Türkei-Wahlen: "Der Riss wird größer werden"

Interview

Die Politik des türkischen Staatspräsidenten Erdogan spaltet auch die in Dortmund lebenden Türken. Im Interview bewertet Mehmet Özcan vom Westfalia-Bildungszentrum das Wahlergebnis, mit dem die Türkei auf ein demokratiefeindliches Präsidialsystem zusteuert. Der Berufsschullehrer erkennt Widersprüche.

DORTMUND

, 17.04.2017, 11:19 Uhr / Lesedauer: 2 min
Mehmet Özcan: "Es ist nicht allein wichtig, wer wählt. Es ist viel wichtiger, wer die Stimmen auszählt."

Mehmet Özcan: "Es ist nicht allein wichtig, wer wählt. Es ist viel wichtiger, wer die Stimmen auszählt."

Der Riss, der schon vor dem Referendum die türkische Gesellschaft spaltete, war nach dem Putschversuch auch bei den in Dortmund lebenden Türken sichtbar. Wie geht es hier nun weiter?

Der Riss wird größer werden, denn Erdogan fühlt sich in seiner Politik bestätigt. Er hat weitere Wahlen vor sich und wird für die Präsidentschaft kandidieren. Die aktuelle Stimmung und den Riss in der türkischen Gesellschaft will er beibehalten, denn davon profitiert er.

Die im Ruhrgebiet und in Dortmund lebenden Türken stimmten mehrheitlich für den Umbau der Türkei zu einem totalitären Präsidialsystem. Ist das ein überraschendes Wahlergebnis?

Nein, das ist kein überraschendes Ergebnis. Ich formuliere es so: Es ist nicht allein wichtig, wer wählt. Es kommt darauf an, wer die Stimmen auszählt. Ich habe Bedenken, dass die Wahlen korrekt verlaufen sind.

Welche Bedeutung haben die Stimmen aus dem Ruhrgebiet?

Erdogans Propaganda funktionierte mit dem „Alle sind gegen mich“-Feindbild, das hat ihm zum Erfolg verholfen. Viele Türken im Ruhrgebiet sind nationalistischer eingestellt als die Einheimischen in der Türkei. Jahrelang waren sie hier nicht anerkannt. Sie waren Gastarbeiter oder eben die Türken und haben bei der Wohnungssuche oder der Suche nach einem Arbeitsplatz gespürt, dass sie keine Deutschen sind. Ihnen hat Erdogan über die Nationalität eine Persönlichkeit gegeben.

Erdogan dachte vor dem Referendum laut über die Todesstrafe nach und geht dennoch mit den wichtigen Stimmen aus dem Ruhrgebiet als Wahlsieger hervor. Was sagt das über die Integration der im Ruhrgebiet lebenden Erdogan-Anhänger aus?

Es ist ein Widerspruch, hier in Freiheit und Demokratie zu leben und zugleich die Todesstrafe zu befürworten. Erdogans Anhänger in Deutschland haben es leicht, denn sie werden nicht in dessen Präsidialsystem leben müssen.

Wie steht es um die Integration eines in Deutschland lebenden Türken, der einen Staatspräsidenten wählt, der offen für die Todesstrafe wirbt?

Erdogans Anhänger sehen da keinen Widerspruch und werden sagen: Die Todesstrafe gibt es ja auch in den USA.

Mehmet Özcan lebt mit seiner Familie in Dortmund. Er ist Berufsschullehrer und Mitglied der Gülen-Bewegung, die Erdogan als Terrororganisation und Vaterlandsverräter verfolgen lässt.

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