Eine der wichtigsten sozialen Fragen unserer Zeit ist die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum. Anders als die Bundesregierung sieht Dr. Daniel Fuhrhop die Lösung nicht in der Förderung von Neubau-Projekten. Am 20. Februar
referiert der Wirtschaftswissenschaftler zu diesem Thema in Haltern. Ingrid Wielens hat vorab mit ihm gesprochen.
Die Bundesregierung will den Bau von jährlich 400.000 neuen Wohnungen fördern. Was haben Sie gegen das Bauen?
Die Bundesregierung müsste eigentlich selbst sehen, dass es mit dem Neubau nicht funktioniert, ausreichenden Wohnraum zu schaffen. Und wenn etwas gebaut wird, ist es in der Regel nicht bezahlbar. Man muss sich überlegen, wie man anders und günstiger Wohnraum schaffen kann. Die Art und Weise, wie wir wohnen, muss und wird sich verändern.
Sie wollen dem unsichtbaren Wohnraum auf die Spur kommen. Was verstehen Sie darunter?
Fast jeder kennt das von älteren Verwandten oder Nachbarn. Da bleiben nach dem Auszug der Kinder einzelne Zimmer, manchmal eine ganze Etage oder eine Einliegerwohnung leer. Und in dem Fall, wenn die Menschen selber sagen, dass sie diese Fläche nicht brauchen oder sogar als Belastung empfinden, weil man das alles noch putzen und bezahlen muss, spreche ich von unsichtbarem Wohnraum.
Diesen Personen, die ungenutzte Räume wieder beleben oder in irgendeiner Form sinnvoll verändern wollen, sollte man helfen.
Wie kann diese Hilfe aussehen?
Es gibt sehr erfolgreiche Programme in einigen Kommunen. Zum Beispiel das Programm „Wohnen für Hilfe“, international heißt es „homeshare“. Es geht um das Zusammenwohnen von Alt und Jung. Da gibt es junge Leute, die gerne bei Älteren leben, ohne eine normal hohe Miete zu zahlen. Man einigt sich darauf, eine gewisse Zeit miteinander zu verbringen. Oder die jungen Leute helfen beim Einkaufen oder im Garten. Dafür gibt es auch in Deutschland spezielle Vermittlungsstellen.
Solche Wohnmodelle eignen sich aber nicht für jedermann.
Man muss verschiedene Lösungen je nach persönlichen Vorlieben anbieten. Das Zusammenwohnen von Alt und Jung ist für manche Menschen ganz hervorragend. Andere Personen sind vielleicht daran interessiert, ein Haus komplett zu teilen, ohne jegliche persönliche Nähe. Einfach nur vermieten. Und wieder andere würden vielleicht in einem gewissen Alter noch an einem Umzug interessiert sein. Idealerweise hätte die Kommune für jeden Wohnwunsch eine Lösung.
Eine Vermietung setzt aber doch bauliche Veränderungen an dem Gebäude voraus...
In manchen Fällen ist das gar nicht erforderlich. Es gibt durchaus auch Menschen, die bereits eine Einliegerwohnung haben. Selbstverständlich gibt es auch andere Fälle, wo ein zweites Bad oder ein zusätzlicher Zugang eingebaut gebaut werden müsste. Hier wäre es schön, wenn es zusätzliche Förderung gäbe durch Kommune, Land oder Bund. Das würde vieles erleichtern.
Viele ältere Menschen scheuen die Vermietung ihres Wohnraums an Fremde. Stichwort: Mietnomaden. Wie kann man ihnen die Sorge nehmen?
Einige dutzend Kommunen in Deutschland bieten ein Rundum-sorglos-Paket an. Zum Beispiel Karlsruhe: Die Stadt garantiert den Vermietern die Miete. Sollte der Vermieter tatsächlich nicht pünktlich bezahlen, übernimmt die Stadt zunächst die Kosten und holt sich dann das Geld beim Mieter zurück. Außerdem begleitet eine Person das gesamte Mietverhältnis.
Zusätzlich gibt es einen Zuschuss zur Renovierung, falls die Wohnung in Schuss gesetzt werden muss oder Schäden von Vormietern vorliegen. Mit diesem Paket werden in Karlsruhe jedes Jahr etwa 60 leerstehende Wohnungen wieder vermietet, weil die Vermieter sich trauen.
Die Kommune soll als Vermittlungsstelle fungieren, das kostet Geld.
