Nach gut vierstündiger Sitzung hinter verschlossenen Türen war den Kontrolleuren im Aufsichtsrat am frühen Abend klar: Heike Heim (53), Vorstandsvorsitzende der Dortmunder Stadtwerke (DSW21), ist nicht mehr zu halten. Sie muss gehen. Heim war erst im Juni 2023 vom Chefsessel beim Dortmunder Versorger DEW an die Spitze des großen DSW21-Konzerns gerückt. Ihr Engagement dort dauerte gerade ein Jahr. Das eigentliche Vertragsende wäre Mitte 2028. Einen derartigen Vorgang hat es bei DSW21 noch nicht gegeben.

Wie zu erfahren war, soll selbst OB Thomas Westphal in der Aufsichtsratssitzung keine Anstalten mehr gemacht haben, seine damalige Favoritin für die DSW21-Spitze zu verteidigen. Für viele hatte sich das zuletzt noch anders dargestellt. Hinter vorgehaltener Hand wird geraunt, Westphal sei spätestens seit Vorliegen eines brisanten Gutachtens der PwC-Wirtschaftsprüfer schrittweise von Heim abgerückt.
In dem Papier werden die Vorgänge um die Energiekäufe im Krisenjahr 2022 beleuchtet: DEW hatte damals seine Beschaffungsstrategie gründlich geändert und sich mit langfristigen Verträgen und zu hohen Preisen mit Energie eingedeckt. Und das ohne Abstimmung mit den Gremien, wie es heißt. Möglicher Schaden für DEW: rund 100 Millionen Euro.
Dieser Vorgang, heißt es, sei letztlich der entscheidende Stolperstein für Heim gewesen. Die Machenschaften der von Heim auf den Markt gebrachten DEW-Billigtochter stadtenergie, die u.a. Kunden massenweise mit zu hohen Abschlägen und Abrechnungen über den Tisch gezogen hat, spielten für die Aufsichtsräte offenbar eine eher untergeordnete Rolle. „Die Vorgänge bei stadtenergie allein hätten für einen Schlussstrich wohl nicht gereicht“, heißt es im Umfeld des Aufsichtsrates.
DEW will Schaden ausgleichen
Und das, obschon DEW nach Berechnungen von Wirtschaftsprüfern auch dadurch ein immenser Schaden von satten 74 Mio. Euro entstanden ist, für den Dortmunds Versorger nun in gleicher Höhe Rückstellungen bilden muss. DEW seinerseits hat früh auf die „Unregelmäßigkeiten“ seiner Tochter reagiert, Wirtschaftsprüfer drangesetzt und personelle Konsequenzen gezogen.
Zudem will DEW die Kunden von stadtenergie nicht im Regen stehen lassen und ihnen den Schaden ersetzen: „Die Korrektur der fehlerhaften Abrechnungen gegenüber unseren Kund*innen hat für uns oberste Priorität. Dieser Prozess läuft gerade auf Hochtouren“, sagt Gerhard Holtmeier, Nachfolger von Heim bei DEW.
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Bemerkenswert: Die Vorgänge beim städtischen Energieversorger waren zwar Thema bei DSW21 - zu keinem Zeitpunkt aber im Verwaltungsvorstand, dem engsten Führungszirkel der Stadt um OB Westphal.
Am Dienstag (2.7.) im Aufsichtsrat von DSW21 schließlich machte Westphal den Vorschlag, das Arbeitsverhältnis zu beenden und mit Heim einen „Aufhebungsvertrag“ auszuhandeln.
Damit zog der OB die Reißleine quasi kurz vor Toreschluss: Hinter den Kulissen stand bereits eine Mehrheit bereit, Heim andernfalls in einer weiteren Krisensitzung abzuwählen. Auch die SPD, die bis zuletzt an der Seite von Heim stand, ging erstmals auf Distanz – und stimmte dem Beschluss im Aufsichtsrat zu.
Grüne haben noch Fragen
„Angesichts der Fakten ist die angekündigte Aufhebung des Vertrages von Heike Heim richtig, notwendig und war überfällig“, ließ sich CDU-Fraktionschef Jendrik Suck am Mittwoch (3.7.) vielsagend vernehmen. Neben der kompletten Aufarbeitung der Vorgänge gehe es jetzt darum, dass DEW Vertrauen bei den Kunden und der Dortmunder Bürgerschaft zurückgewinnen könne, heißt es in der schriftlichen Stellungnahme. DEW sei „ein starkes Unternehmen und wesentlich für die erfolgreiche Bewältigung der Energiewende in Dortmund“.
Auch die Grünen machen mit Blick auf die Mitarbeiter im Stadtkonzern deutlich, sich „weiter für eine starke und zukunftsfähige DEW und DSW21 einsetzen“ zu wollen. Verhandlungen um einen Aufhebungsvertrag seien der richtige Schritt. „Als Vorstandsvorsitzende von DSW21 trage Heim die „gesamtkaufmännische Verantwortung“.
Allerdings sei die Frage nach der Verantwortung allein „mit der Personalie Heim nicht beanwortet“, so die Grünen. Man werde die weitere Aufklärung der Vorgänge unterstützen, um endgültig bewerten zu können, „wer zusätzlich in welcher Weise involviert war und welche Folgen sich daraus ergeben“, so die Fraktionsspitzen Katrin Lögering und Christoph Neumann in einer gemeinsamen Erklärung.
Wer besetzt den Posten neu?
Noch sei unklar, welche Konsequenz die Vorgänge für den DSW21-Konzern, den städtischen Haushalt und damit auch für die Bürger habe. Heim selbst sehen sie offenbar noch nicht aus dem Schneider. Entscheidend sei, so die Grünen-Spitzen, „dass mit einem Aufhebungsvertrag kein Haftungsausschluss verbunden sein darf – aber auch kein Vorgriff auf eine rechtliche Bewertung vorgenommen wird“. Regress- und Haftungsfragen müssten im weiteren Verlauf von den geeigneten Stellen geklärt werden.
„Ein solcher Schaden darf nicht mehr entstehen“, pflichtet SPD-Fraktionschefin Carla Neumann-Lieven bei. Wichtig sei nun, für Stabilität im Stadtkonzern zu sorgen und den Schaden sachlich und nüchtern aufzuklären. „Wir wollen die Verkehrs- und Wärmewende voranbringen. Das wird gelingen, allerdings nur mit starken städtischen Unternehmen“, so Neumann-Lieven.
Offen ist zurzeit, wie es mittelfristig mit der Neubesetzung des Chefpostens weitergeht. Auch das birgt politischen Sprengstoff. Zuletzt war es die SPD, die das erste Vorschlagsrecht hatte – und sich „ihrem“ OB mit der Personalie Heim anschloss. Die Grünen hatten damals ebenfalls für Heim gestimmt, die CDU war strikt dagegen.
Und beim nächsten Mal? Hat die SPD einmal mehr das „Vorschlagsrecht“? Das ist völlig offen – und dürfte vor allem davon abhängen, wann die Stelle wiederbesetzt wird. Möglicherweise erst nach der Kommunalwahl im Herbst 2025 - wenn es zu neuen politischen Mehrheiten gekommen ist.