Die Staatsanwaltschaft hat am Montag (2.12.) ihr Plädoyer im Fall Mouhamed Dramé gehalten.
Für den Polizeibeamten Fabian S., der am 8. August 2022 in der Dortmunder Nordstadt fünf Schüsse auf Mouhamed Dramé, abgegeben hat, fordert die Staatsanwaltschaft einen Freispruch.
Als Mouhamed sich mit einem Messer in der Hand auf S. und seine Kollegen zubewegte, seien die wahren Absichten für den Maschinenpistolenschützen nicht erkennbar gewesen. „Tatsächlich hat Mouhamed Dramé niemanden angegriffen“, sagte Oberstaatsanwalt Carsten Dombert. Für Fabian S. habe es in diesem Moment jedoch so gewirkt, als habe er seinen Kollegen zu Hilfe eilen müssen. Und diesen Irrtum hätte der Beamte auch nicht erkennen müssen.
Freispruch auch für Taserschützen gefordert
Nach demselben Prinzip des sogenannten Erlaubnistatbestandsirrtums beantragte die Staatsanwaltschaft auch für die beiden Beamten, die mit einem Taser auf Mouhamed geschossen hatten, einen Freispruch. „Auch sie handelten ohne Schuld“, sagte Staatsanwältin Gülkiz Yazir deutlich. Denn auch diese Polizeibeamten hätten sich eine Notwehrlage eingebildet und entsprechend gehandelt.
Die Staatsanwaltschaft hält lediglich den Einsatzleiter Thorsten H. für schuldig. Schuldig der Verleitung zur gefährlichen Körperverletzung im Amt. Und schuldig der fahrlässigen Tötung.
H. soll dafür nach dem Willen der Staatsanwaltschaft zu einer Haftstrafe von zehn Monaten verurteilt werden, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt werden könne. Als Auflage solle der erfahrene Dienstgruppenleiter jedoch 5000 Euro an eine gemeinnützige Organisation in Dortmund zahlen müssen.
„Verkettung unglücklicher Umstände“
Aus Sicht der Staatsanwaltschaft setzte Thorsten H. mit seiner „rechtswidrigen Anordnung“, Mouhamed mit Pfefferspray zu besprühen, eine „Verkettung unglücklicher Umstände“ in Gang. Rechtswidrig sei die Anordnung gewesen, weil von dem 16-Jährigen zu diesem Zeitpunkt lediglich eine abstrakte Gefahr für sich selbst ausging. „Die Lage war ruhig, die Lage war statisch“, hieß es im Plädoyer. Für einen Pfefferspray-Einsatz hätte es jedoch eine konkrete Gefahr gebraucht.
Oberstaatsanwalt Dombert wirft dem Einsatzleiter vor, stur an seinen ursprünglichen Planungen festgehalten zu haben, ohne sich zwischendurch selbst einen Überblick zu verschaffen und gegebenenfalls eine Neubewertung vorzunehmen.
Eigentlich hätte sich damit auch die Beamtin der gefährlichen Körperverletzung schuldig gemacht, die das Pfefferspray schließlich einsetzte. Doch auch diese irrte sich aus Sicht der Staatsanwaltschaft. „Sie vertraute auf ihren erfahrenen Vorgesetzten und hatte selbst so gut wie keine Sicht auf Mouhamed Dramé“, hieß es. Deshalb sei auch diese Angeklagte freizusprechen. Auch, weil sie erst kurz zuvor am Einsatzort angekommen sei, habe sie kaum Zeit gehabt zu überlegen, ob rechtmäßig war, was ihr Dienstgruppenleiter angeordnet hatte, erklärte Carsten Dombert.
Wie Nebenklage, Verteidigung und schließlich das Gericht den Sachverhalt bewerten, wird sich in den kommenden Tagen zeigen. Lisa Grüter, die Mouhameds Brüder im Prozess vertritt, konnte die rechtliche Konstruktion der Staatsanwaltschaft zwar „nachvollziehen“. Das heiße aber nicht, dass sie alles genauso sehe, sagte sie.
„Das war überragend wichtig“
Wichtig seien für die Brüder indes zwei Dinge gewesen. Zum einen, dass der Einsatzleiter für die Tat zur Verantwortung gezogen werden solle. Und zum anderen, dass die Staatsanwaltschaft festgestellt habe, dass Mouhamed niemanden angegriffen habe. „Das war überragend wichtig für sie“, so Grüter.
Christoph Krekeler, Anwalt des Schützen Fabian S., war angesichts der Wendung in den vergangenen Prozesstagen, an denen die Staatsanwaltschaft auch die Möglichkeit der fahrlässigen Tötung ins Spiel gebracht hatte, von der Deutlichkeit des Plädoyers überrascht. „Man hätte den Hinweis der Fahrlässigkeit ja auch so verstehen können, dass sie den Hinweis mit Blick auf Herrn S. geben wollten“, sagt Krekeler.
Er habe die Staatsanwaltschaft bis zu diesem Hinweis nämlich auch so verstanden, dass sie seinem Mandanten keinen konkreten Vorwurf machen würde. „Ich bin froh darüber, dass die Staatsanwaltschaft den Fall in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht so detailliert und sauber bewertet hat. Das war sehr ausführlich, sehr sauber und wirklich lehrbuchhaft“, sagt der Anwalt.
Zu Beginn seines Plädoyers hatte Oberstaatsanwalt Carsten Dombert die politische Bedeutung des Verfahrens für die Dortmunder Öffentlichkeit betont. Mouhameds Tod dürfe nicht instrumentalisiert werden – weder von der einen noch von der anderen Seite, so Dombert. Besonders wichtig war ihm dabei, zu betonen: „Rassismus spielte in diesem Fall überhaupt keine Rolle.“
Nachdem zu diesem Zeitpunkt noch lautere Unmutsäußerungen aus den Reihen der Zuschauer zu vernehmen waren, blieb es während des restlichen Plädoyers dann vorbildlich ruhig.
Ruhig blieben übrigens auch die Angeklagten. Bei den Freispruchs-Anträgen war auf ihren Gesichtern weder Überraschung noch Erleichterung zu erkennen.