Was wir bisher machen, ist viel teurer. Neubaugebiete zu planen und zu erschließen, belastet die Kassen sehr. Am Ende müssen die Käufer oder Mieter dies auch zahlen. Die Mobilisierung des unsichtbaren Wohnraums ist tendenziell günstiger, denn im Vergleich zu horrenden Baukosten sind ein oder auch mehrere Beratungs- oder Vermittlungsstellen extrem günstig.
Wo liegen dann die Hemmnisse?
Das Schwierige für eine Stadtverwaltung besteht darin, dass man die Bereiche Soziales, Bauen, Stadtentwicklung und sogar Klimaschutz zusammen denken muss. Denn die Programme, die ich hier schildere, um die versteckten Wohnraumreserven zu mobilisieren, sind ja soziale Programme, bei denen man den Menschen bei Problemen hilft. Diese sozialen Programme muss man jetzt professionell aufbauen - mit genauso viel Zeit und Geld, wie man das sonst im Bereich des Bauens und der Stadtplanung gewohnt ist. Wenn man einmal verstanden hat, dass Wohnen all diese Bereiche betrifft, dann ist es eine Verschiebung von Geld und erfordert eher weniger Geld als vorher.
Inwieweit profitiert die Kommune zusätzlich?
Die Kommune bekommt Sozialwohnungen. Denn als Gegenleistung für dieses Kümmern geben die Vermieter auf zehn Jahre eine Sozialbindung heraus, sodass Personen mit besonders dringendem Bedarf dort einziehen können.
Nun hat Karlsruhe mehr als 300.000 Einwohner, Haltern dagegen nur knapp 40.000. Inwieweit ist Ihr Modell übertragbar?
Das Modell eignet sich auch für Klein- und Mittelstädte. Das Land Baden-Württemberg hatte jahrelang ein Programm namens „Raumteiler Baden-Württemberg“, das solche Kümmerer-Stellen finanziert hat. Inzwischen gibt es dort etwa 30 Kommunen mit solchen Stellen, auch kleinere als Haltern. Letzten Endes geht es darum, festzustellen, wo Personen sind, die sich alleine nicht so ganz trauen, etwas zu vermieten.

Wie viel Wohnraum könnte mit Ihrem Modell gewonnen werden?
In Deutschland könnten wir etwa 100.000 Wohnungen pro Jahr aus dem unsichtbaren Wohnraum schaffen.
Von welchem theoretischen Potenzial an verstecktem Wohnraum gehen Sie in Haltern aus?
Der Zensus verrät hier, dass es in Haltern gut 2000 Personen gibt, die allein auf 80 Quadratmetern und mehr leben. Dazu kommen knapp 3000 Zwei-Personen-Haushalte, die auf mehr als 100 Quadratmetern leben. Wir haben also in Haltern rund 5000 Haushalte, die so groß sind, dass rein theoretisch ein, zwei, manchmal sogar drei weitere Personen Platz finden könnten. Also gibt es ein theoretisches Potenzial für 10.000 Menschen. Das wäre gigantisch im Vergleich zur Größe von Haltern.
Aber nicht alle dieser 5000 Haushalte sind an einer Vermietung interessiert.
Selbstverständlich muss man davon all diejenigen abziehen, die ihren Wohnraum alleine nutzen möchten. Und natürlich diejenigen, die nichts ändern können. Ein Hochbetagter beispielsweise baut nichts mehr um. Aber wenn nur ein Zehntel dieses Potenzials genutzt würde, dann hätte Haltern auf Jahre hinaus genügend Wohnraum und müsste überhaupt nicht mehr neu bauen.
Die Zahlen in Ihrem Rechenbeispiel beziehen sich auf 2011...
Da sind Zahlen, die jetzt vorliegen. Ich gehe davon aus, dass die Alterung der Gesellschaft auch in Haltern in den neuen Zahlen zeigen wird, dass wir eher noch mehr Menschen haben, die in großen Wohnungen und Häusern leben.
Vortrag am 20. Februar
- Ein Vortrag mit anschließender Diskussion zu einer Wende in der Bau- und Wohnungspolitik mit Dr. Daniel Fuhrhop findet am Dienstag, 20. Februar, um 18 Uhr im Könzgenhaus statt.
- Der Ortsverband Haltern und der Kreisverband Recklinghausen von B‘ 90/Die Grünen haben, unterstützt vom Institut für Wissenschaft, politische Bildung und gesellschaftliche Praxis und von der Heimvolkshochschule Gottfried Könzgen, den Wirtschaftswissenschaftler und Bestsellerautor eingeladen.
- Der Eintritt ist frei. Um Anmeldung per E-Mail bis zum 13. Februar wird gebeten: fraktion@gruene-haltern.de.