An Ostern 1945 rückt die US-Armee in Haltern ein. Der Krieg ist für die Stadt und ihre Bewohner zu Ende. Viele Familien haben Verluste erlitten. Wir erinnern an eine tragische Geschichte.
Ein junger Mann blickt mit ernstem Gesichtsausdruck in die Kamera. Karlheinz van Buer hat seine Prüfung als Malergeselle bestanden und ist in die Kolpingfamilie Haltern aufgenommen worden. Das Leben liegt vor dem 20-Jährigen. Sein beruflicher Werdegang ist schon entschieden. Er soll einmal das Malergeschäft seines Vaters Wilhelm in Haltern übernehmen.
Doch dazu wird es nicht kommen, denn das Porträt von Karlheinz van Buer wird in einen „Wehrpaß“ getackert. Als ihn am 21. Juni 1941, zehn Tage nach seinem Geburtstag, ein Truppenarzt untersucht und „Kriegsbrauchbarkeit“ feststellt, ist das sein Todesurteil. Von Haltern aus geht es nach Russland, wo die deutsche Wehrmacht auf ihrem Weg nach Moskau feststeckt.
Vormarsch und Verteidigungskämpfe
Im Kapitel „Aktiver Wehrdienst“, das im „Wehrpaß“ über die „mitgemachten Gefechte, Schlachten und Unternehmungen“ der Soldaten informiert, sind handschriftlich nur drei Vermerke aufgeführt: 26.6. bis 31.7.1941 Vormarsch in Russland / 1.8. bis 1.10.1941 Verteidigungskämpfe östlich Smolensk / 2.10.1941 Angriff der Heeresgruppe Mitte.
Karl-Heinz van Buer wird an diesem 2. Oktober durch Granatsplitter verletzt. Er stirbt am 16. Oktober 1941 im Kriegslazarett an einer Blutvergiftung. Vier Tage zuvor hat er noch einen Feldpostbrief an seine Eltern und Geschwister daheim in Haltern geschrieben: „Mir geht es verhältnismäßig gut. Über Schmerzen brauche ich nicht zu klagen. Nur ich muss dauernd im Bett bleiben. Vielleicht bin ich aber schon eher in der Heimat als euch dieser Brief erreicht, denn mit dem nächsten Lazarettzug geht es ab.“

Dieses Porträt verwendete Karlheinz van Buer für seinen Gesellenbrief und seinen Wehrpass. © Silvia Wiethoff
Letzte Ruhe im Soladatengrab nordöstlich von Smolensk
Diese letzten Zeilen hat der Halterner Thomas Lohle, ein Neffe des Verstorbenen, zusammen mit weiteren Briefen, Dokumenten und Fotos bei einem Umzug gefunden. Der Malermeister führt heute den Betrieb van Buer unter dem Namen Lohle. Sein Vater Alfons Lohle aus Emsbüren lernte nach dem Krieg die Schwester von Karlheinz, Angela van Buer, kennen, als ihn seine Wanderschaft nach Haltern führte. „Meine Mutter hat oft über die schrecklichen Erlebnisse im Krieg erzählt“, sagt Thomas Lohle.

Kaplan Moritz Hörberg, der Karlheinz van Buer beerdigte, schickte der Familie ein Bild von der Grabstelle bei Smolensk.
1941 findet Karlheinz seine letzte Ruhe in einem Soldatengrab nordöstlich von Smolensk, „in den Anlagen des Lazaretts Nißkaricha, 7 km nordöstlich von Smolensk im Beisein des Chefarztes, einer Ehrenkompanie und des Pflegepersonals unter allen militärischen Ehren“, schreibt Oberstabsarzt Geis an die Familie in Haltern. Er berichtet auch vom „Einsatz in dem Existenzkampf unseres Volkes“.
Sinnloses Sterben zum Heldentod stilisiert
So stilisiert die NS-Diktatur das sinnlose Sterben der jungen Soldaten zum Heldentod. Als Trost für Familie van Buer wird noch hinzugefügt: „Ihr Sohn hat mit vorbildlicher Tapferkeit seine schwere Verwundung getragen. Sein Tod war sanft und schmerzlos.“
Auch von einem Geistlichen, der im Kriegslazarett als Gefreiter Schreibdienste versieht, erhalten die Eltern van Buer einige Nachrichten. Kaplan Moritz Hörberg berichtet, wie er Karlheinz „mit eigener Hand in den Sarg gebettet, seinen Sarg mit Tannengrün ausgeschlagen und den lieben Toten anderen Tages, am 18.10. (...) unter einer Lärche katholisch, kirchlich beerdigt“ hat.

