
Jean-Pierre Bernard brachte ein Stück Frankreich nach Westfalen. 2019 verstarb er im Alter von 71 Jahren. © privat; Grafik: Dittgen
„Er konnte das Leben feiern“ - Erinnerung an „Petit Paris“-Wirt Jean-Pierre Bernard (†71)
Serie „Unvergessen“
Mit dem „Petit Paris“ schuf Jean-Pierre Bernard einen französischen Rückzugsort an der Hohen Straße, in der sich Künstler und Schauspieler tummelten. Ein Nachruf auf einen echten Dortmunder Franzosen.
Wenn du Franzose und in Paris aufgewachsen bist, eine Bar in Dortmund eröffnest, dann kannst du schnell feststellen, dass das Quartier Latin mit der Hohen Straße wenig zu tun hat. Als Jean-Pierre Bernard 1980 die Bar „Petit Paris“ ebenda eröffnete, wollte er einen Rückzugsort schaffen. Ein französisches Drinnen, abgeschottet vor dem Dortmunder Draußen. Im Rückblick war es keine Kneipe – eher ein Fantreff.
Am 18. Oktober 2019 ist Jean-Pierre Bernard im Alter von 71 Jahren gestorben. Eigentlich unbegreiflich, denn wenn einer das Leben feiern konnte, dann ihr Mann, erinnert sich Ute Busch-Bernard. „Er war extrovertiert, er brauchte Menschen, er brauchte Musik, Chansons, Rock, Pop – egal.“
Die Bar allein eine Explosion an – Zeugs? Sträuße von Lavendel hingen von der Decke, Pappmachéfiguren standen in Ecken, große Herzen, Instrumente, Blechschilder, Paris-Bilder, Fotos an der Wand, als sei jeder freie Fleck ein Merkmal von nichts. Und was soll man schon anfangen mit – nichts? Dann lieber noch eine Schiefertafel hingehängt: „Pumpernickel mit Schmalz.“
Nachrufe auf Menschen, die Dortmund prägten
In der Serie „Unvergessen“ erinnern wir in unregelmäßigen Abständen an Dortmunder, die im Großen und im Kleinen in Dortmund gewirkt haben und die die Stadt auch über ihren Tod hinaus zu dem machen, was sie ist.
Das erste westfälische Abendbrot blieb ihm in Erinnerung
Links vom Eingang der Tresen, davor wenige Quadratmeter zum Verweilen. „Wenn 30 Leute im Laden standen, dann war er voll“, so Carlos Krause, der vor 41 Jahren das „Petit Paris“ erstmals betrat und in Bernard einen Freund fand, der dem Ruhrpott und ihm die französische Lebensart näherbringen wollte. Bisschen Laissez-faire und so, er hielt eben fest an seinem Land, an seiner Stadt. „Ich bin da ein bisschen groß geworden“, sagt Krause heute, „und wenn er den Franzosen zu sehr hat raushängen lassen, dann haben wir ihn Hans-Peter gerufen. Oder Bernhard.“ Vielleicht sogar ortstypisch „Bernatt“. Mon dieu!
Bernard hatte sich mit 17 Jahren als Metzgerlehrling ins westfälische Leben geworfen, als er eine Stelle bei einem Schwerter Fleischer antrat. Der Vater wollte, dass sein Sohn Deutsch lernte, und Jean-Pierre fügte sich. Das erste Abendbrot ist ihm schwer in Erinnerung geblieben. Die französischen Nachbarn an sich lieben das opulente Mahl spät am Abend.
Beim Schwerter Metzger aber gab es „Bütterken“. Allein das war ein Ansporn für ihn, festzuhalten am französischen Lebensstil, ohne aber die westfälische Schmalzstulle zu vernachlässigen. Er war offen, er arbeitete und lernte sein perfektes Deutsch in Kinos, machte seinen Meister. Später hat er als Controller in der Fleischproduktion gearbeitet, aber irgendwann war ihm klar, dass es eine Verwirklichung zwischen hoher Rippe und hinterem Eisbein für ihn nicht gab. Als das Lokal „Zum Kamin“ schloss, eröffnete er das „Petit Paris“. Er vertraute seiner Art.
Im Petit Paris blieb keiner lange allein
„Du hast dich bei ihm sofort wohlgefühlt“, sagt Raphael Schadeck, „du warst zweimal in der Bar, und er kannte deinen Namen. Er liebte gutes Essen und konnte gut kochen.“ Es gibt ein Foto, das zeigt Bernard hinterm Tresen. Er zieht eine Flasche Roten auf, der Blick in die Kamera ist - ja - wissend, sagt man wohl.

