Gutachten zur Wohnsituation in Haltern Familien können sich das Preisniveau nicht leisten

Handlungskonzept Wohnen: Familien können sich die Preise nicht leisten
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Regina Höbel arbeitet für das InWis Institut Forschung & Beratung aus Bochum, einem Mittler zwischen Wissenschaft und Praxis. Die InWIS-Gruppe beschäftigt rund 25 wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, darunter Ökonomen, Stadt- und Raumplanerinnen, Sozialwissenschaftler, Architekten und Soziologen.

Dieses Institut erarbeitet im Auftrag der Stadt Haltern am See ein Handlungskonzept Wohnen. Die ersten Ergebnisse sprechen eine deutliche Sprache: „Der Wohnungsmarkt in der Seestadt ist zu einem Nadelöhr geworden.“

Regina Höbel (Dipl.-Ing. Raumplanerin, Bereichsleiterin) stellte im Stadtentwicklungsausschuss erste Zwischenergebnisse vor. Für eine Analyse des Immobilienmarktes in Haltern durchforsteten sie und ihr Team beispielsweise 7.300 Wohnungsanzeigen, lasen Marktberichte und Studien, sprachen mit Maklern sowie ausgewählten Halterner Betrieben und führten eine Online-Befragung durch. Festgestellt haben sie Stärken und Schwächen - und sie entdeckten Arbeit für die lokale Politik.

Jeder Dritte im Seniorenalter

Grundsätzlich wächst Haltern seit zwei Jahrzehnten überdurchschnittlich. Und das, obwohl der Kreis seit der Jahrtausendwende schrumpft. In Haltern am See ist die Einwohnerzahl zwischen 2013 und 2023 um rund 1.300 Personen (drei Prozent) gestiegen. Das hat eine kontinuierliche Suche nach Wohnungen, Häusern und Grundstücken zur Folge. „Doch Haltern hat eine überalterte Bevölkerungsstruktur. 50,4 Prozent der Halterner sind über 50 Jahre alt“, so Regina Höbel. 2040 werde sogar jeder dritte Bürger im Seniorenalter sein.

Negativ aufgefallen ist außerdem, dass die Zahl der Baugenehmigungen zurückgeht und entsprechend weniger gebaut wird. Abgesehen von einer überdurchschnittlich hohen Anzahl an Mehrfamilienhäusern. Als Bespiel nannte Regina Höbel die Katharinenhöfe in Hamm-Bossendorf mit 100 Mietwohnungen.

Ein Gebäudekomplex der Katharinenhöfe im Rohbau.
Im Quartier Katharinenhöfe in Hamm-Bossendorf entstehen neben Gewerberäumen rund 100 Mietwohnungen. Die Nachfrage ist groß. © Elisabeth Schrief

Zu hohe Baulandpreise

Haltern ist und bleibt attraktiv wegen des hohen Erholungs- und Freizeitwertes, guter Anbindung und einer attraktiven Innenstadt. Finanziell gut gestellte Best-Ager und Senioren schätzen diesen attraktiven Wohnort, für Familien entpuppt sich der Wohnungsmarkt wegen des hohen Preisniveaus als Nadelöhr. Sie können ihn sich schlichtweg nicht leisten. Seit 2018 steigen die Mietpreise jährlich um fünf Prozent, die Angebotspreise für Eigenheime sogar um elf Prozent.

„Die große Herausforderung ist, dass das Angebot an Wohnungen viel zu gering ist“, sagt Regina Höbel. Eine Bremse seien außerdem die sehr hohen Baulandpreise für Eigenheime - im Schnitt 480 Euro pro Quadratmeter. Der Bodenrichtwert liegt auf dem Niveau der Großstädte des Ruhrgebietes.

„Haltern gehört bundesweit zu den Kommunen mit erhöhtem Wohnbedarf“, verdeutlicht Regina Höbel. Einen Engpass gibt es laut ihren Untersuchungen in allen Wohnungsgrößen, Wohnlagen sowie in der unteren bis mittleren Preisklasse. „Hochpreisige Angebote sind auf dem Markt, aber nicht auf dem Mietwohnungsmarkt“, stellt das Bochumer Institut fest.

„Politik muss gegensteuern“

Es fehlen insgesamt bezahlbare Single-Wohnungen für Einkommensschwache, große Wohnungen für Familien sowie öffentlich geförderte Wohnungen in allen Größen. Dem unteren Mittelstand bleibe oft keine andere Möglichkeit, als in die günstigeren Umlandgemeinden zu ziehen. „Familien können sich das hohe Preisniveau einfach nicht leisten.“ Aus Bürgersicht fehlen aber auch bezahlbare Bauplätze oder gebrauchte Wohnhäuser (sie sind zudem meistens in einem schlechten energetischen Zustand). Welche Aufgaben leiten sich für die Politik ab?

Ein Haus im Rohbau
Auf dem Grundstück der früheren Kegelgaststätte "Reismanns gute Stube" entsteht ein Mehrfamilienhaus. Haltern braucht Wohnungen, es besteht laut Gutachten ein hoher Nachholbedarf auf dem Wohnungsmarkt. © Elisabeth Schrief

Für Regina Höbel ist klar, dass Angebote für den Generationenwechsel geschaffen werden müssen. Außerdem müssten bezahlbare Wohnungen gebaut und jüngere Haushalte gewonnen und gehalten werden. „Es besteht derzeit ein hoher Nachholbedarf auf dem Halterner Wohnungsmarkt!“

Das Institut schlägt kleinere Ein- und Zweifamilienhäuser, kleinere Eigentumswohnungen, Mehrgenerationenhäuser, kompaktere Gebäude und Bestandssanierung vor. „Der Wohnungsbau muss weiter betrieben werden, dazu muss die Politik beispielsweise durch kommunale Steuerung ein Signal geben.“

„Selten so deutliche Sprache“

Vor allem SPD und Grüne fühlten sich im Stadtentwicklungsausschuss bestärkt in ihrer Meinung. Beate Pliete (SPD): „Seit einem halben Jahrzehnt fordern wir, mit Flächen sensibel umzugehen und mehr bezahlbare Wohnungen in Haltern zu schaffen.“ Die Wohnungsbaupolitik müsse angesichts der Erkenntnisse neu aufgerollt werden. Martin Stork (Die Grünen) sprach von einer „bemerkenswerten Analyse“. Eine so deutliche Sprache wie in dem Bochumer Konzept habe er bis heute selten im Rathaus vernommen.

Hendrik Griesbach (CDU) glaubt, dass es im attraktiven Haltern immer einen angespannten Wohnungsmarkt geben werde. Bezüglich einer massiven Bauweise müsse Politik Fingerspitzengefühl walten lassen, um den Charakter der Stadt nicht zu zerstören.

Bürgermeister Andreas Stegemann bat erst einmal um Gelassenheit: „Wir stehen mit dem Handlungskonzept am Anfang, die Untersuchungen sind erste Schritte.“