So viel ist über den Flugzeugabsturz in den französischen Alpen am 24. März 2015 berichtet worden, doch alle Worte und Bilder reichen nicht aus, um das Leid der Angehörigen der 149 Opfer zu beschreiben. Bis heute hat die Katastrophe tiefe Spuren in den Familien hinterlassen.
Der zehnte Jahrestag und die Rückkehr der medialen Aufmerksamkeit verstärken die Gefühle – seien es Ohnmacht, Wut oder Schmerz. „Ich habe gedacht, nach zehn Jahren bleibt die Trauer die gleiche, doch es wühlt mich mehr als erwartet auf“, sagt Steffi Assmann aus Haltern. Ihre Tochter Linda Bergjürgen (15) kam mit 15 weiteren Schülerinnen und Schülern sowie zwei Lehrerinnen des Halterner Joseph-König-Gymnasiums bei dem Absturz ums Leben.
An einer vierteiligen Doku-Reihe in der ARD (Der Germanwings-Absturz – Chronologie eines Verbrechens) und an einem Podcast im WDR (Der Germanwings-Absturz – Zehn Jahre ohne euch) hat sich Steffi Assmann beteiligt. Es ist ihr Weg, das Schicksal anzunehmen und mit dem Verlust der Tochter zu leben.
„Mir ist klar, dass ich Linda dadurch nicht wiederhole, aber es wäre auch nicht richtig, wenn sie aus unserem Alltag verschwinden würde“, sagt sie. Sie kann wieder Freude empfinden, dankbar sein und Spaß haben. Doch sie muss sich dann auch immer wieder ihrem Lebensthema, dem viel zu frühen Tod von Linda, zuwenden. „Dann ist es, als ob die Büchse der Pandora geöffnet wird“, erklärt die Halternerin, die mit ihrem Mann Willi Bergjürgen und ihrem Sohn Christian im Ortsteil Sythen zu Hause ist.
„Der Tod ist immer da“
„Linda fehlt mir einfach so schrecklich“, fügt sie hinzu. Bis heute könne sie die Endgültigkeit dieses Verlusts nicht gut aushalten. Es kostet sie und andere Betroffene viel Kraft, die Balance zwischen dem Zulassen von Schmerz und einem Alltag zu finden, der dieses Gefühl im Bann hält. „Der Tod von Linda ist immer da, wie ein unterbewusster Nebengedanke“, beschreibt es die Mutter.

Allerdings habe sie wieder zur Orientierung zurückgefunden. Zuerst habe ihr die Tragödie den Boden unter den Füßen weggerissen. „Will ich so weitermachen?“, habe sie beispielsweise ihren Job beim Versicherungsunternehmen LVM infrage gestellt. Heute sei sie froh darüber, dabeigeblieben zu sein.
Eine frühe Wiederaufnahme der Arbeit zwei Monate nach dem Flugzeugabsturz klappte noch nicht. „Ich war nicht in der Lage, meine Trauer zurückzudrängen.“
Aber im Herbst 2015 kehrte Steffi Assmann mit einer sanften Eingliederung an ihren Arbeitsplatz zurück. Heute ist sie in Vollzeit in der Regressabteilung der LVM Münster beschäftigt. „Mein Arbeitgeber war von den Kollegen rund um meinen Schreibtisch bis zu den Vorgesetzten absolut verständnisvoll“, würdigt sie ihr Jobumfeld. Das gelte bis heute. „Ich bekomme so viel Wertschätzung.“
Trigger im Alltag
Gleichzeitig könne sie sich so viel Zeit nehmen, wie sie brauche. Manchmal gibt es im Tagesgeschehen eines großen Unternehmens eben doch die Trigger, die sie zu einer kurzen Pause zwingen. Das war zum Beispiel eine fehlgeleitete Ermittlungsakte über den Absturz eines privaten Kleinflugzeuges, die bei ihr landete. „Du willst nicht immer eine Nummer daraus machen, aber das funktioniert nicht immer gut“, berichtet Steffi Assmann.
Eine Erfahrung, die sie als trauernde Mutter gemacht hat, will sie jetzt für andere Betroffene nutzen. In den ersten Wochen nach der Katastrophe hätten sich Mitarbeitende der Lufthansa regelmäßig bei ihr gemeldet, um danach zu fragen, wie es ihr gehe und Hilfe vonnöten sei. Weil diese fremd waren, habe sie die Anrufenden abgewimmelt. Bis ihr eine Frau gesagt habe, „Frau Assmann, legen Sie nicht gleich auf, ich habe auch ein Kind verloren“.

Dann habe diese ihre Geschichte erzählt. „Das hat mir gutgetan, weil ich den Tod nicht einordnen konnte – das ist bis heute so“, sagt die Halternerin. Mit dem Gedanken, ein solch niederschwelliges Angebot bei der LVM anzubieten, hat sie sich an die Abteilung für Gesundheit und Soziales gewendet und ist auf offene Ohren gestoßen.
Heute verfügt Steffi Assmann über das Zertifikat „Trauerbegleitung am Arbeitsplatz“, hat bei ersten Anlässen die Möglichkeit gehabt, ihr Wissen einzusetzen und die Rückmeldung erhalten, dass sie helfen kann.

Dabei sei ihr stets bewusst, dass ihr Rucksack nicht derselbe wie der von anderen Betroffenen ist. Trauer über den Tod ist genauso vielfältig wie das Leben. Sie selbst wolle sich nicht permanent als Opfer dem Schmerz hingeben. Aber ohne ihn gehe es auch nicht.
Zum zehnten Jahrestag wird sie mit ihrem Mann und Freunden nach Le Vernet reisen und die Absturzstelle besuchen. „Hier zieht es mich hin“, lässt sie an ihren Gefühlen teilhaben. Dann wird es sie wieder nach Hause drängen, einen ganz normalen Alltag leben, der dies seit dem 24. März 2015 nicht mehr ist.
10. Jahrestag Flugzeug-Katastrophe
Am 24. März 2025 jährt sich die Flugzeug-Katastrophe zum zehnten Mal. Wir nehmen diesen traurigen Jahrestag zum Anlass für eine Artikel-Serie in den nächsten Wochen.