
© Ingrid Wielens
Tiktokerin Jana Crämer ist nach Haltern umgezogen: „Ich hole das Glück nach“
Mit Video
Bloggerin, Tiktokerin, TV-Talk-Gast: Jana Crämer ist wegen ihrer Essstörung und als Autorin von bislang drei Büchern bekannt. Die 39-Jährige ist jetzt von Berlin umgezogen. Ihre neue Heimat: Haltern.
„Our future is love“ („Unsere Zukunft ist Liebe“) steht auf dem Kragen des Pullovers, den Jana Crämer trägt. Fast könnte es das persönliche Lebensmotto der 39-Jährigen sein. Im sozialen Netzwerk TikTok hat Jana Crämer rund 550.000 Follower. Mehr als 250 Millionen Mal wurden ihre Videos auf der Internet-Plattform bislang geklickt. Die 39-Jährige ist eine Influencerin - eine Person, die Videos über sich und zu bestimmten Themen in hoher Frequenz veröffentlicht. Jana Crämer postet zum Beispiel täglich, was sie gegessen hat. Zur Freude ihrer jugendlichen Fans.
Auch in Haltern ist die Frau, die im Ruhrgebiet aufwuchs und bis vor Kurzem in Berlin lebte, längst bekannt. Beim Spaziergang durch die Stadt wird sie von Teenagern, aber auch Erwachsenen erkannt. Sie sind überrascht, Jana Crämer, die sie doch nur aus dem Netz kennen, in Haltern anzutreffen. Seit dem 1. Dezember wohnt Jana zusammen mit ihrer Mutter mitten in Haltern. „Haltern ist eine tolle Stadt“, sagt sie.
„Meine Familie lebt hier“, erklärt sie. Das wohl bekannteste Mitglied dürfte dabei Bärbel Wahl sein: Die Sängerin der Halterner Musikband „Straight On“ ist Janas Tante. „Wir waren schon früher immer unterwegs in Haltern, bei Familienfeiern und wo man sich hier sonst noch so herumtreibt, zum Beispiel im Ketteler Hof“, erinnert sich Jana. „Ich fühle mich hier total zu Hause.“ Haltern sei eine entschleunigte Stadt, ganz im Gegensatz zum trubeligen Berlin. Jana Crämer freut sich auf die Menschen hier.
Konzert-Lesungen in Schulen in ganz Deutschland
Wenn sie denn mal zu Hause ist. Normalerweise tourt Jana sehr oft durch ganz Deutschland - zurzeit wegen Corona nur eingeschränkt. Meistens geht es dabei um Konzert-Lesungen. Unter dem Titel „BKK-Bauchgefühl“ schicken die Betriebskrankenkassen sie und ihren besten Freund Batomae, der mit seiner Band die Musik macht, in Schulen. „Wir schenken den Jugendlichen dort eine Auszeit“, sagt Jana. Dann liest sie aus ihrem Buch „Das Mädchen aus der ersten Reihe“ vor. Es handelt von ihrer schwierigen Kindheit und Jugend. Von ihrem Vater, der Alkoholiker war. „Nüchtern war er der beste Papa der Welt und hat alles für mich getan“, sagt sie. „Wenn er getrunken hatte, sind zu Hause immer die Fetzen geflogen.“ Es sei ein Leben „zwischen himmelhochjauchzend und zu Tode betrübt“ gewesen, erinnert sich Jana. „Es gab so viele Situationen in meinen Leben, in denen ich nicht mehr leben wollte.“ Ihr Leben habe sie damals total überfordert.

Tiktokerin Jana Crämer ist umgezogen. Im Gespräch mit der Halterner Zeitung schwärmt sie über ihren neuen Wohnort Haltern. © Ingrid Wielens
Essen spielte im Leben der Frau immer eine zentrale Rolle. Die Leere und Verzweiflung über die familiäre und später auch schulische Situation - Jana war „als dickes Mädchen“ nicht sehr beliebt - versuchte sie, mit Essen zu füllen. An den Wochenenden besuchte sie regelmäßig Konzerte - dort war sie „das Mädchen aus der ersten Reihe“.
