komitee, um ein Zeichen gegen das Vergessen des jüdischen Lebens in der Gemeinde zu setzen, wie Bürgermeister Franz-Josef Weilinghoff klarstellt. „Wir sind natürlich an einer Aufarbeitung interessiert.“

Zigtausende Juden deportierten die Nazis nach Riga und ermordeten sie dort im Todeswald. Unter den Opfern waren aus Juden aus Heek, Stadtlohn, Südlohn, Ahaus oder Vreden.

Zigtausende Juden deportierten die Nazis nach Riga und ermordeten sie dort im Todeswald. Unter den Opfern waren aus Juden aus Heek, Ahaus, Stadtlohn, Südlohn und Vreden. © DPA

Denn das exakte Ausmaß der Nazi-Barbarei im Todeswald von Riga ist noch gar nicht bekannt. Noch nicht. Denn die „Georadar GmbH“ aus Heek um Firmeninhaber und Geschäftsführer Winfried Leusbrock soll jetzt im Auftrag des 2000 gegründeten Riga-Komitees Licht ins Dunkle bringen.

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Anfang Juli machten sich Leusbrock und sein Team darum vor Ort ein Bild. Sie nahmen die Gedenkstätte in Rumbula – ebenfalls ein Wald, in dem die Nazis massenhaft mordeten – und die Gedenkstätte Bikerniekiwald in Augenschein.

Winfried Leusbrock will mit seinem Team im Todeswald nach weiteren Massengräbern suchen.

Winfried Leusbrock will mit seinem Team im Todeswald nach weiteren Massengräbern suchen. © Georadar GmbH

„Es ist schon ein beklemmendes Gefühl, wenn man an den Gedenksteinen vorbeiläuft und auf einmal Heek, Südlohn oder Vreden liest“, berichtet Winfried Leusbrock. Dieser lokale Bezug gehe bei all der Nazi-Grausamkeit ganz besonders unter die Haut.

Nienborger Juden wurden deportiert

So wurden aus Heek Siegmund und Rosa Gottschalk – die letzten jüdischen Bürger des Ortsteils Nienborg – im Dezember 1941 zusammen mit weiteren 400 Juden aus dem Münsterland nach Riga deportiert und ermordet. Ihre Schwägerin Meta Gottschalk, geborene Wolff aus Vreden, kam im KZ Auschwitz ums Leben.

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Noch heute erinnern in Nienborg die 2010 verlegten drei Stolpersteine vor den Häusern in der Gartenstraße 12 und der Hauptstraße 5 an die jüdischen Mitbürger, bevor die Nazis sie aus der Dinkelgemeinde rissen.

Auch jüdischer Mitbürger aus Nienborg wurden von den Nazis im Todeswald von Riga exekutiert.

Auch jüdische Mitbürger aus Nienborg wurden von den Nazis im Todeswald von Riga exekutiert. An der Gedenkstätte erinnert dieser Schriftzug an Siegmund und Rosa Gottschalk. © Georadar GmbH

Der Todeswald Bikernieki war übrigens nach bisherigen Erkenntnissen der zentrale Ort der Massenerschießungen in Riga, nachdem am 30. November 1941 die meisten der lettisch-jüdischen Bürger aus den Ghettos im Rumbula-Wald ermordet worden waren.

Zwei der Stolpersteine in Nienborg, die an die deportierten Gottschalks erinnern.

Zwei der Stolpersteine in Nienborg, die an die deportierten Gottschalks erinnern. © Georadar GmbH

Auf 25.000 deutsche Juden beziffert der Volksbund die Zahl der Todesopfer bisher in Riga. Damit ist Bikernieki der größte Massenmord-Tatort in Lettland. 55 größere und kleinere Gräber mit einer Gesamtfläche von 2885 Quadratmetern sind bisher bekannt.

Exakte Opferzahl aus dem Todeswald nicht klar

Doch bis heute wird die Ermittlung der exakten Opferzahl dadurch erschwert, dass die 1944 zurückweichenden deutschen Truppen die verscharrten Leichen verbrannten, um ihre Gräueltaten vor den Alliierten zu vertuschen. In der SS-Sprache hieß das ,,Enterdung“.

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Die Hoffnung beruht nun darauf, dass die Georadar GmbH etwas mehr Licht ins Dunkle bringt. „In den Wäldern werden weitere, noch nicht bekannte Massengräber vermutet“, erklärt der Georadar-Firmeninhaber.

Irgendwo in den Wäldern rund um die Gedenkstätte werden weitere Massengräber vermutet.

Irgendwo in den Wäldern rund um die Gedenkstätte werden weitere Massengräber vermutet. © Volksbund

Im September dieses Jahres wird darum sein Team mit der aktiven Suche nach diesen anfangen. „Ja, wir werden in den Wäldern suchen“, stellt Leusbrock klar. Genau deshalb gab es auch Anfang Juli die Vorabreise an „die Orte des Grauens“.

„Wir haben uns einen Eindruck und Überblick verschafft“, erklärt Winfried Leusbrock im Gespräch mit der Redaktion. Dabei gehe es darum, sich ein Bild vom Gelände und der Vegetation zu machen.

Georadar-Technik soll im Todeswald zum Einsatz kommen

Zentrale Frage: Was muss passieren, damit eine Suche mittels Georadar effektiv erfolgen kann? Jener Technik, die das Unternehmen aus Heek Stück für Stück verfeinert hat.

In den Wäldern werden noch weitere Massengräber vermutet. Die Georadar-GmbH aus Heek will das Gelände im September mit modernster Technik gründlich sondieren.

In den Wäldern werden noch weitere Massengräber vermutet. Die Georadar-GmbH aus Heek will das Gelände im September mit modernster Technik gründlich sondieren. © Georadar GmbH

Dabei werden elektromagnetische Impulse im Radarfrequenzbereich in den Boden gesendet. An Objekten werden diese Impulse reflektiert. Die Stärke und Art der Reflexion lassen dann gute Rückschlüsse auf den Untergrund zu.

Die so erstellte 3D-Bodenauswertung wird über ein Drohnenbild der Fläche gelegt. So ist eine exakte Kartierung möglich. 25 Prozent der Arbeit erfolgt im Feld, die Detailauswertung im Büro.

Auch Stadtlohner Juden wurden nach deportiert und dort ermordet.

Auch Stadtlohner Juden wurden nach Riga deportiert und dort ermordet. © Georadar GmbH

Doch der Todeswald wird das Team um Winfried Leusbrock vor eine Herausforderung stellen. Zwar soll der Wald an einigen Stellen für die Sondierung gerodet werden, doch ob das mit dem Fliegen einer Drohne klappt, ist noch unklar.

So oder so: Was geht einem vor der Suche an solch einem Ort von Gräueltaten durch den Kopf? „Man macht sich schon Gedanken darüber, ob und was man findet, aber wenn wir als Team zur Aufklärung beitragen können, dann haben wir viel erreicht“, entgegnet der Georadar-Firmeninhaber.

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