Sieglinde Niehues vor dem Haus ihrer Großeltern.

© Silvia Wiethoff

Sieglinde Niehues (83) zu Bombennächten im Krieg - „Kein Kind sollte das erleben“

rnKriegserinnerungen

Sieglinde Niehues hat die Bombardierungen in Haltern während des Zweiten Weltkriegs erlebt. Die Bilder vom Krieg in der Ukraine berühren sie emotional besonders tief.

Haltern

, 25.04.2022, 05:00 Uhr / Lesedauer: 2 min

Wie auf viele von uns wirken die Fernsehbilder über den Krieg in der Ukraine auch auf Sieglinde Niehues verstörend. Die 83-Jährige ist emotional von den Nachrichten besonders betroffen, denn sie hat während des Zweiten Weltkriegs als Kind selbst die Bombardierungen in Haltern durchgestanden und sagt: „Die Berichterstattung über Krieg ist das eine, aber es ist ganz anders, wenn man ihn selbst erleben muss.“

Zwar war Sieglinde Niehues gegen Ende des Weltkrieges, als die Stadt Haltern besonders ins Fadenkreuz von alliierten Bombern geriet, erst sechs Jahre alt. Dennoch hat sie konkrete Erinnerungen an diese Zeit. Einen großen Teil der Kriegsjahre verbrachte sie mit ihrer Mutter im Haus der Großeltern Brumann an der Dr.-Conrads-Straße in Haltern. Das lag daran, dass ihr Vater 1941 in Kriegsgefangenschaft geraten war und erst 1945 aus Norwegen zurückkehrte.

Die Halterner suchten in Bunkern Schutz

Bei Fliegeralarm suchten die Anwohner im Erdbunker in der Nähe der Holtwicker Straße Schutz. Damals gab es noch nicht wie heute auf beiden Seiten der Dr.-Conrads-Straße eine Häuserreihe. Auf der Seite der heutigen Arztpraxis Feldmann befanden sich Gärten. „Wir mussten jede Nacht raus. Ich trug einen kleinen Rucksack, in dem sich die wichtigsten Sachen befanden“, beschreibt Sieglinde Niehues ihren Kriegsalltag.

Blick auf die Dr.-Conrads-Straße. Vorn ist das Haus Brumann der Großeltern von Sieglinde Niehues zu sehen. Im Hintergrund steht die heutige Musikschule.

Blick auf die Dr.-Conrads-Straße. Vorn ist das Haus Brumann der Großeltern von Sieglinde Niehues zu sehen. Im Hintergrund steht die heutige Musikschule. © privat/Repro Jürgen Wolter

In der Nachbarschaft wurden unter anderem Halterns Rektoratsschule und das Römermuseum in Schutt und Asche gelegt. Noch ganz genau hat die Halternerin eine Nacht im Bunker vor Augen. Ein Mann habe die Entwarnung nicht abwarten wollen, sei die Treppe hinauf und habe die Eingangsklappe geöffnet. „In dem Moment hörten wir einen riesigen Knall“, berichtet Sieglinde Niehues.

Beim Verlassen des Bunkers habe sie ihre Mutter unter den Arm genommen und eindringlich gesagt: „Schau nicht nach links.“ „Aber was macht man als Kind in so einem Fall?“, fragt Sieglinde Niehues. Natürlich habe sie wissen wollen, was passiert war. Sie erinnert sich an viel Blut, an einzelne Körperteile, an Gedärme und Knochen. Damals sei ihr aufgrund ihres Alters noch nicht der Zusammenhang bewusst gewesen, dass diese Überreste gerade noch ein Mensch gewesen waren.

„Ich höre noch das Geräusch der Bomber“

„Ich hörte von den Erwachsenen immer wieder den Namen Sauers Karl“, schildert die Rentnerin ihre Erinnerungen. Der Verstorbene wohnte damals an der Ecke Schmeddingstraße/Holtwicker Straße gegenüber der heutigen Fahrschule Brüggemann. Bis heute schalte ihr Gehirn um, wenn es Flugzeuge höre, vor allem im Verbund. „Ich höre noch das Geräusch der herannahenden Bomber und besonders das Sirren der herabfallenden Bomben“, erklärt Sieglinde Niehues.

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Ihr kommen die Tränen, als sie beschreibt, wie ihre Großmutter nach einem Fliegeralarm die Hände gefaltet und Gott dafür gedankt hat, dass das eigene Haus noch steht. Ihr Großvater sei in der Nachtschicht bei der Eisenbahn eingesetzt gewesen, obwohl er bereits pensioniert war. Kummer und Sorgen hätten die Großmutter stets begleitet.

Im Vergleich zu den Kriegen früherer Zeiten habe man heute den Vorteil von Internet und sozialen Medien, urteilt Sieglinde Niehues. Die Wahrheit komme so ans Licht der Öffentlichkeit. Sie versteht nicht, warum der russische Staatspräsident Putin mit seinen Machtgelüsten nicht gestoppt werden kann.

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Heute lebt Sieglinde Niehues im Wohnkomplex an der Lavesumer Straße und schaut auf die Spielplätze ihrer Kindheit. Den Winter verbringt sie in Spanien, wegen der Corona-Pandemie hing sie dort in Lloret de Mar sogar über ein Jahr fest. „Ich bin eine spanische Bürgerin mit deutschem Pass“, sagt die 83-jährige Halternerin, für die der Krieg mit den Bildern in den Medien wieder traurig lebendig wird.