Drei Monate sind seit dem Tod des 16-jährigen Mouhamed Dramé am 8. August vergangen. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Dortmund sind noch nicht abgeschlossen.
Es gibt Zweifel an der Richtigkeit des Ablaufs und an der Verhältnismäßigkeit des Einsatzes. Die Debatte über Lehren aus dem tragischen Ereignis bleibt intensiv.
Nun hat sich Dortmunds Polizeipräsident am Freitag (28.10.) erstmals in einer öffentlichen Diskussionsrunde auf Einladung des VMDO (Verbund der sozial-kulturellen Migrantenvereine in Dortmund) zu den Geschehnissen geäußert.
Wissenschaft auf dem Podium
Denn eines ist unbestritten, unabhängig vom Ergebnis der Ermittlungen: Der Fall hat etwas verändert im Verhältnis von Polizei und Bürgern. Vor allem von jenen, die als migrantisch gelesen werden.
Neben Lange sitzen an diesem Abend in der VHS Dortmund Dr. Elizabeth Beloe (Vorstandsvorsitzende Bundesverbands Netzwerke von Migrantenorganisationen), Prof. Dr. Kemal Bozay (Internationale Hochschule Düsseldorf) und Prof. Dr. Karim Fereidooni (Ruhr-Universität Bochum).

Der Abend legt eine wissenschaftliche Perspektive auf die Frage nach strukturellem und institutionellem Rassismus in der Polizei und in anderen Behörden. Er bringt aber auch viele zum Teil bewegende Erfahrungen an die Öffentlichkeit. Sowohl von durch „Racial Profiling“ betroffenen Personen, als auch aus Sicht der Polizei.
„Wenn junge Menschen sagen, sie hätten kein Vertrauen mehr in die Polizei, dann müssen wir etwas tun“, sagt Gregor Lange zum Beginn der Diskussion. Das sei ihm „sofort“ klar geworden, nachdem er von dem „einschneidenden“ Sachverhalt am 8. August erfahren habe.
Die Frage, was und wie viel sich genau ändern muss, trägt sich durch diesen Abend.
Von vielen kurzfristigen Initiativen in seiner Behörde spricht Gregor Lange an diesem Abend. Dem Format „Talk with a Cop“ etwa, das Polizisten und Bürger ins Gespräch bringen soll. Über die seit Kurzem regelmäßige Reflexion und Schulung des Umgangs mit Personen in psychischen Ausnahmesituationen. Oder über Programme gegen Alltagsrassismus und Antisemitismus, die schon länger gebe.
Stereotype bei der Polizei
Elizabeth Beloe berichtet aus ihrem Kontakt mit Migrantenvereinen in zehn Bundesländern: „Wenn man die Polizei oder Ausländerbehörde erwähnt, löst das bei vielen Angst aus. Wir müssen uns fragen, warum das so ist. Wenn wir es nicht ernst nehmen, dass wir ein Problem im System haben, dann kommen wir nicht weiter.“
Sozialforscher Fereidooni, der auch in Beratungsgremien für das Bundesinnenministerium sitzt, ergänzt das um empirische Erkenntnisse zu rassistischen Stereotypen in der Polizeiarbeit.
Die Weitergabe von Vorurteilen setze häufig nach Abschluss der dreijährigen Polizeiausbildung beim Einstieg in den Wachdienst ein. Dort würden ältere Kollegen häufig andere Regeln und Einschätzungen vorgeben, als in der Polizeischule.
Diese könnten dann auch so aussehen, wie in der anonymen Erzählung eines Polizisten, der geäußert habe, Menschen aus afrikanischen Ländern könnten Polizeiarbeit „genetisch“ nicht verstehen. Und zugleich behaupte: „Ich kann nicht rassistisch sein, ich bin ja verbeamtet.“
„Die Aufgabe der Wissenschaft ist es nicht, die Polizei schlecht zu reden. Aber Arbeit der Polizei wird schlechter durch Rassismus“, sagt Fereidooni.
Gregor Lange hört solchen Schilderungen aufmerksam zu, die an manchen Stellen auch ihn sichtlich erschüttern. „Es ist für mich als Behördenleiter eine Zerreißprobe“, sagt er.
„Es gibt Erwartungen aus der Behörde, dass ich die Kolleginnen und Kollegen auch schützen muss vor pauschaler Kritik. Und es gibt die Erwartung von außen, dass ich als Polizeipräsident jetzt etwas tun muss. Ich fühle mich beiden verpflichtet“, sagt Lange.
„Alles was uns hilft, ist gut“
So weist er auch an diesem Abend auf die hohe Belastung von Polizeibeamten hin, die „changierenden Thematiken“ ausgesetzt seien. „Wir müssen einen Spagat schaffen zwischen Deeskalation und dem Kontakt mit schwerer Kriminalität. Das ist auch eine Ressourcenfrage.“
Für mögliche Reformen zeigt er sich offen. Seine Aussage „Alles, was uns hilft ist gut“ bleibt allerdings etwas im luftleeren Raum stehen. Denn - nachvollziehbarerweise - legt er sich auf keine der politischen Lösungen fest, die auch an diesem Abend durch den Raum schweben.

Einig sind sich alle Beteiligten darin, dass es kein Erkenntnis-, sondern ein Umsetzungsproblem gebe. Eine unabhängige Beschwerdestelle und Behörde für Ermittlungen gegen die Polizei werden etwa mehrfach genannt.
„Nutzen sie ihre Macht als Leiter einer großen Behörde, um institutionell etwas zu verändern“, sagt Karim Fereidooni in Richtung des Dortmunder Polizeipräsidenten. Für Elizabeth Beloe müssten die Änderungen tiefer gehen. Ihr Verband tritt unter anderem für ein bundesweites Antidiskriminierungsgesetz ein.
Konstruktive Kritik
Nach mehr als zwei Stunden endet ein Abend in bemerkenswert konstruktiver Atmosphäre. Wenngleich die Konfliktlinien deutlich sichtbar werden.
Aus dem Publikum wird auch Kritik an Langes Haltung geäußert. Daran, dass die strukturellen Probleme nicht angegangen würden. „Eine bunte Polizei allein löst das Problem nicht“, sagt eine Rednerin.
Spürbar ist an diesem Abend aber auch der Wille, es gemeinsam zu ermöglichen, „dass wir keinen Fall Mouhamed mehr erleben“, wie es Elizabeth Beloe formuliert.
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