Die ukrainische Generalkonsulin Iryna Shum dankte in ihrer Ansprache im Dortmunder Rat den Dortmundern für ihre Solidarität und Hilfsbereitschaft.

© Oliver Schaper

Warum Nastja (26) sterben musste: Generalkonsulin hält bewegende Rede in Dortmund

rnAnsprache im Rat

Es war eine bewegende Rede, wie sie selten im Dortmunder Rat zu hören ist. Am Pult stand Iryna Shum, Generalkonsulin der Ukraine. Sie schilderte den Krieg in ihrem Land mit deutlichen Worten.

Dortmund

, 01.04.2022, 17:23 Uhr / Lesedauer: 3 min

Die riesige Leinwand im Hintergrund zeigte mit der ukrainischen Flagge das Thema von besonderer Bedeutung am Donnerstag (31.3.) im Dortmunder Stadtrat. Am Rednerpult stand Iryna Shum, Generalkonsulin der Ukraine, die auf Einladung von Oberbürgermeister Thomas Westphal aus Düsseldorf nach Dortmund gekommen war.

In eindrucksvollen, bewegenden Worten schilderte sie fast neun Minuten lang, wie ihr Land unter der russischen Invasion und den täglichen Schrecken leidet. Seit dem Angriff der russischen Armee am 24. Februar, als ihr friedliches Volk durch Luftsirenen aufwachte, teile sich das Leben „in bis zu und danach“.

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„144 Kinder wurden in den ersten 30 Tagen des Krieges getötet“, berichtete Iryna Shum, „1200 Raketen wurden von den Russen über ukrainischen Städten abgeschossen, knapp 300 Schulen im ganzen Land zerstört.“ Ebenso Kindergärten, Krankenhäuser, Geburtshäuser und Theater.

Nastja (26) am zehnten Tag des Krieges erschossen

In Mariupol gebe es kein einziges Wohnhaus mehr, so die Generalkonsulin, die Menschen dort harrten ohne Essen, ohne Wasser, ohne Elektrizität in Bunkern aus. Die Russen ließen keine humanitären Korridore zu, würden sie beschießen. Elf Bürgermeister und acht weitere Gemeindevertreter seien entführt, Frauen unterschiedlichen Alters vergewaltigt worden. „Zehntausende von Tieren sterben.“

Iryna Shum erzählte von Nastja, einer 26-jährigen freiwilligen Helferin, deren Leben am zehnten Tag des Krieges ausgelöscht wurde. Mit zwei Freunden war sie im Auto unterwegs auf dem Rückweg vom Tierheim, in das sie Hundefutter gebracht hatten, als die drei jungen Leute erschossen wurden.

„Das ist nicht nur Putins Krieg“, betonte die Generalkonsulin, „das ist der Krieg Russlands und des russischen Volkes gegen mein Land.“ Die Mehrheit der Russen unterstütze Putin. Statt die Informationen aus den russischen Medien kritisch zu überprüfen, sei es einfacher für sie zu glauben, „dass ihre Soldaten gekommen sind, um uns, die Ukrainer zu befreien, und dass wir uns selbst töten. Das Verschweigen ist zu ihrer Lebensphilosophie geworden, was sie zu einem Teil des Regimes macht.“

„Einheitsfront gegen das Böse“

Iryna Shum forderte in ihrer Ansprache weitere harte Sanktionen gegen Russland und seine völlige Isolation sowie einen schnellen Beitritt der Ukraine in die Europäische Union (EU). Die Generalkonsulin: „Es ist Zeit, in einer Einheitsfront gegen das Böse aufzutreten.“

Sie bedankte sich auch ausdrücklich für die Solidarität und die Hilfsbereitschaft der Dortmunder, die mehr als 4500 Menschen aufgenommen haben, und appellierte gleichzeitig: „Bitte hören Sie nicht auf, machen Sie es weiter, weil Europa nur dann in Frieden leben kann, wenn die Ukraine diesen Krieg überwindet.“

Dortmunds OB Thomas Westphal hatte Iryna Shum zur Ratssitzung eingeladen und versprach ihr, die überragende Hilfsbereitschaft der Dortmunder für die Ukraine und ihre Menschen werde nicht aufhören.