„Und so wird man dann immer dicker und dicker“
Im Laufe der Zeit entwickelte sich eine schwere Essstörung. „Ich hatte unkontrollierte Fressanfälle. In unbeobachteten Momenten habe ich bis zu 15.000 Kalorien hintereinander weggegessen. Ich litt unter der Binge-Eating-Essstörung“, führt Jana aus. Anders als bei Bulimie übergibt sich der von dieser Erkrankung Betroffene nicht. Man sei wie fremdgesteuert. Jedes Mal habe sie sich bei einer Attacke vorgenommen: „Das ist jetzt das allerletzte Mal“. Der Plan sei lange nicht aufgegangen. „Und so wird man dann immer immer dicker.“

Oft gut gelaunt und spritzig: Jana Crämer liebt die Spontaneität. © Ingrid Wielens
In Spitzenzeiten wiegt Jana 180 Kilo. Zu dem Zeitpunkt gibt sie der Binge-Eating-Essstörung ein Gesicht. Ihr erstes Buch erscheint. Die Menschen werden auf sie aufmerksam. Jana will den Menschen auch zeigen, wie entstellt ein geschundener Körper „nach dem Quälen mit Hunger und Fressen“ ist. Sie veröffentlicht Nacktfotos von sich.
Plötzlich ist die junge Frau häufig im Fernsehen zu sehen. Jana ist glücklich, anderen helfen zu können, indem sie die Probleme benennt und Mut zuspricht. Und irgendwie dient die Tatsache, dass sie nun in der Öffentlichkeit steht, auch der eigenen Therapie. „Ich mag jetzt jedes Kilo an mir, Gewicht hat nichts mit Glücklichsein zu tun.“
„Es ist ein Versuch, in dieser Welt zu überleben“
Viele Menschen wüssten nicht, dass es sich bei Binge Eating um eine Krankheit handelt. Menschen, die davon betroffen seien, meinten oft, unkontrolliert und undiszipliniert zu sein, unfähig, eine Diät durchhalten. „Dabei ist es eine Erkrankung. Diese Menschen benötigen Mitgefühl und Hilfe. Sie haben ein Problem.“ Auch Jana hat bei einem Psychotherapeuten Hilfe bekommen.
Sechs Bücher sind bislang geplant
Inzwischen hat Jana rund 100 Kilo abgenommen. Für die nächsten Jahre gebe es schon unzählige Anfragen von Schulen, freut sie sich. „Wir machen viele Video-Konzertlesungen.“ Zwei weitere Bücher sind auch längst erschienen. Unter den Titeln „Unvergleichlich Du! Wie du deine beste Freundin wirst“ und „Unvergleichlich Du! Wie du deine beste Freundin bleibst“ erklärt Jana, wie man glücklich werden und bleiben kann.
Ihr viertes Buch wird bald erscheinen - den Titel darf Jana noch nicht bekannt geben. „Aber es geht wieder um mich und um das Glück“, sagt die Autorin, die bereits an ihrem fünften Werk schreibt, lächelnd. Sogar für das sechste Buch gibt es schon einen Auftrag.
Essstörung als Kompass für die aktuelle Situation
Unter ihrer Essstörung leidet Jana aktuell nicht mehr. Als geheilt würde sie sich aber nicht bezeichnen wollen. „Wenn ich eine sehr stressige Zeit habe, stehe ich vor dem Kühlschrank und fange an auszurechnen, was wie viel Kalorien hat. Aber ich lerne, damit umzugehen“ , beschreibt sie die Situation. Die Essstörung sei ein wenig wie ein Kompass: „Sie meldet sich immer, wenn ich irgendwas an meinem Leben ändern muss, wenn es beispielsweise sehr chaotisch und turbulent zugeht.“
Wenn Jana Crämer auf ihr aktuelles Leben schaut, sagt sie. „Ich hole das Glück nach.“ Und sie achtet darauf, „dass es mir gut geht.“ Dazu gehöre auch achtsames und genussvolles Essen. Früher hat Jana „diese widerliche Masse Mensch“ gehasst. „Heute gehe ich liebevoll mit mir um.“
Geboren in Dülmen, Journalistin, seit 1992 im Medienhaus Lensing - von Münster (Münstersche Zeitung) über Dortmund (Mantelredaktion Ruhr Nachrichten) nach Haltern am See. Diplom-Pädagogin und überzeugte Münsterländerin. Begeistert sich für die Menschen und das Geschehen vor Ort.
