Ukraine-Flüchtlinge erreichen Haltern - Haus von Familie Privalow von Bombe zerstört

Kriegsflüchtlinge

Familie Privalow gehört zu den ersten Kriegsflüchtlingen, die aus der Ukraine in Haltern eingetroffen sind. In Flaesheim fanden sie herzliche Aufnahme. Weitere Geflüchtete werden folgen.

Flaesheim

, 03.03.2022, 17:07 Uhr
Die Flaesheimerin Svetlana Pavlov (stehend) hat mit ihrem Mann Volodymyr eine befreundete Familie aus der Ukraine aufgenommen. Der Schrecken des Krieges ist ihr sowie Julia und Dima Privalow mit den Kindern Eva und Platon ins Gesicht geschrieben.

Die Flaesheimerin Svetlana Pavlov (stehend) hat mit ihrem Mann Volodymyr eine befreundete Familie aus der Ukraine aufgenommen. Der Schrecken des Krieges ist ihr sowie Julia und Dima Privalow mit den Kindern Eva und Platon ins Gesicht geschrieben. © Silvia Wiethoff

Sie hatten ein ganz normales Leben - Kinder, Arbeit, Hobbys. Svetlana Pavlov lebt mit ihrer Familie in Flaesheim. Dima Privalow war mit seiner Familie in Kiew zu Hause. Über viele Jahre haben die beiden Jugendfreunde, die aus der 500.000 Einwohner-Stadt Mykolayiv im Süden der Ukraine stammen, Kontakt gehalten. „Dann hat es Bumm gemacht“, sagt Svetlana Pavlov, und alle sind in einem Albtraum aufgewacht.

Am Donnerstagmorgen (3. März) sitzt Dima Privalow in Flaesheim am Küchentisch. „Hier ist es so ruhig. Wir fühlen uns sicher und warm“, beschreibt er sein Gefühl. Aus seinem Heimatland kommen bedrückende Nachrichten. Städte wie Kiew oder Charkiw stehen unter permanentem Raketenbeschuss, Bomben krachen in Wohnhäuser und Zivilisten geraten ins Feuer von Maschinengewehren.

Die Familie flüchtete über Polen

Zwei Tage, bevor der russische Präsident Putin seine Armee in die Ukraine einmarschieren ließ und einen Aggressionskrieg entfachte, flüchtete der 45-jährige Mediengestalter mit Frau und zwei Kindern nach Polen.

Angesichts der Reden von Putin sei ihm klar gewesen, dass es Krieg geben werde, berichtet er. „Ich habe alle Freunde und Verwandte gewarnt. Aber sie wollten mir nicht glauben.“ In Polen habe seine Familie herzliche Aufnahme erfahren. „Wie in einer Familie“, sagt Dima Privalow, der in der Ukraine bei einem Hersteller von Computerspielen beschäftigt war.

Dima Privalow macht auf die Lage in der Ukraine aufmerksam

Aufgrund der alten Verbindung zu Svetlana Pavlov (43) gelangte er weiter nach Deutschland, wo er jetzt auf seine Weise versucht, sich für seine Heimat einzusetzen. Er hat beispielsweise gerade einem befreundeten Journalisten in Brasilien ein Interview gegeben und vom Krieg in der Ukraine erzählt. Er spricht mehrere Sprachen, auch Deutsch, das er sich selbst beigebracht hat.

Die gebürtigen Ukrainer Volodymyr und Svetlana Pavlov leben im Flaesheimer Neubaugebiet.

Die gebürtigen Ukrainer Volodymyr und Svetlana Pavlov leben im Flaesheimer Neubaugebiet. © privat

Aus Kiew erreichen ihn schlimme Neuigkeiten. Sein Wohnhaus wurde von einer Bombe getroffen und ist weitgehend zerstört. Sogar in internationalen Medien wurde darüber berichtet. Bilder und Videos sind ein Beweis dafür, dass die russische Armee zivile Ziele trifft und die Opfer wissentlich in Kauf nimmt.

„Es ist Terrorismus, wenn eine Stadt, in der du friedlich wohnst, plötzlich von Raketen angegriffen wird“, erklärt Dima Privalow.