Geschichtsstudent Julius Brink leistete „Übersetzungshilfe“. Viele Briefe aus dem Nachlass von Karlheinz van Buer sind in der alten deutschen Schrift Kurrent verfasst. © Silvia Wiethoff
Moritz Hörberg schickt ein Bild von der Grabstelle, die hinter Smolensk an einer Straße in Richtung Moskau liegt - rund 2000 Kilometer von Haltern entfernt. Den Eltern wird der Nachlass ihres Sohnes zurückgeschickt, darunter ein Taschen- und ein Tafelmesser, ein Kopierstift und ein Medaillon mit einem Wallfahrtsbild aus Kevelaer.
Im März 1945 trifft die Familie van Buer ein weiterer schwerer Schicksalstag. In der Nacht zum 22. März findet einer der letzten Bombenangriffe auf Haltern statt, der viele Todesopfer fordert und ganze Straßen in der Stadt zerstört. Die Eltern van Buer flüchten sich mit ihren Kindern Angela, Martha, Norbert und Anneliese in den Sundern.
Alliierter Flieger wird zum Verhängnis
Den weiteren Verlauf schildert Thomas Lohle nach Erzählungen seiner Mutter Angela: Nach dem Angriff kehren Martha und Norbert aus nicht mehr zu klärenden Gründen vor den anderen ins Haus am Hindenburgwall (heute fließt am Standort der Verkehr auf der B58) zurück. Hier wird ihnen ein einzelner alliierter Flieger zum Verhängnis, der vielleicht auf dem Rückflug ist und noch eine Bombe an Bord hat. Das Flugzeug lässt seine Last über der Stadt ab, das Haus van Buer erhält einen Volltreffer. Für Martha und Norbert gibt es keine Rettung.

Das Foto zeigt v.l.: Karlheinz, Martha, Anneliese, Norbert und Angela van Buer, spätere Lohle, sowie einen Nachbarsjungen beim Baden am Stausee. Im Hintergrund ist der Overrather Hof zu sehen. © privat
Erfolgreich hatten die Eltern van Buer zum Ende des Krieges die Einberufung ihres jüngsten Sohnes Norbert verhindert. Nun aber war der Krieg mit seiner tödlichen Gewalt nach Haltern gekommen.
„Nur die Malerwerkstatt ist damals stehen geblieben“, berichtet Thomas Lohle. Hier richtet sich die Restfamilie, unterstützt von Nachbarn, ein und wagt nach dem Krieg den Neuanfang. Angela van Buer, die eine kaufmännische Lehre absolviert hatte, muss dem Vater im eigenen Betrieb helfen, den Handkarren mit zu Kunden schieben, Tapeten zuschneiden und einkleistern. Ihre eigenen Pläne sind durchkreuzt.
Zum Glück kommt mit Alfons Lohle ein Geselle auf Wanderschaft vorbei. Der Emsbürener hat den Krieg als Soldat in Afrika überlebt. Sein Schicksal ist es, eine Familie in Haltern zu gründen und einen Malerbetrieb zu übernehmen. Die Familiengeschichte lässt seinen Sohn Thomas Lohle heute sagen: „Wir müssen alles tun, um Krieg und solche Tragödien zu verhindern.“
Jeder Mensch hat eine Geschichte zu erzählen und hinter jeder Zahl steckt eine ganze Welt. Das macht den Journalismus für mich so spannend. Mein Alltag im Lokalen ist voller Begegnungen und manchmal Überraschungen. Gibt es etwas Schöneres?
