
Thore (14, vorn) lebt in der Wohngruppe der Diakonie und fühlt sich dort sehr wohl. Im Hintergrund Klaus Tykwers Sohn Felix und Mitarbeiterin Nina Elting. © Jürgen Wolter
Thore (14) lebt in einer Wohngruppe: „Fast wie in einer richtigen Familie“
Alternative zum Heim
Es ist eine Alternative zum Heim: In Wohngruppen leben oft Kinder und Jugendliche mit traumatischen Erfahrungen. Zwei berichten aus ihrem Leben in einer Gruppe der Diakonie in Halterrn.
Als Thore (heute 14) aus Recklinghausen vor zwei Jahren zum ersten Mal die Wohngruppe der Diakonie in Haltern Mitte besuchte, war er zunächst skeptisch. „Ich wusste nicht, ob das etwas für mich ist“, sagt er. Aber schon als Wohngruppenleiter Klaus Tykwer ihn abends zurückbrachte, hatte er seine Meinung geändert: „Da hab ich gedacht, dass ich mir vorstellen könnte, hier zu wohnen.“
Seit 15 Jahren leitet Sozialpädagoge und Psychologe Klaus Tykwer die Einrichtung des Diakonischen Werkes in Haltern Mitte. Zuvor hatte er im Kinderheim in der Kinderbetreuung gearbeitet.
„Ich arbeite sozusagen heute ständig im Home-Office“, sagt er. Die Gruppe ist in seinem Privathaus untergebracht. Es hat rund 300 Quadratmeter Wohnfläche und einen Garten von rund 2000 Quadratmetern. „Genug Platz, um gemeinsam Aktivitäten zu entwickeln, aber auch, um sich mal aus dem Weg zu gehen und sich zurückziehen zu können.“
Vier Kinder und Jugendliche leben in der Gruppe
Vier betreute Kinder und Jugendliche leben heute bei den Tykwers, außerdem Klaus Tykwers Ehefrau und seine beiden Söhne. Zwei weitere Mitarbeiterinnen gehören zum Team, eine von ihnen ist Nina Elting, die nach ihrer Elternzeit neu in der Gruppe tätig geworden ist. Sie schätzt die neue Atmosphäre der Zusammenarbeit. „Es ist anders als bei einer Heimunterbringung, weil man mehr gemeinsam entwickeln kann“, sagt sie.
„Hier gehen außerdem Psychologen, Therapeuten und viele andere ein und aus“, ergänzt Klaus Tykwer. In Wohngruppen leben zum Teil Kinder mit Gewalterfahrungen oder auch Erfahrungen mit sexuellem Missbrauchs. „Da ist oft eine therapeutische Betreuung notwendig“, so Tykwer.
Die Wohngruppen (in Haltern gibt es zurzeit sieben, zwei davon in Trägerschaft der Diakonie), bilden eine Alternative zur Heimunterbringung. Thore hat inzwischen die Vorteile kennengelernt: „Im Gegensatz zum Heim lebt man hier fast wie in einer richtigen Familie“, sagt er.
Sicherheit und Kontinuität
„Das Ziel der Gruppen ist, den Kindern und Jugendlichen Sicherheit und Kontinuität zu bieten“, sagt Klaus Tykwer. „Sie stammen oft aus Familienverhältnissen, in denen es Scheidungen und wechselnde Partnerschaften gibt, immer wieder andere Personen tauchen auf und verschwinden wieder. Wir sind kontinuierlich als Ansprechpartner da, jetzt und auch später noch, wenn die Kinder nicht mehr bei uns wohnen.“

Gemeinsam entspannen können Mitarbeiter und Wohngruppenkinder im 2000 Quadratmeter großen Garten, v.l.: Klaus Tykwer, Ioannis, Felix Tykwer, Nina Elting und Thore. © Jürgen Wolter
Die Bewohner der Gruppe sind zurzeit zwischen 6 und 19 Jahren alt. Das ist das Höchstalter für einen Aufenthalt. Ioannis ist 11 und ebenfalls vor zwei Jahren gekommen. Ursprünglich stammt seine Familie aus Griechenland.
„Als ich mir das Haus angesehen habe, war mein Zimmer noch nicht ganz fertig, es musste noch neu gestrichen werden“, erzählt er. „Ich fand es toll, dass ich dabei schon mithelfen konnte.“ Heute ist er längst in der Wohngruppe angekommen.
Für Klaus Tykwers Sohn Felix sind die Mitbewohner heute selbstverständlich. Thore geht in Recklinghausen aufs Gymnasium, Ioannis besucht die Realschule in Haltern. „Wir arbeiten mit allen Schulen sehr gut zusammen“, so Klaus Tykwer. „Bildung ist ein wichtiger Aspekt, wir unterstützen da, wo es notwendig ist.“
Gemeinsam nach Venedig
Ein anderer Aspekt ist die Freizeitgestaltung. Im Juli stand eine zweieinhalbwöchige Fahrt auf einen Campinglatz bei Venedig an. „Vieles, was wir machen, besprechen wir gemeinsam“, sagt Thore. Jedem ist es aber grundsätzlich freigestellt, an Freizeitaktionen teilzunehmen oder nicht. Nur die Ausflugsfahrten sind verbindlich.
Der Ketteler Hof, die Schwimmbäder, Segeln auf dem Stausee - Haltern bietet zahlreiche Möglichkeiten, die die Wohngruppen-Kinder nutzen. „Wir wollen auch Erlebnisse vermitteln, zeigen, wie man sein Leben selbst gestalten kann“, so Klaus Tykwer. Dafür verzichtet er gern auf einen Teil seiner Privatsphäre.
Studium der Germanistik, Publizistik und Philosophie an der Ruhr Universität Bochum. Freie Autorentätigkeit für Buchverlage. Freier Journalist im nördlichen Ruhrgebiet für mehrere Zeitungshäuser. „Menschen und ihre Geschichten faszinieren mich nach wie vor. Sie aufzuschreiben und öffentlich zugänglich zu machen, ist und bleibt meine Leidenschaft.“
