„Wie ein kleiner Bruder“ Wie William Dountio heute auf den Fall Mouhamed Dramé (†16) blickt

„Wie ein kleiner Bruder“: Vor dem Urteil - William Dountio blickt auf den Fall Mouhamed
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Nach einem Jahr Prozess wird das juristische Kapitel im Fall Mouhamed Dramé am Donnerstag (12.12.) am Landgericht geschlossen. Wenn um 13 Uhr das Urteil gesprochen wird, wird auch William Dountio wieder im Gerichtssaal sein, wie so oft in diesem Prozess.

Kurz nach dem Tod Mouhameds hat er Demonstrationen in Dortmund mitorganisiert, die Aufklärung des Falls gefordert und den Kontakt mit der Familie hergestellt. Dass die beiden Brüder des getöteten 16-Jährigen im Prozess dabei sein können, ist auch sein Verdienst. Ihm und dem Solidaritätskreis Mouhamed war immer wichtig, dass die Familie einbezogen wird.

Wir treffen William Dountio einen Tag vor dem Urteil auf dem Kurt-Phiel-Platz. Er liegt nur rund 200 Meter vom Innenhof entfernt, in dem Mouhamed erschossen worden war. Kurz nach der Tat haben hier Mahnwachen stattgefunden. Zunächst wöchentlich, dann monatlich. Mitte Dezember pfeift der Wind über den grauen Platz. Auf eine Hausfassade hat jemand groß den Namen „Mouhamed“ gesprüht.

„Gerechtigkeit kann auch eine starke Botschaft sein“

Wie blickt William Dountio auf den Prozess, der an diesem Donnerstag zu Ende geht? Hat er die Gerechtigkeit gebracht, die er und seine Mitstreiter im Solidaritätskreis Mouhamed gefordert haben?

„Ich glaube, Leute sehen in Gerechtigkeit nur etwas wie Gefängnisstrafen. Das ist bei uns nicht der Fall. Gerechtigkeit kann auch eine starke Botschaft sein“, sagt William Dountio. „Die Fehler in diesem Einsatz anzusprechen, ist eine gute Botschaft. Rassismus in diesem Fall gänzlich auszuschließen hingegen nicht.“

Das bezieht sich auf das Plädoyer der Staatsanwaltschaft: Oberstaatsanwalt Carsten Dombert hatte in seinem Plädoyer gesagt, dass Rassismus „überhaupt keine Rolle“ gespielt habe. Bei keinem der Beamten habe es auch nur das kleinste Anzeichen darauf gegeben.

Ein Graffiti am Kurt-Piehl-Platz erinnert an Mouhamed Dramé.
Ein Graffiti am Kurt-Piehl-Platz erinnert an Mouhamed Dramé. © Karsten Wickern

William Dountio glaubt hingegen weiterhin, dass die Hautfarbe von Mouhamed beim Handeln der Polizisten eine Rolle gespielt haben könnte. Er könne die Erklärungen der Staatsanwaltschaft nicht gänzlich teilen, in weiten Teilen aber nachvollziehen.

„Ich finde einen Großteil seiner Arbeit überzeugend“

Über Dombert sagt William Dountio: „Ich finde einen Großteil seiner Arbeit überzeugend.“ Auch den Eindruck Domberts, dass der Tod des 16-Jährigen von politischen Gruppen und Personen instrumentalisiert worden sei, teilt William Dountio: „Rechts wie links.“

Für die Brüder sei aber vor allem wichtig gewesen, dass der Staatsanwalt herausgestellt habe, dass er in Mouhamed keinen Angreifer sehe, sagt Dountio. „Jetzt können wir unserer Mutter endlich mal etwas Positives berichten“, hätten sie nach der Verhandlung gesagt.

„Es war für sie die Bestätigung, dass ihr Bruder der Mensch war, den sie kannten und keiner, der seit der Flucht aus dem Senegal zu einer bösen Person geworden ist, die Menschen verletzen will.“

Mouhamed habe sich in diesem Moment in einer Krise befunden. „Für seine Brüder und für mich war es ein Hilferuf, wie er dort mit dem Messer saß.“ William Dountio ahmt die Körperhaltung von Mouhamed nach und krümmt seinen Rücken nach vorne. „Das ist eine schwache Haltung, keine Angriffshaltung. Da ist keine Aggressivität“, sagt er.