Für die Ukrainer, die gerade durch Krieg und Flucht in Flaesheim vereint sind, ist das nur schwer auszuhalten. Svetlana Pavlov und Dima Privalow sind sich dennoch in ihrer Haltung einig, keinerlei Hassgefühle gegen die russische oder belarussische Bevölkerung zu hegen. Beide habe verwandtschaftliche Beziehungen nach Russland.

Die Geflüchteten hegen keinen Hass gegen das russische Volk

„Ich bin mir sicher, dass die Mehrheit der russischen Bürger gegen diesen Krieg ist“, sagt Dima Privalow. Nationalitäten spielten im Angesicht des Krieges keine Rolle, nur die Frage, wer aktiv Schuld auf sich geladen habe.

Seine Frau Julia (35) hat in den sozialen Medien gerade eine persönliche Nachricht gepostet, in der es unter anderem heißt: „Ich bin müde, ich will einfach nach Hause, ich möchte in mein Bett, ich möchte Blumen gießen, am Morgen Tee kochen, in den Garten gehen und sehen, der Himmel ist klar. Ich möchte ein ganz normales Leben haben.“

Dimitri Fell und Volodymyr Pavlov aus Haltern auf dem Weg an die Grenze zwischen der Republik Moldau und der Ukraine

Dimitri Fell und Volodymyr Pavlov aus Haltern auf dem Weg an die Grenze zwischen der Republik Moldau und der Ukraine © privat

Das normale Leben ist auch bei der Familie von Svetlana Pavlov aus den Fugen geraten. Ihr Mann Volodymyr ist gerade mit einem Transporter nach Moldawien gefahren, um ihre Mutter sowie weitere Geflüchtete, die aus dem umkämpften Charkiw stammen, an der Grenze abzuholen. Eigentlich kümmert sich der 38-jährige Oberarzt bei der Klinikum Vest GmbH um Krankheitsfälle in der Geriatrie. Jetzt versucht der Facharzt für Innere Medizin, auf andere Weise Leben zu retten.

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Die drei Kinder des Ehepaares Pavlov sind am Donnerstagmorgen in der Schule. Sohn und Tochter der Privalows spielen im Wohnzimmer mit Spielsachen, die Nachbarn der Flaesheimer vorbeigebracht haben. Für Platon (7) und Eva (4) sei der Aufenthalt im Neubaugebiet bei der befreundeten Familie Pavlov noch wie eine Urlaubsreise, sagen ihre Eltern. Irgendwann aber werden sie nach ihren Freunden in der Heimat fragen.

Mit der Mutter von Svetlana Pavlov (grüne Jacke) warten weitere Geflüchtete an der ukrainischen Grenze auf ihre Retter aus Haltern. Der Mann links im Bild hat sie zum Treffpunkt gefahren und muss wieder zurück.

Mit der Mutter von Svetlana Pavlov (grüne Jacke) warten weitere Geflüchtete an der ukrainischen Grenze auf ihre Retter aus Haltern. Der Mann links im Bild hat sie zum Treffpunkt gefahren und muss wieder zurück. © privat

Platon hat auch schon ein wenig über das Geschehen in der Ukraine mitbekommen. Wenn er einmal groß ist, möchte er Präsident werden und Putin zur Verantwortung ziehen. Noch hoffen die Geflüchteten, dass sie ihr Weg nach Kiew zurückführt. „Wir lieben unsere Heimat. Das Beste wäre, wir könnten zurück.“ Vielleicht aber müssten die Kinder erst einmal hier in Deutschland in die Kita und zur Schule gehen.

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Darauf bereitet Vater Dima sie vor. Er zeigt erste Wortübungen auf Deutsch auf einem Schreibblock. „Ich hoffe für meine Kinder auf Frieden“, so Dima Privalow. Je nach Ausgang des Krieges, je nach dem Zustand der Freiheit in der Ukraine, werde aber vielleicht auch Deutschland ihr neuer Lebensmittelpunkt. „Ich habe Sorge, dass wir hierbleiben müssen“, sagt er.

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