Tödliche Polizeischüsse in der Nordstadt Was über den Tod von Mouhamed Dramé bekannt ist

Was über den Tod von Mouhamed Dramé bekannt ist
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Nach wie vor gibt es keine Entscheidung darüber, ob es im Fall der tödlichen Schüsse eines Polizisten auf Mouhamed Lamine Dramé am 8. August zu einer Anklage kommt.

Es gibt eine Reihe vorab bekannt gewordener und bestätigter Erkenntnisse, die Zweifel am rechtmäßigen Ablauf des Einsatzes auf einem Kirchengelände zwischen Missundestraße und Holsteiner Straße zulassen.

Reul kann nicht antworten

Im Landtag in Düsseldorf wiederholt sich seit einigen Monaten deshalb eine ähnliche Szenerie. Die Mitglieder des Innenausschusses haben viele Fragen zum Stand der Ermittlungen. Innenminister Herbert Reul (CDU) kann die meisten davon mit Verweis auf das laufende Verfahren nicht beantworten.

In der Ausschusssitzung am Donnerstag (17.11.) bemerkt Reul, „dass wir uns auf der Zielgeraden befinden, was die Ermittlungen angeht“. Der Dortmunder Oberstaatsanwalt Carsten Dombert hatte am 10. November davon gesprochen, dass man noch rund zwei Wochen für die vollständige Analyse des Geschehens benötige.

Entscheidung bis Jahresende?

Laut Dombert könnte bis spätestens Ende Dezember die Entscheidung darüber fallen, ob überhaupt und gegen wen eine Anklage erhoben wird. Einen aktuelleren Stand brachte auch die Ausschusssitzung mit Innenminister Reul und Vertretern der Justizbehörden nicht hervor.

Die Polizei war am 8. August zur Jugendhilfeeinrichtung St. Elisabeth gerufen worden. Dort soll der Geflüchtete aus dem Senegal zunächst gedroht haben, sich mit einem Messer zu töten. Er wurde von der Polizei erst mit Pfefferspray und zwei Tasern beschossen. Schließlich schoss ein Polizist mit einer Maschinenpistole. Der Jugendliche starb im Krankenhaus.

Gegen den Schützen wird wegen Körperverletzung mit Todesfolge ermittelt, gegen vier weitere beteiligte Polizisten wegen des Verdachts der gefährlichen Körperverletzung beziehungsweise zur Anstiftung dazu.

Schuss fiel schnell

Zwei Erkenntnisse hatten zuletzt die Wahrnehmung des Falles beeinflusst. So war bekannt geworden, dass der erste Schuss nur 0,717 Sekunden nach dem Einsatz eines Distanzelektroimpulsgerätes (Taser) abgefeuert worden ist. Dies hatte eine Analyse einer Tonaufnahme durch das Bundeskriminalamt (BKA) ergeben.

„Der Eindruck verstetigt sich, dass hier eine fatale Kettenreaktion vorliegt“, sagt der Landtagsabgeordnete Marc Lürbke (FDP).

Mouhamed Lamine Dramé starb am 8. August im Alter von 16 Jahren in Folge eines Polizeieinsatzes in der Dortmunder Nordstadt.
Mouhamed Lamine Dramé starb am 8. August im Alter von 16 Jahren in Folge eines Polizeieinsatzes in der Dortmunder Nordstadt. © Kevin Kindel (Archiv)

Zudem gibt es Zweifel daran, ob der Taser in der vorliegenden Situation überhaupt hätte eingesetzt werden dürfen. In einer Dienstanweisung der Polizei ist der Einsatz bei Einsätzen mit Messer-Bewaffnung wie am 8.8. ausgeschlossen.

Viele Fragen stehen im Raum

Zwar sei es zutreffend, dass es diese Formulierung gebe, bestätigt Herbert Reul im Ausschuss. „Aber die Entscheidung über den Einsatz dieses Mittels liegt immer beim Beamten vor Ort“, so der Innenminister.

Bei der Sitzung des innenpolitischen Gremiums im Landtag schwirren viele weitere Fragen durch den Raum. Zu Details im Umgang mit den Tasern, zur Frage, in welcher Hand Mouhamed Dramé das Messer gehalten haben könnte oder zur Qualität der inneren Analyse der Polizei nach dem Vorfall.

Viele bleibt unbeantwortet, auch rund 100 Tage nach den Todesschüssen in der Dortmunder Nordstadt.

Das Bild ist präsent

Aus Sicht eines in Dortmund lebenden Menschen ist es ohnehin schwierig, ein Zeitgefühl für die Geschehnissen rund um den Tod von Mouhamed Lamine Dramé zu entwickeln.

Vieles ist passiert, viele bekannt gemacht und ermittelt worden, seit am Nachmittag des 8.8. fünf Schüsse auf den 16-Jährigen aus einer Polizei-Maschinenpistole abgefeuert worden sind.

Es fühlt sich an, als sei dieser heiße Sommer-Montag schon Ewigkeiten her. Zugleich ist Mouhamed Dramé in der Stadt präsent, als wäre es erst gestern passiert.

Demonstration in Dortmund

Im Vorfeld einer größeren Gedenk-Demonstration für Opfer von Polizeigewalt in Deutschland am 19. November (Samstag) in Dortmund hängen Plakate mit seinem Foto im ganzen Stadtgebiet. Erwartet werden im Vorfeld rund 500 Menschen, die durch die Dortmunder Innenstadt ziehen wollen.

Es gibt seit Monaten regelmäßiges Gedenken für Mouhamed. Die Teilnehmenden bleiben in der Zahl überschaubar und stammen überwiegend aus dem linken politischen Spektrum.

Das hat ein klares Ziel: Sein Schicksal soll nicht in Vergessenheit geraten. Das funktioniert. Die Debatte wird immer noch geführt, auch nach Monaten.

Binnenklima der Stadt

Was der Vorfall mit dem Binnenklima der Stadt gemacht hat, wurde unter anderem deutlich, als Ende Oktober Polizeipräsident Gregor Lange mit Migrantinnen und Migranten über das Verhältnis von der Polizei zu den Bürgern sprach.

Es war ein offener Dialog, der weitgehend ohne Schärfe auskam. Aber er machte deutlich, dass es offene Gräben gibt. Ein Teil der Stadtbevölkerung fühlt sich durch die Polizei diskriminiert.

Viele Menschen formulieren einen schleichenden Vertrauensverlust. Das hat auch die Polizei registriert. Viele Dinge sind aufgeführt in einem Bericht des Innenministeriums dazu, welche Dinge in den vergangenen Monaten auf den Prüfstand gestellt worden sind.

Gedenktafel für Opfer

So seien Schulungen im Umgang mit Tasern durchgeführt worden und die Anleitungen für bestimmte Situationen zum Teil aktualisiert worden. Für die grundsätzlichen Vorschriften der Strategie für die Benutzung der Einsatzmittel sieht das Ministerium „keinen Anpassungsbedarf“.

An dem Ort, an dem die Schüsse fielen, erinnert seit dem 13. November eine Gedenktafel an das kurze Leben von Mouhamed Lamine Dramé.

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