„Es geht darum, Menschlichkeit zu zeigen“

Dass in den Plädoyers der Verteidigung aber eine solche Angriffsabsicht unterstellt worden war, löst bei William Dountio Unverständnis aus. „Deutsch ist nicht meine Muttersprache, aber das kann man einfühlsamer ausdrücken. Es geht darum, Menschlichkeit zu zeigen. Für uns ist das Teil der Gerechtigkeit.“

Eine Beamtin, die diese Menschlichkeit für ihn gezeigt hat, sei Pia B.

Sie hatte bei dem Einsatz mit einem Taser auf Mouhamed geschossen. „Es tut mir so unfassbar leid für alle Beteiligten“, hatte sie am 31. Prozesstag unter Tränen gesagt. „Die Brüder und ich glaube ihr, dass es ihr wirklich leidtut.“ Das habe sie in ihrer Einlassung gezeigt und das sei auch schon an ihrer Körpersprache an anderen Prozesstagen deutlich geworden, findet William Dountio.

Würde er sich wünschen, dass es auch die anderen Beamten deutlicher gezeigt hätten? „Das kann ich mir nicht wünschen. Entweder ist dieses Bedauern da oder nicht. Das muss aus den Menschen selbst kommen. Aber es hätte zur Versöhnung beigetragen.“

Und: „Die ganze Gesellschaft hätten den Schützen Fabian S. viel besser verstehen können, wenn er von Beginn an seine Gefühle und mehr Empathie gezeigt hätte“, ist sich William Dountio sicher.

Plötzlich kommt einer der Brüder

Froh ist William Dountio nicht, dass der Prozess vorbei ist, nervös blickt er aber auch nicht auf das Urteil. „Ich erwarte keine großen Abweichungen zur Forderung der Staatsanwaltschaft“, sagt er. Die hatte für den Einsatzleiter eine Bewährungsstrafe von 10 Monaten und eine Zahlung von 5.000 Euro an eine gemeinnützige Einrichtung gefordert, für die anderen Beamten Freisprüche.

Plötzlich kommt Sidy Dramé auf den Kurt-Phiel-Platz, der ältere der beiden Brüder von Mouhamed, die für den Prozess in Dortmund sind. Er trägt eine gelbe Jacke, William Dountio und er unterhalten sich kurz auf Französisch. Dann geht der kleine dünne Mann weiter und biegt in die Straße ab, in der sein Bruder am 8. August 2022 getötet worden ist. „Er kommt manchmal hierher, um sich diesen Ort anzusehen“, sagt William Dountio. Verabredet gewesen sei das nicht.

William Dountio steht vor einem Bild von Mouhamed Dramé.
William Dountio steht vor einem Bild von Mouhamed Dramé. © Karsten Wickern

Einige Minuten später gehen wir auch in die Missundestraße. Sidy Dramé ist da nicht mehr dort. Aber Mouhamed ist an diesem Ort auch mehr als zwei Jahre nach seinem Tod noch präsent. Von einem Plakat, einer Schiefergedenktafel und Stickern an Laternen blickt einen der 16-Jährige an. „No Justice, no Peace“ - „Keine Gerechtigkeit, kein Frieden“ wurde auf einen Stromkasten gesprüht.

„Er ist wie ein kleiner Bruder“

An einer Wand neben dem Tatort ist ein Transparent angebracht. „Das war Mord“, steht darauf und der Hinweis auf die Demonstration, die anlässlich des Urteils am Samstag (14.12.) stattfinden soll.

William halte sich nicht allzu gerne an diesem Ort auf, sagt er. Es sei zu traurig. Sein Blick geht an die Stelle, wo Mouhamed gesessen haben könnte. Danach in Richtung des gemalten Bildes, das am Zaun angebracht ist. Darunter stecken vertrocknete Blumen in den Metallstreben.

Auch William Dountio hat über die fast zweieinhalb Jahre seit Mouhameds Tod eine Beziehung zu dem 16-Jährigen aufgebaut. „Er ist wie ein kleiner Bruder, den ich nie kennengelernt habe, mit dem ich aber gerne Fußball gespielt und Musik gehört hätte.“ Beides habe Mouhamed gerne getan.

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