Eines der ältesten freien Theater in Dortmund hat seine künstlerische Leitung entlassen. Der Wechsel verläuft alles andere als geräuschlos. Eine Kulturinstitution steht in der Kritik.
Es sind überraschende Neuigkeiten aus dem Theater Fletch (früher Fletch Bizzel) in der Dortmunder Innenstadt. Till Beckmann und Cindy Jänicke, erst im Januar 2021 als neues künstlerisches Leitungsteam vorgestellt, ist durch den Trägerverein des Theaters fristlos gekündigt worden.
Damit hat sich ein Konflikt zugespitzt, der sich in den vergangenen Monaten angedeutet hatte.
Till Beckmann: „Die Situation belastet mich und meine Familie sehr“
Zu den exakten Gründen für die Trennung äußern sich beide Seiten mit Hinweis auf ein laufendes Verfahren nicht. Denn Beckmann und Jaenicke haben gegen die Kündigung arbeitsrechtliche Schritte eingeleitet.

Till Beckmann und Cindy Jänicke sind erst im Januar als die neuen künstlerischen Köpfe im Theater Fletch Bizzel vorgestellt worden. © Marie Koehler
Beide Seiten geben indes Auskunft über die Stimmungslage. „Ich bin geschockt und die Situation belastet mich und meine Familie sehr“, sagt Till Beckmann. Nach intensiver Beschäftigung mit der Arbeit empfinde er die Kündigung als „persönlichen Rückschlag“.
Er bekomme viele Hilferufe von Menschen, die sich um vereinbarte Aufträge in den kommenden Monaten sorgen. Beckmann sagt trotz öffentlicher Diskussionen über Inhalte: „Wir waren nicht an dem Punkt, an dem wir über die künstlerische Ausrichtung große Differenzen hatten.“
Horst Hanke-Lindemann: „Es ging nicht anders“
Für den Trägerverein spricht Theater-Gründer Horst Hanke-Lindemann von einer „traurigen Zeit“. Er habe in 35 Jahren noch nie jemandem kündigen müssen. „Aber es ging nicht anders.“ Genauer begründet er das nicht. Aber es klingt durch, dass es auch um die künstlerische Ausrichtung des Theaters an der Humboldtstraße geht.
Hanke-Lindemann übernimmt kommissarisch wieder die Geschäfte. Das Hauptaugenmerk gelte jetzt dem Start von Ruhrhochdeutsch und Umbauten im Fletch wie einer neuen Klima- und Aerosolanlage. „Wir müssen zusehen, dass wir für die Zeit während und nach Corona spielfähig sind“, sagt Hanke-Lindemann.
Der Leitungswechsel in einem freien Theater hätte nicht diese Aufmerksamkeit, wenn es keine Vorgeschichte gäbe.
Ärger um eine abgesagte Ausstellung im April
Anfang April war eine Street-Art-Ausstellung der Gruppe „Pottporus“ kurzfristig abgesagt worden. Unter anderem hatte der Eigentümer des Gebäudes nach seiner Aussage aus Brandschutzgründen auf die Entfernung eines Graffiti-Kunstwerks gedrängt.
Die beteiligten Künstler bezeichneten den genannten Grund als vorgeschoben und vermuteten künstlerische Vorbehalte gegen Street Art hinter der Entscheidung. Der Eigentümer bestreitet das.
So oder so: Nach dieser Entscheidung stand das Fletch auf einmal mitten in einem Sturm der Entrüstung. Mehrere Kulturschaffende aus Dortmund und der Region kritisierten in teils drastischen Worten den Vorgang.
Scharfe Kritik von vielen Kulturschaffenden
Zu den schärfsten Kritikern gehörte beispielweise Tommy Finke, der ehemalige Musikdirektor des Schauspiels Dortmund. Er sagte einen geplanten Musik-Workshop im Fletch ab mit den Worten: „Ich kann nicht an einem Ort frei arbeiten, über dem der Geist eines engstirnigen Machtmenschen schwebt.“ Dies adressierte er an den Vermieter.
Das Bekanntwerden der Kündigung von Till Beckmann und Cindy Jaenicke sorgt nun erneut für viel Aufregung. Emotionale Worte äußert etwa Hans-Peter Krüger, über 30 Jahre lang als Schauspieler und Regisseur mit dem Fletch verbunden.
„Es geht um einen fundamentalen Angriff auf die Freiheit der Kunst, verübt auf ein öffentlich gefördertes Theater, in dem es die Möglichkeiten geben muss, angstfrei zu arbeiten. Ich habe bisher im Fletch Bizzel immer das Gefühl gehabt, dass das möglich ist. Dieses Gefühl habe ich jetzt nicht mehr! Das macht mich nicht nur wütend, sondern vor allem unendlich traurig.“
„Das Gegenteil von freier Kultur“
Die Dortmunder Journalistin Sabine Brandi, die für eine Talk-Reihe im neuen Programm gebucht war, schreibt in einem offenen Brief: „In jedem Fall ist es eine Entwicklung, die dem kulturellen Leben in Dortmund ein denkbar schlechtes Zeugnis ausstellt. Ein konserviertes Theater. Kein Tanz, keine Vielfalt, keine Urbanität. Eine toxische Gemengelage aus Filz und gegenseitigen Abhängigkeiten. Das Gegenteil von freier Kultur, das Gegenteil von einem soziokulturellen Zentrum.“
All das sind große Worte angesichts eines Leitungswechsels in einem kleinen Theater. Ein Faktor ist sicherlich, dass all das in der für die Kultur so schwierigen Corona-Zeit passiert. Eine Kritik am Fletch-Trägerverein lautet auch, dass man Beckmann und Jaenicke im schwierigen Corona-Jahr die Arbeit habe machen lassen und sie jetzt auf die Straße setze.
„Dann werden die Claqueure verstummen“
„Es war nicht einfach, in so einer Zeit ein Haus zu übernehmen, da lagen die Nerven eh bei vielen blank. Aber wir haben versucht, das Schiff da durchzulenken“, sagt Till Beckmann.
Horst Hanke-Lindemann nimmt die Stimmung aufmerksam wahr. Aus seiner Sicht zeugen einige Kommentare allerdings von „Neid“ und „Halbwissen“.
Er kündigt ein Herbstprogramm an, das in eine „nicht ganz so progressive Richtung“ gehe. „Und dann werden die Claqueure verstummen.“ Hanke-Lindemann sagt: „Ich glaube, wir machen alles richtig,“
Seit 2010 Redakteur in Dortmund, davor im Sport- und Nachrichtengeschäft im gesamten Ruhrgebiet aktiv, Studienabschluss an der Ruhr-Universität Bochum. Ohne Ressortgrenzen immer auf der Suche nach den großen und kleinen Dingen, die Dortmund zu der Stadt machen, die sie ist.
