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Tausende Tote: Wie die Pest „das fröhliche Leben in Dortmund erstickte“
Pandemien vor Corona
Die Ausbreitung des Corona-Virus ist nicht die erste Pandemie, die Dortmund trifft. In der mehr als 1100-jährigen Stadtgeschichte gab es immer Seuchen. Die bekannteste ist die Pest. Ein Rückblick.
Es begann mit grippeähnlichen Symptomen wie Fieber, Kopfschmerzen und Schüttelfrost. Bei vielen Kranken bildeten sich schmerzhafte Beulen, andere litten unter Brustschmerzen und Bluthusten. Lippen und Haut verfärbten sich oft blauschwarz – was der Krankheit den Beinamen „Schwarzer Tod“ einbrachte. Die Pest war die große Pandemie des Mittelalters und suchte auch Dortmund über Jahrhunderte mehrfach heim.
Sündenböcke für den „Schwarzen Tod“
Nach Westfalen kam der „Schwarze Tod“ aus Richtung Süden. Mehr und mehr breitete sich die Pestseuche Mitte des 14. Jahrhunderts in Europa aus. Innerhalb weniger Jahre fiel ihr ein Drittel der Bevölkerung zum Opfer.
Im Jahr 1350 hatte die Pest Dortmund erreicht. Überliefert ist das durch die Chronik des Dominikaners Johann Nederhoff, der zum großen Teil rückblickend Ereignisse der Stadtgeschichte niedergeschrieben hat. Die Pestwelle des Jahres 1350 hatte demnach in Dortmund verheerende Folgen. Die Lebenden, so schreibt Nederhoff, hätten nicht ausgereicht, die Toten zu begraben.
Dortmund war damals eine stolze Reichsstadt, die allerdings auch landwirtschaftlich geprägt war. Das heißt, dass Menschen und Tiere oft in engen Häuserzeilen nebeneinander lebten, vor den Häusern die Misthaufen dampften und die Hühner pickten. „Das Zusammenleben vieler Menschen auf engem Raum und die meist katastrophalen hygienischen Zustände boten Erregern mit kurzer Inkubationszeit wie der Pest oder den Pocken einen idealen Nährboden“, stellt der Medizinhistoriker Prof. Dr. Kay Peter Jankrift fest.
Zwei Formen der Pest
Nicht immer ist bei den Überlieferungen aus dem Spätmittelalter oder auch späteren Zeiten klar, ob es sich bei allen als Pestilenz bezeichneten Seuchen tatsächlich um die heute bekannte Pest in reiner Form handelt, die wahlweise als Beulenpest oder Lungenpest auftrat.
Unbekannt war damals auch die Ursache: das Bakterium Yersinia pestis, das von Flöhen übertragen wurde und dann zur Beulenpest führte. Die Lungenpest wurde – ähnlich wie heute viele Grippe-Viren – vor allem per Tröpfcheninfektion übertragen.
Im Spätmittelalter führte man die Epidemien auf „schlechte Dünste“ zurück, sah sie als Strafe Gottes - und suchte Sündenböcke für den Ausbruch der Krankheiten. Bei der großen Pestepidemie zur Mitte des 14. Jahrhunderts verbreitete sich die Mär, Juden hätten die Brunnen vergiftet.
In vielen Städten kam es zu Pogromen. Auch in Dortmund wurde die jüdische Bevölkerung verfolgt und der Stadt verwiesen. Ihr Vermögen wurde eingezogen und zwischen der Stadt Dortmund und dem Grafen von der Mark aufgeteilt.
Rund 40 Seuchenausbrüche
Die Pest indes suchte Dortmund immer wieder heim. „Zwischen der Mitte des 14. Jahrhunderts und dem Ende des 16. Jahrhunderts lassen sich rund 40 Seuchenausbrüche in Dortmund nachweisen“, bilanziert Jankrift. Und auch umliegende Orte und Städte waren betroffen.
Den Chroniken nach starb im Sommer 1429 ein Viertel der Bewohner an der Pest. Weitere Ausbrüche sind für 1436 und 1449 überliefert. Eine Pestwelle um 1485 war „so stark, dass man die Leichen uneingesargt in Massengräbern auf dem Reinoldikirchhof beerdigen musste“, berichtet die frühere Dortmunder Stadtarchivarin Luise von Winterfeld. „Um 1494 erfolgte ein zweiter Ausbruch der Pest und raffte von März bis November in Dortmund 2000 Menschen dahin.“
Mehr als 1000 Tote
Im Sommer 1508 sollen mehr als 1000 Dortmunder an der „Pestilenz“ gestorben sein. „Von nun ab folgten jedes Jahr neue Pestfälle“, berichtet Luise von Winterhof. Gut 20 Jahre lang soll die Pest die Stadt im Griff gehabt haben.
Besonders drastisch traf es Dortmund im Jahr 1513. Nach den Berichten des Chronisten Dietrich Westhoff wurden damals allein auf der Brückstraße und der Kampstraße 1500 gezählt.
Ähnlich sah es zu Beginn des 17. Jahrhunderts aus. Schon 1599/1600 soll es allein im Reinoldikirchspiel mehr als 1000 Tote durch einen Pestausbruch gegeben haben, listet Luise von Winterfeld auf. 1615 und 1617 wurden laut Stadtarchiv mehr als 400 Pest-Opfer gezählt.

Ein Plan der Stadt Dortmund im Jahre 1610. Auch in dieser Zeit wurde die Stadt immer wieder von Pestausbrüchen heimgesucht. © Stadtarchiv
Nicht zuletzt in der Zeit des 30-jährigen Krieges, in der Dortmund mehrfach von fremden Truppen besetzt war, hatten Seuchen verheerende Folgen. „Um 1635/36 brach in der überfüllten Stadt, die zeitweilig ein Sammelplatz für Gefangene und Beutestücke war, wieder eine besonders schwere Pest aus“, heißt es bei Luise von Winterfeld. Sie kostete 910 Menschen das Leben.
Entdeckung des Bakteriums
Die frühere Stadtarchivarin, die 1934 ein Buch zur Geschichte der Stadt Dortmund schrieb, bilanzierte schließlich: „Pest und Krieg, die um die Wende des 16./17. Jahrhunderts einsetzten, haben das fröhliche Leben in Dortmund erstickt und aus der einst so sehr wohlhabenden und volkreichen Reichs- und Hansestadt ein entleertes, verwüstetes und unvermögendes Ackerbürgerstädtchen gemacht.“
Aufgeblüht ist Dortmund wieder ab Mitte des 19. Jahrhunderts mit der Industrialisierung. Wenige Jahrzehnte später verlor auch die Pest mit der Entdeckung des Bakteriums Yersinia Pestis und der Behandlung der Krankheit durch Antibiotika ihren Schrecken.
Ganz ausgerottet ist die Pest immer noch nicht. Zuletzt gab es beispielsweise auf Madagaskar immer wieder Pestfälle. „Zwischen 2010 und 2015 wurden weltweit über die Weltgesundheitsorganisation (WHO) insgesamt 3.248 Fälle aller Pestformen berichtet, darunter 584 Todesfälle“, berichtet das Robert-Koch-Institut. Aber die Zeit der Pest- Pandemien ist – vor allem in Europa - lange vorbei.
Oliver Volmerich, Jahrgang 1966, Ur-Dortmunder, Bergmannssohn, Diplom-Journalist, Buchautor und seit 1994 Redakteur in der Stadtredaktion Dortmund der Ruhr Nachrichten. Hier kümmert er sich vor allem um Kommunalpolitik, Stadtplanung, Stadtgeschichte und vieles andere, was die Stadt bewegt.