Dortmunds OB Thomas Westphal hatte Iryna Shum zur Ratssitzung eingeladen und versprach ihr, die überragende Hilfsbereitschaft der Dortmunder für die Ukraine und ihre Menschen werde nicht aufhören. © Schaper

Die Ratsmitglieder bedachten Shums Rede mit Applaus und stehenden Ovationen. OB Westphal versicherte der Generalkonsulin, „dass Dortmund nicht aufhört, seine überragende Hilfsbereitschaft“ zu zeigen.

74 zusätzliche Stellen in der Verwaltung

So beschloss der Rat per Dringlichkeitsentscheidung, 74 zusätzliche auf ein Jahr befristete Stellen (mit Verlängerungsoption) in der Stadtverwaltung zur Bewältigung des Ukraine-Kriegs zu schaffen, verbunden mit Kosten von fast 2,9 Millionen Euro in diesem Jahr und knapp 1,5 Millionen Euro im nächsten.

Zudem verabschiedete der Rat gegen die Stimmen der AfD eine Resolution, in der er unter anderem den Angriffskrieg Putins und seiner Staatsführung gegen die souveräne Ukraine und ihre Bevölkerung aufs Schärfste verurteilt und seine Solidarität mit allen Menschen in der Ukraine bekundet.

Rat verabschiedete Resolution

Die seit 1977 existierende Städtepartnerschaft mit Rostow am Don wird mit Ausnahme der direkten Kommunikation von OB Westphal mit der Rostower Stadtspitze auf Eis gelegt und gleichzeitig eine Städtepartnerschaft mit einer Kommune in der Ukraine nach dem Krieg angestrebt, um dort beim Wiederaufbau zu helfen.

Auch in einzelnen Wortbeiträgen versicherten die Fraktionsspitzen parteiübergreifend ihre Solidarität mit den Ukrainern und bedankten sich bei haupt- und ehrenamtlichen Helfern für ihr Engagement bei der Aufnahme von Geflüchteten und der Organisation von Hilfstransporten.

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Sie fanden klare Worte für den russischen Präsidenten und dessen völkerrechtswidrigen und unmenschlichen Krieg. Die Ratsvertreter betonten auch, dass in Dortmund lebende Russen keine persönliche Schuld an dem Krieg trügen. Einmütig forderten sie mehr Hilfen für Geflüchtete auch von Land und Bund und eine bessere Koordination der Angebote für sie.

Die meisten Flüchtlinge sind privat untergebracht

Bis zum 30.3. habe Dortmund 4616 Flüchtlinge aufgenommen, die durch das Sozialamt finanziell unterstützt, medizinisch versorgt und untergebracht wurden, darunter 2576 Familien mit 1617 Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren. 1,5 Millionen Euro an Leistungen nach dem Asylbewerbergesetz wurden ausgezahlt, berichtete Sozialdezernentin Birgit Zoerner.

Die meisten Flüchtlinge wurden privat untergebracht. 700 kriegsbedingt geflüchtete Menschen leben zurzeit in städtischen Unterkünften, 83 Plätze sind dort noch frei. Seit den letzten Tagen kämen weniger Flüchtlinge, so Zoerner, „etwa 100 pro Wochentag“.

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Vom Land bekomme Dortmund aktuell keine Flüchtlinge zugewiesen, da Dortmund 1424 Menschen mehr aufgenommen hat, als es nach dem Königssteiner Schlüssel müsste. Doch der Krieg könne noch dauern, sagte Zoerner: „Wir stellen uns darauf ein und bauen deshalb unsere Unterbringungskapazitäten aus.“