In Bernards "Petit Paris" konnte man in Ruhe sein Bier genießen - oder auch bis in die Morgenstunden feiern. © Privat
Bernard war auch Geschäftsmann, musste er sein bei maximal 30 Gästen im Laden. „Ich bin schon 1980 als Studentin ins Petit gegangen“, sagt Ute Busch. Sie ließ sich einnehmen von der Stimmung dort, vom Leichten, von den Schauspielern und Musikern, die nach ihren Auftritten und Konzerten noch auf ein Bier mit Frikadelle einkehrten. „Da saß keiner und keine lang allein. Dafür war der Laden zu klein. Ich werde heute noch von Leuten angesprochen, die mir sagen: Meine Eltern haben sich im Petit Paris kennengelernt.“
„Das Petit war ein kleines Museum mit sehr viel französischem Charme und einem klassischen Wirt. Jean-Pierre fragte nach, wenn was war, er war sehr aufmerksam“, erinnert sich Andreas Greuer, Geiger bei den Dortmunder Philharmonikern. Die Bar lag nach den abendlichen Konzerten auf seinem Heimweg. Greuer war gerne da: „Jean-Pierre hat viel Wertschätzung erfahren.“ Und manchmal standen sie draußen Schlange.
Männer, die sich nicht benahmen, schmiss Bernard raus
Man konnte dort ganz ruhig sein Bier oder seinen Wein trinken, aber die Bereitschaft zum Feiern lauerte überall im „Petit Paris“. Es ging mitunter hoch her. Nicht selten packten Greuer und seine Kollegen ihre Instrumente noch aus und schoben dem Pastis noch einen Mozart unter. Die 18-jährigen Mädchen aus dem Französisch-Leistungskurs unterhielten sich wie viele andere in Landessprache mit ihm.

2007 übergab Jean-Pierre Bernard seine Kneipe "Petit Paris" an Heidi Heimann. © Nils Foltynowicz (Archiv)
Wenn die Nacht dräute, und die dräut schnell in einer Bar, die erst um 20 Uhr öffnet, rief er die Eltern an: „Keine Sorge, ich setz‘ sie gleich in ein Taxi.“ Fürsorge auch, wenn er Männer, die Frauen unziemlich anmachten, kurzerhand rausschmiss. „Er war klein, aber er konnte auf den Tisch hauen“, so Schadeck. „Er war direkt“, sagt Ute Busch-Bernard. Verliebt haben sie sich erst 2004. Beide haben noch ein Leben dazwischen gepackt.
Das „Petit Paris“ hatte sieben Tage die Woche geöffnet, Jean-Pierre putzte, kaufte ein, schenkte aus. 20 Uhr bis in die Puppen, keine Schonzeit vor und hinter dem Tresen. Brief vom Rechtsamt der Stadt Dortmund von 12. Mai 1988. Wortlaut: „Gegen ein Uhr spielte in ihrem Lokal eine Band überlaute Musik… Nachtruhe… Anwohner… Polizei…“. Solch ein Schreiben endet mit: Bußgeld.

Das Paar im Jahr 2011, kurz bevor Ute Busch-Bernard ihrem Mann eine Niere spendete. © Dieter Menne (Archiv)
„Wir hatten noch acht schöne Jahre“
2007 hat Jean-Pierre das „Petit Paris“ weitergegeben. Eine Nierenerkrankung hatte sich eingeschlichen, die Tage wurden beschwerlicher. Ute Busch spendete ihm 2011 eine Niere, was ihm das Leben erleichterte. „Wir hatten noch acht schöne Jahre“, sagt sie im Rückblick. Dann kam ein Hirntumor dazu, dem Jean-Pierre Bernard schließlich erlag. Geklagt hat er nie. C‘est la vie, so ist das Leben, steht auf seinem Grabstein auf dem Ostfriedhof.

Jean-Pierre Bernard und Ute Busch-Bernard bei der Fußball-WM 2014. © Dieter Menne (Archiv)
Einige Jahre zuvor hatten er und seine Freunde die Gruppe „France et plus“ gegründet, es ging um die Pflege der französischen Sprache und der französischen Küche. „France et plus“ gibt es noch, und Jean-Pierre Bernard ist auf seine Art immer dabei. Carlos Krause pflückt Erinnerungen im Vorübergehen: „Wenn ich heute an der Bar vorbeikomme, habe ich immer ein Lächeln auf den Lippen.“ Nach 15 Jahren noch. Du kannst französische Art vorleben, Chansons auflegen, Pastis und Wein ausschenken – an der Hohen Straße änderst du nichts. Dann ändere doch einfach die Menschen. Im Kleinen, das reicht doch schon.